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Aus: Feminismus, Beilage der jW vom 06.03.2019
Stimme erheben

Jetzt hätten wir gern noch die Wahl!

100 Jahre Stimmabgabe ersetzen den Kampf für gesellschaftliche Alternativen nicht. Über freien Willen und ökonomische Zwänge
Von Claudia Wangerin
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Schon Clara Zetkin wusste, dass soziale Emanzipation nicht allein vom Wahlrecht abhängt. Und dennoch kämpfte sie dafür, dass auch Frauen ein solches erhalten. Seit 100 Jahren geben Frauen in Deutschland regelmäßig ihre Stimme ab – dennoch ist, um ein krasses Beispiel zu nennen, Vergewaltigung in der Ehe erst seit 1997 strafbar. Auch Frauen haben damals im Bundestag noch gegen diese Reform gestimmt.

Am 8. März, am Freitag dieser Woche, werden Feministinnen gemeinsam auf die Straße gehen, die sonst zum Teil erbittert streiten – über Themen wie Sexarbeit und das muslimische Kopftuch sowie darüber, ob Frauen geglaubt werden kann, dass sie sich freiwillig für das eine oder andere entschieden haben. Extrempositionen in dieser Auseinandersetzung sind jeweils Schönrednerei auf der einen und Verbotsforderungen auf der anderen Seite. Beides blockiert immer wieder den gemeinsamen Kampf für eine Gesellschaft, in der Frauen nicht mehr in Schubladen wie »Heilige« und »Hure« gepresst werden. Weder durch patriarchale Machtvorstellungen noch durch ökonomische Zwänge.

Unter Freiwilligkeit wird im Spätkapitalismus die Abwesenheit von direktem Zwang verstanden. Nicht nur Frauen, aber gerade sie haben allerdings oft nur die Wahl zwischen schlechten Alternativen.

Der bundesweite Frauenstreik am 8. März steht vor allem im Zeichen des Rechts auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung. Denn darin sind sich alle Feministinnen, die den Namen verdienen, einig: Die Entscheidung »Kinder oder keine« soll nicht durch Strafrechtsparagraphen erschwert werden; Schwangerschaftsabbrüche und ärztliche Informationen darüber müssen entkriminalisiert werden. Mit der »Reform« des Paragraphen 219 a, der »Werbung« für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt, ist das nicht geschehen. Ärztinnen und Ärzte dürfen auf ihrer Homepage nur schreiben, dass sie solche anbieten. Jede weitere Information, etwa über angewandte Methoden, kann nach wie vor zur Verurteilung führen. Außerdem müssen ungewollt schwangere Frauen weiterhin Pflichtberatungsgespräche mit ihnen meist fremden Personen führen, damit der gemäß Paragraph 218 immer noch rechtswidrige Abbruch straffrei bleibt.

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Selbstbestimmung heißt aber auch, dass die bewusste Entscheidung für ein Kind erleichtert wird. Obwohl offiziell seit Jahren der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz besteht – wenn auch nur für vier Stunden am Tag –, suchen viele Mütter beziehungsweise Eltern monatelang vergeblich einen. Nach einer im Januar veröffentlichten Studie verdienen Frauen zehn Jahre nach der Geburt ihres ersten Kindes 61 Prozent weniger als im Jahr davor. Wer vorher schon nicht gut verdient hat, wird dadurch abhängig von einem »Ernährer« oder von Lohnersatzleistungen, die nur widerwillig gezahlt werden.

Wenn eine Frau vom Jobcenter schikaniert wird und Prostitution für das kleinere Übel hält, kann sie sich zwar täuschen, wird aber erst mal nicht auf vergleichsweise privilegierte Feministinnen hören, die es ihr verbieten wollen. Abgesehen davon, dass es in Zeiten explodierender Mieten auch verdeckte Prostitution im Sinne von »Sex für ein Dach über dem Kopf« gibt.

Wenn eine Muslima sagt, sie fühle sich mit Kopftuch und langem Mantel freier, weil ihr dadurch vielleicht sexuelle Belästigung erspart bleibe und sie ihren Körper keiner Bewertung nach unrealistischen Schönheitskriterien aussetzen müsse, wählt auch sie das aus ihrer Sicht kleinere Übel. Wer ihr das nicht verbieten will, muss sich das Kopftuch deshalb nicht schönreden. Denn ohne Zweifel hilft es konservativen Muslimen, das »Heilige-versus-Hure-Schema« zu kultivieren. Aber die zum Teil auch westlichen Zumutungen, denen sich die Kopftuchträgerin damit entziehen will, würden durch ein Verbot nicht verschwinden.

Aus all diesen Gründen kann es am internationalen Frauenkampftag nur um die Abschaffung solcher Zwänge gehen. Seien sie direkt oder indirekt.

Xueh Magrini Troll alias Xuehka hat für junge Welt diese Beilage illustriert. Sie gehört nach ihrer Oma und ihrer Mutter zur dritten Generation von Künstlerinnen in ihrer Familie. Sie ist halb Kolumbianerin, halb Italienerin – und mittlerweile auch Berlinerin. Über ihr Werk sagt sie: »Zeichnen ist mein Weg, mich dem Leben zu nähern und zu verstehen, was um mich herum vorgeht. Mein Leben ist meine größte Inspiration, von Haarentfernung über Politik bis hin zu existenziellen Fragen, ich erlaube mir die Freiheit, über alles, was mir wichtig ist, in meinen Zeichnungen zu sprechen.«

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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