Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Bertolt Brecht, Beilage der jW vom 08.02.2023
Brecht 125

»Und was immer ich auch noch lerne«

Das bleibt das Einmaleins: Brechts »Lied vom Klassenfeind«
Von Ronald Weber
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Als das Neue Deutschland im Brecht-Jahr 1998 verschiedene Künstler bat, ihr liebstes Gedicht aus dem Werk des Augsburgers zu nennen, wählte der als Klassizist verschriene Dramatiker Peter Hacks das »Lied vom Klassenfeind«. In dessen letzter Strophe heißt es: »Und was immer ich auch noch lerne / Das bleibt das Einmaleins: / Nichts habe ich jemals gemeinsam / Mit der Sache des Klassenfeinds.« Zu Zeiten des DDR-Sozialismus hatte Hacks gegen solche Formen politischer Literatur polemisiert. Sie erschienen ihm in einer postaufklärerischen Zeit als überholt. Jetzt, im wiederhergestellten Kapitalismus, waren sie offenbar erneut angebracht.

Die zitierten Zeilen sind aber nur die Didaxe des Brechtschen Lehrgedichts. Die vorangegangenen elf Strophen bereiten diese Erkenntnis vor, indem sie die deutsche Geschichte aus der Perspektive eines proletarischen Sprechers erzählen und kommentieren. Es ist die Geschichte einer ideologischen Verführung.

Die erste Strophe setzt ein mit einer Erkenntnis, die, wie so oft bei Brecht, aus der physischen Tatsache des Hungers erwächst: »Und ich hatte kein Frühstück zu essen / Und andre, die hatten eins: / Und so lernte ich doch noch alles / Vom Wesen des Klassenfeinds«. Diese frühe Prägung aber reicht offenbar nicht aus. Der Klassengegner verfügt über Überredungskünste, so dass der Sprecher, d. h. das Proletariat, diesem auf den Leim geht, was Brecht in die Neuschöpfung »Und manchen von uns sah ich / Der ging ihnen auf den Strich« kleidet, die das falsche Bewusstsein, den Klassenfeind nicht als solchen zu erkennen, gewissermaßen als eine geistige Form der Prostitution begreift. Solche Momente der Verführung sind der Erste Weltkrieg und die Durchsetzung der bürgerlichen Republik als Abbiegung der Novemberrevolution von 1918: »Und was vom Hungern matt war / War so voll Hoffnung nie.« Auf kleinstem Raum presst Brecht die enttäuschende Erfahrung der Weimarer Republik zusammen, den Weg nach rechts auf Grundlage der Logik des Abwartens und des kleineren Übels: »Und wir schluckten den Pfaffen Brüning, / Damit’s nicht der Papen sei / Und wir schluckten den Junker Papen / Denn sonst war am Schleicher die Reih«.

Die Gelackmeierten sind am Ende die Arbeiter. Brecht stellt ihre Situation in einem verblüffend naiven Naturbild dar. Sie sind diejenigen, die im Regen stehen: »Der Regen fließt eben herunter / Und fließt eben nicht hinauf.« Am Ende jeder der zwölf Strophen des »Lieds vom Klassenfeind« finden sich vier kursiv gesetzte Zeilen, die diese Tatsache in verschiedenen Varianten stets aufs neue betonen: »Und der Pfaffe gab es dem Junker / Und der Junker gab’s dem General / Und der Regen floss nach unten / Und er floss ganz kolossal«. Denn auf Schleicher folgte Hitler, die terroristische Reaktion auf die revolutionäre Arbeiterbewegung.

Erste Arbeiten an dem Text gehen auf das Jahr 1931 zurück. Beendet hat Brecht »Das Lied vom Klassenfeind« aber erst im Exil, wo es 1934 in dem zusammen mit Hanns Eisler herausgegebenen Band »Lieder Gedichte Chöre« im von Willi Münzenberg gegründeten Exilverlag Editions du Carrefour erschien. Brecht war sich recht früh der Niederlage bewusst, die Hitlers Reichskanzlerschaft und der darauf folgende Terror gegen die Arbeiterbewegung bedeutete, und glaubte nicht an die von der KPD offiziell vertretene Position, der Faschismus sei die finale Krise der bürgerlichen Ordnung und nur ein Durchgangsstadium zur proletarischen Revolution. Eine »zähe, mühsame Arbeit der Aufklärung« an Stelle von Protesten und Manifesten sei nunmehr notwendig, schrieb er im Dezember 1933 an den befreundeten sowjetischen Schriftsteller Sergej Tretjakow. Die in »Lieder Gedichte Chöre« versammelten Texte dienen dieser Aufklärungsarbeit.

»Das Lied vom Klassenfeind« steht am Ende der ersten Abteilung, die die Zeit von der Novemberrevolution bis zur Machtübergabe an die Nazis umfasst und mit »1918–1933« überschrieben ist. Sie beginnt mit der »Legende vom toten Soldaten« aus der »Hauspostille«. Das »Lied vom Klassenfeind« setzt hier einen Schlusspunkt, bevor in der zweiten Abteilung, »1933« betitelt, der Faschismus an der Macht ins Bild rückt. Darauf folgen einige Lieder aus den Stücken »Die Mutter« und »Die Maßnahme«, die zu einer revolutionären Auflösung des Problems aufrufen, sowie eine als »Anhang« bezeichnete letzte Abteilung, die mit dem Klagegedicht »Deutschland« endet: »O Deutschland, bleiche Mutter! / Wie haben deine Söhne dich zugerichtet / Dass du unter den Völkern sitztest / Ein Gespött oder eine Furcht!«

An dieser Zurichtung mitzuwirken, verweigert sich das Sprecher-Ich des »Lieds vom Klassenfeind«. Von den Versprechungen der bürgerlichen Republik ­hatte es sich zeitweise einlullen lassen, der Faschismus aber öffnete ihm die Augen. Im »Lied vom SA-Mann«, das Brecht ebenfalls in den Band aufnahm, läuft der Sprecher gutgläubig in den Reihen der Nazis mit. Die zehnte Strophe stellt ein solches Verhalten als dumm und im Grunde wider die Natur dar: »Und wer ihnen da geglaubt hat / Dass sie seine Freunde sind / Der hat eben dann erwartet / Dass der Regen nach oben rinnt.«

»Lieder Gedichte Chöre« erschien mit einer 32seitigen Notenbeilage. Als »Volkslieder des Proletariats« (Hanns Eisler) sollten die Kampflieder auch gesungen werden. Wie gut das insbesondere beim »Lied vom Klassenfeind« funktioniert, lässt sich anhand der Aufnahmen von Ernst Busch nachvollziehen. Aufgrund der Brechtschen Wiederholungs- und Verdopplungstechnik vermittelt sich der beschwörend-drängende Charakter des Lieds aber auch beim Lesen. Brecht hat Formulierungen gefunden, die haften bleiben: »Wir sind Klassenfeinde, Trommler! / Das deckt dein Getrommel nicht zu! Fabrikant, General und Junker / Unser Feind, das bist du!«

Brecht und Eisler wollten mit »Lieder Gedichte Chöre« Mut für den antifaschistischen Kampf spenden. Ob der Band innerhalb Deutschlands Wirkung entfalten konnte, darf allerdings bezweifelt werden. Wie alle Exilliteratur fand er nur schwer seinen Weg ins »Reich«. Innerhalb der über die Nachbarländer Deutschlands verstreuten Exilgemeinde fanden Brechts Lieder allerdings großen Anklang. Arnold Zweig lobte in den Neuen Deutschen Blättern ihre unbedingte »Brauchbarkeit« bei gleichzeitiger »Schönheit« und sprach ihnen einen »klassischen Wert« zu. Das bürgerliche Feuilleton, aus dessen Mund es in Gestalt von Daniel Kehlmann 2008, anlässlich des 110. Geburtstags Brechts, geheißen hatte, es sei ein großes Glück, »dass die Welt nicht so geworden ist, wie er sie sich gewünscht hat«, erkennt im »Lied vom Klassenfeind« Schrecklichstes. Das spricht unbedingt für den Text, der als politisches Einmaleins bis heute Orientierungskraft gibt. Denn natürlich stehen wir immer noch im Regen.

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