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Aus: Kampf ums Wohnen, Beilage der jW vom 15.07.2020
Kampf ums Wohnen

Keine Atempause

Verdrängung und Wohnungsnot bleiben auch in Coronakrise zentrale Probleme. Mieter müssen die Dinge selbst in die Hand nehmen
Von Jan Greve
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Das Besetzereck in der Oranienstraße am Heinrichplatz (undatiert)

Zu Hause ist es doch am schönsten – sagen zumindest manche. Die eigenen vier Wände stehen in der bürgerlichen Gesellschaft für mehr nur als das buchstäbliche Dach über dem Kopf. Eine gute Wohnung kann Statussymbol sein, sie ist definitiv Ausdruck eines »geregelten« Lebens – denn ohne Meldeadresse kann man hierzulande wenig erreichen. Von daher ist es kein Zufall, wenn bestimmte Gruppen ohne eigene Bleibe, wie Wohnungslose oder in Sammelunterkünften eingepferchte Geflüchtete, marginalisiert werden. Und deswegen liegt in der Forderung, das Recht auf Wohnen für alle durchzusetzen, besondere politische Sprengkraft.

Vor allem aber sind Immobilien ein lukratives Geschäft in der »Mieternation« Deutschland. Und damit sind wir schon mittendrin in der Klassenauseinandersetzung: Auf der einen Seite stehen die Eigentümer von Wohnraum, auf der anderen die, die sich durch Mietzahlungen das Recht aufs Wohnen erst erwerben müssen. Und während die wenigen dank Modernisierungen, Mietsteigerungen oder schlicht durch Neuvermietung ihr Einkommen mehren, müssen sich die vielen in scharfer Konkurrenz zueinander auf dem Wohnungsmarkt durchsetzen, um eines der wenigen bezahlbaren Quartiere zu ergattern.

Diesen Kampf um bezahlbaren Wohnraum hat das Coronavirus noch verschärft. Die Pandemie und die Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Infektionen haben eine Wirtschaftskrise ausgelöst, gegen die die Bundesregierung Milliarden um Milliarden mobilisiert für sogenannte Rettungs- und Hilfspakete. Und beim Thema Wohnen? Da einigen sich Union und SPD auf ein »Mietmoratorium«. Wer wegen der Coronakrise seine Miete nicht zahlen kann, dem durfte zwischen dem 1. April und dem 30. Juni dieses Jahres nicht gekündigt werden. Das war’s. Die SPD wollte diesen pandemiebedingten Kündigungsschutz von drei auf sechs Monate ausweiten, wurde aber von CDU und CSU ausgebremst. Wer es noch nicht gewusst hatte, konnte hier lernen, für wen in diesem Staat Politik gemacht wird. Zumal die Verpflichtung zur Mietzahlung keineswegs aufgehoben wurde. Angefallene Schulden müssen beglichen werden – wenn nicht, wird dennoch gekündigt. Klar: Das Eigentum der Vermieter verpflichtet die Mieter zum Zahlen.

An einem Ort dürften in der Coronakrise die Sektkorken aber geknallt haben: Im Juni stieg die Deutsche Wohnen in den Dax auf. Der Berliner Immobilienkonzern ist mit bundesweit rund 160.000 Wohnungen der zweitgrößte Vermieter hierzulande. Der Weg dieser und anderer großer Wohnungsunternehmen wird in der vorliegenden Beilage nachgezeichnet und dabei festgestellt, dass die Gewinne der Branche auf politische Entscheidungen zurückgehen. Wegen der existenziellen Not vieler Mieter und dem wachsenden Bedürfnis nach Widerstand hat sich unter anderem die Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« in Berlin gegründet, die über die Hauptstadt hinaus bekannt geworden ist. Mit welchen Problemen die Aktivisten derzeit zu kämpfen haben, ist ebenfalls Thema dieser Beilage.

Verdrängung und neoliberaler Staatsumbau sind bei weitem nicht nur in der BRD an der Tagesordnung, sondern beispielsweise auch im Nachbarland Frankreich. Dem Kampf von Mietern dort ist ein weiterer Beitrag gewidmet. Viele Selbstorganisationen und Initiativen haben das Problem, dass dank komplexer Konstrukte kaum ersichtlich ist, wem Immobilien eigentlich gehören. Eine Studie zum »Transparenzregister«, die Thema dieser Beilage ist, zeigt auf, wie undurchsichtig die Machenschaften des Immobilienkapitals hierzulande sind. Außerdem wird auf den folgenden Seiten ein bundesweit diskutiertes Gesetzesvorhaben beleuchtet: der Berliner »Mietendeckel«. Dass Verdrängung nicht nur ein Problem der Großstädte, sondern auch der Provinz ist, wird in einem Beitrag über Haldensleben in Sachsen-Anhalt deutlich. Zum Schluss wird ein Blick nach Venezuela geworfen, wo dank des staatlichen Programms für sozialen Wohnungsbau Millionen erschwinglicher Quartiere entstanden sind.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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