Schinderei in der Flasche
Von Daniel BratanovicDas schäbige Ambiente des Discounters steht in schroffem Widerspruch zur verstörend betörenden Lobpreisung seiner wohlfeilen Waren: »Im einzigartigen Klima Südafrikas wachsen außergewöhnliche Chardonnay-Weine wie dieser. Trocken-fruchtig und elegant flirtet er mit der Zunge und zeigt einen kräftig-würzigen Duft.« Was der Werbeprospekt da verheißt, lässt sich bei Penny pro Flasche für den einen für erfreuliche, für die andere für empörende 1,99 Euro erstehen. Ob dieser Weißwein aber genießbar, gar wohlschmeckend ist, muss hier ungeklärt bleiben. Weder Mut noch Verzweiflung waren bisher groß genug, um darauf Antwort geben zu können. Zu fragen wäre allerdings, wie es kommt, dass zu diesem Preis Produkte in den deutschen Handel gelangen, deren Herstellung in etwa 10.000 Kilometern Entfernung erfolgt.
In der zweiten Oktoberwoche hat die Entwicklungshilfeorganisation Oxfam eine Studie vorgestellt, die Aufklärung schafft. Um es vorwegzunehmen, die deutschen Einzelhandelsmonopole gehen trotz oder wegen dieser Preise noch regelmäßig als Gewinner aus diesem Produktions- und Distributionsprozess hervor. Den Weinmarkt dominieren sie gegenüber Fachhandel, Kellereien und Gastronomie mit einen Anteil von 61 Prozent. Mit dieser Marktmacht lassen sich die Einkaufspreise diktieren. »Seit dem Jahr 2000«, heißt es im Oxfam-Bericht »Billig verkauft, teuer bezahlt«, »ist der durchschnittliche Exportpreis für südafrikanischen Wein bei der Ausfuhr nach Deutschland um mehr als 80 Prozent von etwas unter vier Dollar auf unter einen Dollar pro Liter massiv gefallen und liegt damit deutlich unter den Exportpreisen in andere Länder.«
Das Zeugs, das Penny und andere in ihre Regale stellen, ist nicht zuletzt deshalb so billig, weil der Wein aus Südafrika kaum mehr in Flaschen, sondern in Flexitanks in die Bundesrepublik ausgeführt wird. Im Jahr 2014 belief sich dieser Anteil auf 79,4 Prozent. Die Mischung verschiedener Rebsorten, die Abfüllung sowie das Marketing erfolgen dementsprechend hierzulande. Diese Arbeitsschritte bis zum vollendeten, also zumindest kaufbaren, Produkt schaffen allerdings einen Neuwert, der deutlich über dem ursprünglichen liegt. Den Weinbauunternehmern in Südafrika bleiben vom Gesamtwert beim Tankwein gerade einmal kümmerliche drei Prozent übrig.
Solidarität mit den armen, armen Rebflächeneigentümern vom Kap wird sich dagegen demjenigen verbieten, der sich vergegenwärtigt, was das nun wieder für die Landarbeiterinnen in Südafrikas Weinbergen bedeutet, die dem Kommando der ersteren unterstehen. Tag für Tag verrichten Frauen den Knochenjob auf den Plantagen für einen Armutslohn ohne Arbeitsvertrag und natürlich ohne Gewerkschaft, lesen Pestizid-bespritzte Trauben ohne Schutzkleidung, werden während ihrer Arbeit von den Aufsehern angeschrien, diskriminiert und sexuell belästigt.
Die Flaschen für 1,99 Euro, in denen als geronnene Arbeitszeit solche Schinderei steckt, ziehen in den Metropolen Verkäuferinnen übers Band, die unter Tarif bezahlt werden, keine Ruhezeiten, dafür aber unbezahlte Überstunden zuhauf kennen und krank zur Arbeit wanken, weil sie andernfalls ihre Jobs los wären. Das Geschäft mit den importierten Discountweinen ist ein Schweinesystem, dessen maßgebliche Profiteure Aldi, Rewe- oder Schwarz-Gruppe heißen. Die Leidtragende ist die globale Gesamtarbeiterin, ob in Berlin an der Kasse oder auf der Plantage im Westkap. Gut wäre, sie wehrte sich bald einmal tüchtig. Die Vertilgung von Pennys Südafrika-Chardonnay mag den Blick auf solche Zusammenhänge trüben. Aber zur Strafe sind wenigstens die Kopfschmerzen gewiss.
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