Angesichts von Brandherden
Den zeitgenössischen Umgang mit dem Utopiebegriff beschrieb der Schriftsteller Dietmar Dath in seiner Arbeit »Maschinenwinter. Wissen.Technik. Sozialismus« 2008 u.a. so: »An allen Brandherden wird separat gewurstelt; gesamtgesellschaftliche Lösungen für gesamtgesellschaftliche Schwierigkeiten hält man für utopisch oder, schlimmer, gleich für totalitär, apage, Satanas.«
Als ein US-Politologe vor 20 Jahren das Ende der Geschichte ausrief, hatte er damit etwas Erfolg. Es zeigte sich allerdings, daß die These, eine andere Ordnung als der Kapitalismus sei unmöglich, und der Versuch, ihn zu überwinden, daher Utopie, sich selbst als Illusion und als reaktionäre Utopie herausstellte. Die Welt bezahlt die Aufrechterhaltung dieses angeblichen Endzustands mit seit 1990 fast ununterbrochen anhaltenden Ordnungskriegen.
Die Notwendigkeit, eine Gesellschaft anzustreben, die ein Monster wie den sogenannten Krieg gegen den Terror und seine Voraussetzungen – Armut und Hunger – nicht hervorbringt, ist in dem Maß gestiegen, in dem die Verheerungen zunehmen. Je größer die Einschüchterung durch eine Militärmacht, wie sie die Geschichte bisher nicht kannte, desto drängender wird die Frage nach einem Ende dieser Gewaltherrschaft, die Völkerrecht permanent ignoriert, aber beansprucht, Demokratie und Menschenrechte zu exportieren. Die schwerste Wirtschaftskrise seit 80 Jahren pulverisierte alle Behauptungen vom Segen der herrschenden Ordnung. Faschistische Tendenzen in allen Hauptländern des Kapitals komplettieren das Bild.
Reaktionär-utopisch, weil barbarische Verhältnisse herbeiführend, erscheint aus dieser Sicht, daß der Kapitalismus bestehen bleibt. Die derzeitige Schwäche seiner Gegner läßt dies aber zur Wirklichkeit werden. Ihr Wiederaufstieg wäre Inhalt einer progressiven Utopie.
Am 23. März 2013 fand im Internationalen Zentrum »Die Brücke« der Universität Münster eine gemeinsame Veranstaltung von Marx-Engels-Stiftung (Wuppertal), Marx-Engels-Gesellschaft (Münster) und der Tageszeitung junge Welt statt. Das Thema lautete »Marxismus und Utopie«. Anlaß für die Tagung waren der 130. Todestag von Karl Marx am 14. März und das Erscheinen der ersten deutschsprachigen Ausgabe der Schrift von Friedrich Engels »Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft«. Hintergrund war die skizzierte Situation.
Neben der Einführung zum Thema von jW-Chefredakteur Arnold Schölzel veröffentlichen wir in dieser Beilage einen Auszug aus der Schrift von Engels sowie drei der vier Hauptreferate, zum Teil in gekürzter Form. Es handelt sich um die Beiträge des Literaturwissenschaftlers und Philosophen Thomas Metscher, des Mathematikers und Theologen Kuno Füssel und des Philosophen Robert Steigerwald. Der Theologe Dieter Kraft, der vierte Referent, nutzte für seinen Vortrag ein Manuskript, das in junge Welt bereits am 10. November 2012 unter dem Titel »Notwendiger Nirgendsort. Utopie – Verständnis und Mißverständnis einer verbogenen Kategorie« erschienen ist. Der Hamburger Laika-Verlag hat die Absicht, alle Texte vollständig sowie weitere Beiträge in einem Buch zu veröffentlichen, das im August dieses Jahres erscheinen soll. (jW)
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