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Aus: Gewerkschaften, Beilage der jW vom 23.09.2015

Jahr der Widersprüche

Neben dem Mindestlohn eine Debatte über die Tarifeinheit, Diskussionen zu Streikrecht und TTIP – Bewegte Zeiten für die Gewerkschaften
Von Claudia Wrobel
Ein Kampf um Grundsätzliches: Die Gewerkschaft Deutscher Lokomot
Ein Kampf um Grundsätzliches: Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) wehrt sich gegen Eingriffe ins Streikrecht durch das »Tarifeinheitsgesetz« (München, Mai 2015)

Das Jahr 2015 war für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ein widersprüchliches. Mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns wurde im Januar eine der wichtigsten Forderungen der Gewerkschaften erfüllt. Doch die Regelung dazu ist gespickt mit Ausnahmen: Minderjährige, sogenannte Langzeitarbeitslose oder Praktikanten bleiben erst mal außen vor. Von einem allgemeinen Standard kann also keine Rede sein. Trotzdem half das Gesetz, Tarifverträge in Branchen zu vereinbaren, in denen sich die Unternehmen jahrzehntelang dagegengestemmt hatten. So etwa das Friseurhandwerk. Preis für die kollektive Absicherung der Angestellten ist das Zugeständnis, dass noch bis kommendes Jahr Stundensätze gezahlt werden können, die unter den gesetzlich vorgeschriebenen 8,50 Euro liegen. Erst bei Ablauf der Tarifverträge wird sich zeigen, ob es klug war, diese Kröte zu schlucken.

Auch die beabsichtigte gesetzliche Verankerung der sogenannten Tarifeinheit stellt den Gewerkschaftsbund vor eine große Herausforderung. Künftig soll nur noch diejenige Gewerkschaft im Betrieb tariffähig sein, die dort die meisten Mitglieder organisiert. Doch im DGB ist die Position zu der angedachten Regelung sehr unterschiedlich.

Während die Gewerkschaften Erziehung und Wissenschaft (GEW), Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) und ver.di noch immer Unterschriften gegen das Gesetz sammeln, begrüßen die anderen DGB-Mitglieder und der Dachverband selbst die Pläne. Die internen Debatten darum sind recht ruhig geworden. Und auch die Unterschriftensammlung läuft schleppend. Mittlerweile werben die Gewerkschaften kaum noch für ihr Anliegen, keine 100.000 Personen haben den Protest im Internet unterstützt. Es scheint, als sei es nur noch ein Thema für die Berufsgewerkschaften, die sich sehr laut dagegen wehren. Die Gesetzesänderung wird wohl Eingriffe ins Streikrecht mit sich bringen – doch die größte Beschäftigtenorganisation der Bundesrepublik hält die Füße still.

Ein Angriff auf erkämpfte Beschäftigtenrechte bleibt selten allein. Die zahlreichen Ausnahmen im Mindestlohn wirken auf Unternehmensverbände wie eine Einladung, noch mehr Sonderregelungen zu fordern. Noch blitzen sie damit ab. Eine weitere Einschränkung des in der BRD stark reglementierten Streikrechts hätte sicherlich ähnliche Konsequenzen. Und eine Erweiterung der Kampfmittel der Beschäftigten, also etwa der politische Streik, steht schon lange nicht mehr auf der gewerkschaftlichen Agenda.

An anderer Stelle kämpft der Gewerkschaftsbund gegen Angriffe auf Arbeitsrechte. Lange hatte es keine oder gar eine verhalten positive Resonanz auf das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement, CETA) beziehungsweise den USA (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) gegeben. Doch nun reiht sich der DGB in ein breites Bündnis gegen die Verträge ein. Unter dem Motto »TTIP & CETA stoppen! Für einen gerechten Welthandel!« wollen die Gewerkschafter am 10. Oktober gemeinsam mit Künstlern, Verbraucherschützern, Entwicklungshelfern und vielen anderen in Berlin protestieren. Nötig ist das. Sonst stellen bald Gesetze zum Schutz von Beschäftigten »nicht-tarifäre Handelshemmnisse« dar und können vor privaten Schiedsgerichten mit einem Handstreich abgeschafft werden. Nur ein erfolgreicher Kampf gegen die vom Kapital so gewünschten Abkommen wird den Gewerkschaften ermöglichen, auch weiterhin Verbesserungen für ihre Mitglieder und alle Beschäftigten zu erstreiten – oder zumindest in den Abwehrkämpfen eine gute Figur zu machen.

 

 

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