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Aus: XX. Rosa-Luxemburg-Konferenz, Beilage der jW vom 28.01.2015

Gegen jede Kriegsbeteiligung

Wenn Journalisten und Politiker in Bataillonsstärke zur aktiven Teilnahme an Militäreinsätzen verpflichtet wären, hätte der Spuk ein schnelles Ende
Von Oskar Lafontaine
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Ich habe heute morgen (10.1.2015, jW) France Inter gehört und habe dort die Diskussion hinsichtlich der Ereignisse in Frankreich, der terroristischen Anschläge und der Ermordeten, verfolgt. Und dann war jemand dort, der über das Täterprofil dieser Leute gesprochen hat. Es stellte sich erwartungsgemäß so dar: jung, männlich, muslimischen Glaubens, sozial entweder ausgegrenzt oder in einer Tarn-Berufsgruppe und so weiter und so weiter. Ich habe mir das dann gar nicht länger angehört, denn mir ist es durch den Kopf gegangen, dass wir Terroristen in aller Welt haben, und dass das Täterprofil der Terroristen in aller Welt das gleiche ist: mangelnde Liebe zum Menschen und mangelnde Liebe zum Leben. Und wenn wir die Debatte nicht so führen, dass wir die Frage stellen, wo haben wir denn überall Terrorismus, und wenn wir die Debatte nicht so führen, dass wir uns die Frage stellen, ob nicht auch bei uns im angeblich guten Westen Verantwortung für terroristische Anschläge besteht, wenn wir uns nicht die Frage stellen, was ist Terrorismus überhaupt, dann werden wir keine vernünftige Debatte führen und auch keine Ergebnisse haben können.

Ausgrenzung und Ohnmacht

Ich habe jahrelang im Deutschen Bundestag die Kanzlerin immer wieder gefragt, was denn Terrorismus sei. »Sie wollen Terrorismus bekämpfen«, war meine Aussage, »also bitte sagen Sie uns, was Terrorismus ist, denn sonst kann man ihn ja nicht bekämpfen.« Es kam nie eine Antwort, und das hat Gründe. Irgendein Beamter hat dann ein sogenanntes Antiterrorgesetz geschrieben, demzufolge – hört genau zu – Terrorismus die rechtswidrige Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Belange ist. Gott sei Dank wird gelacht. Ich habe das im Bundestag vorgetragen und gesagt: »Wissen Sie, was Sie gerade beschlossen haben? Sie haben gerade beschlossen«, das war damals noch nicht so lange nach dem Irak-Krieg, »dass Bush, Blair und alle anderen, die den Irak-Krieg unterstützt haben, Terroristen sind«. Ich will es nur an diesem Beispiel deutlich machen: Wenn wir nicht lernen, dass das zumindest in der arabischen Welt so gesehen wird, dass etwa Bush ein großer Terrorist ist, weil Hunderttausende ermordet worden sind aufgrund seiner Fehlentscheidung, dann werden wir im Westen niemals eine Diskussion darüber führen können, wie der Terrorismus in dieser Welt zu bekämpfen ist, niemals.

Und ich habe mir immer die Frage gestellt und versucht, diese in Diskussionen auch im Bundestag einzubringen: »Wie nehmt ihr eigentlich die Welt wahr? Was glaubt ihr, was bei jungen Leuten, was in den Herzen von jungen Leuten vorgeht, die dann sehen, dass ihre ganze Familie ausgelöscht wird, weil sich eine Drohne in eine Hochzeitsgesellschaft verirrt hat, wo dann viele unschuldige Menschen ums Leben kommen? Da geht ihr zur Tagesordnung über, aber wenn jetzt hier ein terroristischer Anschlag geschieht, dann ist die Empörung groß.« So kann man nicht herangehen. Eine Voraussetzung muss sein, dass wir die Doppelmoral endlich aufgeben, die Grundlage der großen Irrtümer in der Welt ist.

Ausgrenzung und Ohnmacht, das waren zwei Wörter, die ich in vielen Kommentaren gelesen habe. Im Zentrum der Überlegungen stand, dass Ausgrenzung und Ohnmacht Reaktionen provozieren; das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen weltweit, das lässt sich nicht unbedingt lokalisieren. Und überall dort, wo Ausgrenzung und Ohnmacht festgestellt werden, muss man mit Gewalt rechnen. Das gilt auch für unsere Gesellschaft. Es gibt viele Menschen, die fühlen sich ausgegrenzt, es gibt viele Menschen, die fühlen sich ohnmächtig – in allen Ländern dieser Welt, in allen Systemen dieser Welt, und irgendwann glauben diese Menschen, sie können sich nur mit Gewalt zu Wehr setzen. Und daraus ist doch nur eine Lehre zu ziehen: Wir müssen Gesellschaftsordnungen aufbauen, die Menschen nicht ausgrenzen und sie nicht Ohnmacht und Ratlosigkeit fühlen und empfinden lassen. Wenn man über Terrorismus spricht, muss man sagen, was man unter Terrorismus versteht. Wenn man beispielsweise Mord verurteilt, dann muss man Mord verurteilen, wo immer er begangen wird und von wem er auch begangen wird. Und daran fehlt es im großen Umfang in der westlichen Gesellschaft.

Diese Ereignisse müssen doch eine Diskussion über die Außenpolitik provozieren und lassen nur eine einzige Schlussfolgerung zu. Die Interventionskriege, diese terroristischen Kriege, sind die Grundlage für die Ausbreitung des weltweiten Terrors. Man kann sicherlich über dieses und jenes reden, über eines jedoch nicht: Wenn es denn einmal dazu kommen sollte – ich muss den Fall ja sehr hypothetisch hier diskutieren –, dass Die Linke eingeladen wird, sich an einer Bundesregierung zu beteiligen, dann muss eines klar sein: Eine solche Regierung darf sich niemals an Interventionskriegen beteiligen, niemals, das muss die Grundbedingung sein.

Was denken sich diejenigen eigentlich, die solche Kriege beschließen? Was empfinden sie? Wie kommen sie überhaupt dazu, andere zu beauftragen, Krieg zu führen? Macht man sich eine Vorstellung davon, was das heißt? Und da muss man doch heute zu der Antwort kommen: Diejenigen, die den Auftrag erteilen, können sich gar nicht mehr vorstellen, welche Aufträge sie eigentlich vergeben. Und dass sie noch weniger Phantasie haben, darüber nachzudenken, was das eigentlich heißt. Man kann hier auf den alten Kant verweisen. Ich tue das gerne, eben weil ich ja Leute erreichen will, die nicht schon so denken, wie wir denken. Sie sollen mal darüber nachdenken, warum der alte Kant in seiner Schrift zum ewigen Frieden einen richtigen Gedanken geäußert hatte. Sinngemäß sagte er: »Wenn diejenigen, die zu beschließen haben, auch die Drangsale des Krieges zu erleiden hätten, dann würden sie diese Beschlüsse nicht fassen«. Und wenn ich zornig bin, dann sage ich: Wir bräuchten nur ein Bataillon von Interventionskriege befürwortenden Journalisten und ein Bataillon von kriegsbefürwortenden Politikern, die sofort eingesetzt werden können, wenn solche Kriege geführt werden, dann wäre der ganze Spuk zu Ende. Wir hätten das dann alles nicht.

Kein Vermögen ohne Verbrechen

So, nun will ich zum Thema dieser Konferenz kommen: »Frieden statt NATO«. Daraus ergibt sich die Frage: Wofür stehen wir, welche Überzeugung haben wir, wie kann man dazu beitragen, dass Frieden überhaupt entsteht? Nach meiner tiefen Überzeugung – ich darf wohl sagen: nach unserer tiefen Überzeugung – kann der Frieden auf der Welt nur dann erreicht werden, wenn eine Gesellschaftsordnung aufgebaut wird, die wirklich demokratisch ist. Das heißt eine Gesellschaftsordnung, in der sich die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen, weil wir davon ausgehen können, dass die Mehrheit der Bevölkerung, das sehen wir im Afghanistan-Krieg, das sehen wir überall, keine Kriege beschließen würde, weil sie ihre Kinder, weil sie ihre Männer, weil sie ihre Frauen nicht in Kriege schicken würde. Und deshalb brauchen wir demokratische Gesellschaften, die wir derzeit nirgendwo auf der Welt haben.

Und demokratische Gesellschaften sind nun untrennbar verbunden mit einer Wirtschaftsordnung, in der der Mensch eben im Mittelpunkt steht. In der die Ausbeutung des Menschen beendet wird. In der das gemeinsam erarbeitete Vermögen auch denen zukommt, die es erarbeitet haben. Wir leben in einer Gesellschaftsordnung, in der eine Minderheit reich wird, weil sie die große Mehrheit für sich arbeiten lässt. Wir wollen aber eine Gesellschaftsordnung, in der das Vermögen denen bleibt, die es erarbeitet haben – und das ist die große Mehrheit der Bevölkerung. Denn auch das ist ja kein neuer Gedanke: Immer dann, wenn durch diese Art von Einkommens- und Vermögensverteilung sich Vermögen ballt – dann ist keine Demokratie möglich. Großes Vermögen verträgt sich nicht mit Demokratie, weil es niemals demokratisch zustande gekommen ist.

Wie wenig das gelernt wurde – bis zum heutigen Tag –, sieht man ja daran, dass Herr Chodorkowski in den westlichen Gesellschaften als großer Freiheitskämpfer empfangen wird. Da fasst man sich nur noch an den Kopf. Man muss kein Marxist sein, man muss nur Balzac gelesen haben, um zu wissen, dass hinter jedem großen Vermögen ein großes Verbrechen steht. Wir sollten endlich aufhören, Verbrecher zu bejubeln und sie zu empfangen.

Wenn SPD und Grüne doch nur begreifen würden, was da in der Ukraine geschehen ist. Als hätte das irgend etwas mit Demokratie zu tun, dass man ein Oligarchensystem durch ein anderes abgelöst hat – und das noch in Form eines Putsches. Wenn wirklich um Demokratie gekämpft würde, dann wären wir ja dabei. Aber wir wollen keine Oligarchenwirtschaft, die nach wie vor das Volk brutal ausbeutet.

Im Gegensatz zu dem Pfarrer, der zum Bundespräsidenten gewählt wurde und zur Pfarrerstochter, die Kanzlerin ist, hat der Papst in Rom die Bibel gelesen und weiß daher, was darin steht. Da steht nicht: »Du sollst Kriege führen«. Die Kernbotschaft des Bibeltextes lautet vielmehr: »Du sollst den anderen lieben wie dich selbst«. Und das verträgt sich nun mal nicht mit Kriegen und Ausbeutung. Das ist die Kernbotschaft, und deshalb ist es gut, dass dieser Papst sagt: »Wir leben im dritten Weltkrieg, und es gibt Wirtschaftssysteme, die können ohne Krieg nicht sein. Und deshalb werden Waffen produziert und verkauft«. Das ist doch die Wahrheit, die jemand endlich mal ausspricht. Ich begrüße das sehr, dass der Papst diese Botschaft mittlerweile in aller Welt verbreitet.

Wir, Die Linke, können aber nicht sagen: »Warten wir, bis eine bessere, eine andere Wirtschaftsordnung da ist.« Damit würden wir uns für den Rest der Zeit aus der Politik verabschieden. Wir müssen schon versuchen, die minimalen Spielräume, die wir haben, zu nutzen. Und ich scheue mich dann auch nicht zu sagen: »Ja, man kann darüber nachdenken, ob eventuell eine Regierungsbeteiligung möglich ist. Aber dann muss man wirklich wissen, was man will. Dann darf man nicht einknicken, und ich habe ja eine Grundbedingung vorhin genannt. Diese Grundbedingung ist aber noch viel umfassender. Eine solche Regierungsbeteiligung ist überhaupt nur vorstellbar, wenn die Außenpolitik eine grundsätzliche Neuorientierung erfährt. Und das heißt: Wir brauchen die Auflösung der NATO, und wir brauchen den Aufbau einer neuen Sicherheitsarchitektur in Europa unter Einschluss Russlands. Etwas anderes ist überhaupt nicht möglich. Und das heißt auch gute Nachbarschaft. Das heißt Entspannung. Das heißt, auf den anderen einzugehen. Das heißt, dessen Ängste und Sorgen ernst zu nehmen. Wie verkommen die Diskussion ist, zeigt sich ja schon an dem Wort »Putin-Versteher«. Man muss im Grunde, wenn man Außenpolitik machen will, versuchen, den anderen zu verstehen. Man muss auch versuchen, Putin zu verstehen, sonst kann man mit ihm keinen Frieden erreichen. Wir müssen zu »Russland-Verstehern« werden, wir müssen einander verstehen, sonst schaffen wir keinen Frieden, liebe Freundinnen und Freunde.

NATO auflösen

Der erste Generalsekretär der NATO, Lord Ismay, sagte kurz nach Kriegsende: »Die NATO ist geschaffen worden, um die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten.« Und deswegen fragt euch mal, was sich heute geändert hat. Es ist wirklich nicht mehr nachvollziehbar, dass all das, was in den Jahren der Brandtschen Ostpolitik an Entspannung und Verständigung erreicht werden konnte, dass all das verspielt worden ist. Ich sage, wir können aus unserer Geschichte lernen: Deutschland braucht gute nachbarschaftliche Beziehungen zu Russland. Das ist in unserem ureigensten Interesse. Damals hieß es, wir können den Frieden nur miteinander erreichen, nicht gegeneinander. Und das gilt heute nach wie vor. Dieses ganze Kriegsgerede, diese ganzen Sanktionen – das ist alles spannungsverschärfend. Wir brauchen eine Politik der Entspannung und der guten Nachbarschaft anstelle der Merkelschen Russland-Politik.

Und das heißt, eine Regierung, an der wir mitwirken können, müsste in jedem Fall nein sagen zu jeder weiteren NATO-Osterweiterung. Der ständige Versuch, Russland einzukreisen, ist doch eine Ursache der Spannungen. Es war ein Versprechen, dass man die NATO nicht ausdehnen und an die Grenzen Russlands heranschieben würde. Dieses Versprechen ist gebrochen worden. Jeder Konflikt hat eine Vorgeschichte, und mit dem Bruch dieses Versprechens beginnt der Ukraine-Konflikt. Man schob die NATO immer weiter nach vorn und sagte schließlich, auch die Ukraine brauchen wir. Die Ukraine müsse in die EU, sie müsse in die NATO. Das ist gegen Russland gerichtet. Das war eine völlig falsche Politik, die abgelöst werden muss durch eine Politik der Verständigung mit Russland, sonst werden wir den Frieden niemals erreichen.

Es geht also nicht nur darum, dass wir keine Osterweiterung in irgendeiner Form mittragen können, es geht auch aktuell darum, dass keine Truppen an der Grenze zu Russland stationiert werden dürfen. Die spinnen doch langsam. Welche Gründe haben wir, Truppen an der Grenze zu Russland zu stationieren? Es werden die alten Märchen des Kalten Krieges erneut aufgetischt, indem man sagt, Russland bedrohe uns.

Man muss sich das mal vorstellen: Die NATO gibt 1.000 Milliarden für die Rüstung aus. Russland gibt – das sind die Zahlen von 2013 – 88 Milliarden aus. Die sind doch nicht mehr ganz richtig im Kopf, dass sie sagen, »von einem Land, das 88 Milliarden ausgibt, fühlen wir uns, die wir 1.000 Milliarden ausgeben, bedroht. Wir müssen weiter aufrüsten«. Wie lange glaubt man, der Bevölkerung einen solchen Schwachsinn noch auftischen zu können?!

Und deshalb ist in diesem Kontext ein weiterer Punkt anzusprechen: Die Sanktionen müssen sofort gestoppt werden! Es ist doch wirklich nicht allzu schwer zu begreifen, dass dann, wenn ein Land destabilisiert wird, wenn die Wirtschaft eines Landes in immer größere Turbulenzen gerät, wenn dieses Land immer stärker gefährdet wird, dass dann kein Mehr an Sicherheit gewonnen wird, sondern dass dann die Situation immer weiter eskaliert. Und wir müssen wissen, dass heute zur Kriegführung nicht nur Truppen und technisches Gerät gehören, sondern auch ökonomische Mittel. Man muss wissen, dass der IWF nichts anderes ist als ein verlängerter Arm der US-Politik. Genauso wie die NATO. Und deshalb müssen beide völlig reformiert und völlig anders gestaltet werden. Und das heißt, der IWF muss in eine demokratische Organisation umgewandelt werden. Und seine ganze Politik muss sich ändern. Es darf doch nicht sein, dass der IWF eingesetzt wird, um ökonomische Interessen Amerikas durchzusetzen bei gleichzeitiger Destabilisierung der betroffenen Länder. Aber das ist doch das, was vorgeht, liebe Freundinnen und Freunde.

BRD kein souveränes Land

Es geht heute nicht mehr nur um die Eroberung von Territorien, sondern es geht vielmehr um die Eroberung von Märkten. Man muss sich nur anschauen, welche Konzerne in der Ukraine mittlerweile Verträge abgeschlossen haben. Noch immer gilt das alte Verdikt: Außenpolitik ist nichts anderes als der ständige Kampf um Rohstoffe und Absatzmärkte. Das brauchen wir nicht – weder mit kriegerischen Mitteln noch durch sogenannte internationale Finanzinvestitionen. Man kann auch fairen freien Handel treiben, ohne den anderen in die Knie zwingen zu wollen.

Eine große Rolle hat über viele Jahre hinweg die NATO-Infrastruktur gespielt. Die Forderung: »Ausscheiden aus der NATO-Infrastruktur« ist ein Synonym für all das, was ich bisher gesagt habe. Denn sie war bisher das Instrument, um die von mir genannte Politik – die Amerikaner drinnen, die Russen draußen und die Deutschen unten zu halten – zu verwirklichen. Mit Brzeziński, dem ehemaligen Sicherheitsberater der US-Regierung, gesprochen: Durch dieses Instrument sind die Staaten Westeuropas und Mitteleuropas mehr und mehr Vasallen oder Tributpflichtige.

Und natürlich muss man wissen, was Ziel der US-Außenpolitik bis zum heutigen Tag ist – man kann es bei Leuten wie Brzeziński nachlesen. Ihr Ziel ist die Aufrechterhaltung ihrer Weltmachtstellung. Niemand soll diese gefährden. Von wegen demokratische Weltordnung, an der im Sinne des Westfälischen Friedens alle Staaten gleichberechtigt mitwirken! Nein, sie schreiben wörtlich: »Wir wollen die Vormachtstellung Amerikas in aller Welt mit allen Mitteln verteidigen«. Aber natürlich wird da immer wieder auch in der öffentlichen Diskussion hierzulande mit der Erzählung gearbeitet, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat, es gehe um den Ausbau der Demokratie, es gehe um Frauenrechte, es gehe um Menschenrechte. Nein, es geht um die erwähnte Machtpolitik. Wirkliche Demokratien dagegen würden die damit verbundenen Opfer, die man der eigenen Bevölkerung zumutet, aber auch den anderen zumuten will, gar nicht mittragen. Und das ist richtig. Hier hat man wiederum Anlass zu sagen, man braucht, um eine friedliche Welt einmal erreichen zu können, den systematischen Aufbau demokratischer Gesellschaften.

Die NATO-Infrastruktur ist eben, wenn man so will, der Stein des Anstoßes, wenn darüber diskutiert wird, was sich hier verändern soll, damit dieses Vasallentum und diese Tributpflicht abgeschafft werden. Bei allen Kriegen wurde diskutiert, ob wir uns beteiligen. Die Bundesrepublik Deutschland war praktisch an jedem Krieg beteiligt, den die Vereinigten Staaten von Amerika geführt haben, weil alle Kriege, die sie geführt haben, auf US-Einrichtungen in Mitteleuropa zurückgegriffen haben. Wir waren niemals unbeteiligt. Und solange das so ist, sind wir kein souveränes Land.

Ich hatte vor kurzen die Ehre, mit einer Politikerin der Grünen, mit Frau Göring-Eckardt, im Fernsehen zu diskutieren. Ich habe ihr die Frage gestellt, wie sie denn zu den Drohnenkriegen stehe, die auch vom Boden der Bundesrepublik Deutschland aus geführt werden. Dieser Frage wich sie permanent aus. Wie wollen wir denn über deutsche Außenpolitik diskutieren, wenn wir diese Frage ausklammern? Wie wollen wir uns denn über Terrorismus empören, wenn wir einfach ausklammern, dass ohne Rechtsgrundlage Tausende Menschen mit Drohnen ermordet werden, auch von deutschem Boden aus? Wie wollen wir das moralisch rechtfertigen? Ehe wir mit dem Finger auf andere zeigen, müssen wir bei uns anfangen und müssen aufhören, unser Terrain zur Verfügung zu stellen, damit Drohnenmorde in aller Welt durchgeführt werden.

Wer dazu schweigt, der soll sich in die jetzige Diskussion am besten überhaupt nicht einmischen, weil er erkennbar mit zweierlei Maß misst. Deswegen war ich so dankbar, dass Willy Wimmer kürzlich in der jungen Welt dazu eine Bemerkung gemacht hat. Man müsse sich vorstellen, führte er aus, wie es denen geht, die durch diese Drohnenmorde ihre ganze Familie verlieren, ihre ganze Verwandtschaft. Das ist nichts als blanker Terrorismus. Wir können ihn weltweit nur dann bekämpfen, wenn wir damit beginnen, unseren eigenen Terrorismus zu bekämpfen.

Ein Hinweis zur Abhörtechnik. Dass eine Regierung, die vom Grundgesetz her verpflichtet ist, die Freiheit ihrer Bürgerinnen und Bürger zu schützen, dass eine solche Regierung noch nicht mal mehr in der Lage ist, einem Verbündeten zu sagen: »Es geht nicht, dass unsere ganze Bevölkerung abgehört und ausspioniert wird«, das ist doch wirklich ein Zeichen dafür, dass Vasallentum und Tributpflicht womöglich noch zu harmlose Vokabeln sind. Wo bleibt denn überhaupt ein Begriff von Freiheit, wenn man den totalen Verlust der Privatheit durch eine verbündete Macht akzeptiert und praktisch nichts dagegen unternimmt?

Die Waffenexportpolitik müssen wir sofort ändern. Ein erster Schritt müsste sein, dass unverzüglich Waffenlieferungen in Spannungsgebiete sofort und unwiderruflich eingestellt werden. Unsere Bundeskanzlerin hat im vergangenen Jahr wörtlich gesagt, ich habe das zweimal gelesen, Saudi-Arabien sei ein wichtiger Partner im Kampf gegen den Terrorismus. Dann aber regen sie sich über die Verbrechen des IS auf! Es ist richtig, dass man sich darüber aufregt, aber Enthauptungen, Steinigungen usw. werden doch in Saudi-Arabien ebenfalls durchgeführt, das ist eine reaktionäre autoritäre Diktatur, die auch die eigene Bevölkerung mit Terror überzieht. Und deshalb kann man doch diesen Staat nicht zum wichtigen Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus erklären. Das ist die Doppelmoral, die dazu führt, dass die Welt immer unfriedlicher wird.

Pervertiertes Gebot

Und bei allem Bemühen, die Bundesrepublik Deutschland immer stärker in diese Politik zu integrieren, wird versucht, mit vorgeschobenen humanen Argumenten eine Notwendigkeit dieser Politik zu begründen. Immer wenn irgendwo, das bisher letzte Mal war es beim Konflikt zwischen dem IS und den Kurden, immer wenn irgendwo Verbrechen begangen werden, dann wird irgendwann ein Konflikt herausgegriffen, dann wird gesagt, hier müssen wir uns jetzt militärisch engagieren, das gebietet die Menschlichkeit. Es gibt immer wieder Leute, auch bei den Linken, auch bei den Gewerkschaften, bei den Kirchen usw., die auf dieses Argument hereinfallen. Der evangelische Bischof Wolfgang Huber hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Beitrag verfasst, in dem er schreibt, dass das christliche Gebot »Du sollst nicht töten« auch heiße, »Du sollst nicht töten lassen«. Mit anderen Worten: »Du musst militärisch intervenieren, wenn irgendwo Konflikte bestehen.« Diese Argumentationslogik findet sich immer wieder, und viele fallen darauf hinein. Es gibt ein simples Gegenargument. Wenn ich auf der einen Seite die Wahl habe, bei den ungezählten Konflikten dieser Welt tausend Menschenleben zu retten, ohne jemanden töten zu müssen, und auf der anderen Seite die Wahl, in einem Krieg tausend Menschenleben zu retten, aber dabei leider eben auch Hunderte töten muss, dann dürfte doch die Entscheidung nicht allzu schwer fallen, wo ich in erster Linie versuchen werde, meine Hilfe zu leisten. Das Schlimme ist jedoch, dass die Humanität dieser Menschen immer nur erwacht, wenn sie zu den Waffen rufen können, aber niemals, wenn sie helfen können, ohne töten zu können. Das macht die Brutalität dieser Diskussion aus. Woran unsere Gesellschaft krankt, lässt sich daran zeigen, dass eine geringere Summe dafür zur Verfügung gestellt wird, Flüchtlinge zu ernähren als für Waffenlieferungen.

Ich fasse zusammen: Winston Churchill, der ein Zyniker war, hat einmal gesagt, im Krieg ist die Wahrheit so kostbar, dass sie stets von einer Leibgarde aus Lügen umstellt sein muss. Dieser Zynismus charakterisiert die gesamte Außenpolitik. Es beginnt ja mit den Begriffen. Die werden, mit Ausnahme der jungen Welt, nirgendwo hinterfragt. Da wird beispielsweise vom US-amerikanischen Verteidigungsminister, vom US-amerikanischen Verteidigungsetat und so weiter gesprochen. Als würden sich die Vereinigten Staaten gegen irgend jemand verteidigen, das ist doch eine einzige Lüge! Die ganze Außenpolitik ist ein Lügengebäude, und wir haben die Aufgabe, diese Lügen zu durchbrechen, wenn wir wirklich zu einer friedlichen Außenpolitik kommen wollen, liebe Freundinnen und Freunde.

Ich kann es in einem Satz zusammenfassen: Auch wir haben unsere Geschichte, und wir müssen aus dieser Geschichte unsere Lehren ziehen, aus den Weltkriegen, aus dem Faschismus. Und aus dieser Geschichte muss doch ein moralischer Impuls erwachsen, der da heißt, wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um die Welt friedlicher zu machen, nach allem, was war. Es gab einen Satz nach dem Krieg, und an dem sollten wir uns immer orientieren – ich sage das gegen alle Zweifler, ich werde keine andere Politik mittragen können –, dieser Satz lautet: »Von deutschem Boden darf niemals wieder Krieg ausgehen!«

 

Oskar Lafontaine ist Vorsitzender der Linksfraktion im Saarländischen Landtag. Von 1985 bis November 1998 war er – noch als SPD-Mitglied – Ministerpräsident des Saarlandes; von 2005 bis 2009 mit Gregor Gysi Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Deutschen Bundestag; vom Juni 2007 bis zum Mai 2010 neben Lothar Bisky Parteivorsitzender der neugebildeten Partei Die Linke

 

Link zur Videoaufzeichnung der Lafontaine-Rede auf der RLK: kurzlink.de/lafontaine

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