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Aus: staat & gewalt, Beilage der jW vom 03.07.2013

Knüppel frei!

Wenn es um den Systemerhalt geht, wissen Politiker nicht mehr, wie »Demokratie« buchstabiert wird
Von Peter Wolter
Protestplakat in Belo Horizonte, Brasilien, bei einer Demonstrat
Protestplakat in Belo Horizonte, Brasilien, bei einer Demonstration am 22. Juni 2013

Fast könnte man meinen, das kapitalistische Weltsystem krache aus allen Fugen: Massendemonstrationen in Brasilien, offener Aufruhr gegen das Islamisten-Regime in Ägypten. In der Türkei entlädt sich der Volkszorn ebenso wie in Griechenland, Italien, Spanien und Portugal in Massendemonstrationen, Generalstreiks und Kundgebungen. Wahrscheinlich wird es in den nächsten Monaten noch heftiger zur Sache gehen – die von der internationalen Finanzwelt ausgelöste Krise ist längst nicht vorbei.

Das Fernsehen liefert jeden Abend nicht nur von Massendemonstrationen eindrucksvolle Bilder, sondern oft auch davon, mit welcher Brutalität die jeweilige Polizei mit Prügelorgien und Tränengas versucht, Menschen auseinanderzutreiben, die Selbstverständliches fordern: Arbeitsplätze, Bildung, medizinische Betreuung, Nahrung. Anschaulicher läßt sich kaum illustrieren, was Karl Marx und Friedrich Engels 1848 im Kommunistischen Manifest schrieben: »Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Kapitalistenklasse verwaltet.«

Die modernen »Staatsgewalten« haben sich gründlich darauf vorbereitet, jedes Aufmucken der Bevölkerung möglichst im Keim zu ersticken. Die jeweilige Polizeien wird nicht nur materiell mit Schlagstöcken, Wasserwerfern, Tränengas oder gar Elektroschock-Pistolen und Gummigeschossen aufgerüstet, sie wird in vielen Ländern auch personell aufgestockt und taktisch speziell für diesen Einsatzzweck trainiert. Die EU-Länder kooperieren dabei untereinander, es gibt eine Vielzahl bilateraler Vereinbarungen und regelmäßigen Erfahrungsaustausch. Auch mit Nicht-EU-Mitgliedern: Erst kürzlich wurde bekannt, daß die Bundesländer Bremen und Hamburg seit Jahren türkische Prügelpolizisten ausbilden. Hinzu kommen Bestrebungen, die Sicherheitsorgane auf EU-Ebene zu koordinieren.

Die Beilage »staat & gewalt« gibt einen Überblick darüber, wie sich die Polizei in diversen europäischen Ländern auf soziale Unruhen vorbereitet. Auch in Deutschland: Einen Vorgeschmack davon haben die »Blockupy«-Demonstranten bekommen, die am 1. Juni in Frankfurt am Main von deutschen Beamten zusammengeprügelt wurden, weil sie gegen die Politik der Europäischen Zentralbank protestieren wollten. Auch die hungerstreikenden Flüchtlinge in München, deren Camp am Sonntag geräumt wurde, wissen jetzt, mit welch besinnungsloser Brutalität deutsche Polizisten gegen wehrlose Menschen vorgehen. Ein abschließender Beitrag in dieser Beilage setzt sich mit der Geschichte des deutschen Verfassungsschutzes auseinander – er wurde in seinen ersten Jahren nicht nur durch Faschisten mit SS-Erfahrung geprägt, sondern kooperiert auch heute offen mit der extremen Rechten, wie der Skandal um die neofaschistische Mördertruppe »NSU« zeigt.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!