Der Preis und sein Preis
Von Daniel BratanovicGetestet und geprüft, bewertet und prämiert, gekennzeichnet und gelabelt – kaum eine Ware, die in den Supermärkten zu Verkauf und Verzehr angeboten wird, die nicht zuvor einem solchen Prozedere unterworfen worden wäre. Da die fertige Ware nicht sprechen kann, um von der ihr eigenen Güte zu erzählen, muss ihre Verpackung den Nachteil kompensieren. Neben deren Aufmachung und deren Design, je nach Produkt mal schrill, mal dezent gestaltet, sollen aufgedruckte Qualitätssiegel dem Konsumenten unbedenklichen, ja vorzüglichen Genuss verheißen und den Anbieter als besonders sorgsamen Hersteller herausstreichen. Die Plakette stiftet Vertrauen, entsprechend viele von ihnen kursieren im Handel. Auf dem deutschen Markt existieren mehr als 1.000 verschiedene Kennzeichen und Labels, chancenlos mithin der, der versucht, in diesem Dickicht den Überblick zu bewahren und das jeweilige Gütezeichen angemessen zu bewerten. Denn gesetzlich geregelt ist da nichts, und demgemäß können Verbände und Unternehmen immer neue Siegel herausgeben und vermarkten, deren Standards in aller Regel im dunkeln bleiben. So kann es vorkommen, dass der Produzent den Konsumenten mit einem scheinbar unabhängigen Qualitätszeichen blendet, das er indessen selbst kreiert hat.
Bisher nicht bekannt ist, dass solche Praxis auch unter Winzern üblich wäre, dass sie also Grandezza vorspiegeln, indem sie den Etiketten ihrer eigenen Weine »Goldmedaillen« aufprägen, die bei von ihnen erfundenen Preisausschreiben errungen worden sein sollen. Das ist auch gar nicht nötig. In der Welt der Weine besteht eine unüberschaubare Vielzahl internationaler Wettbewerbe, deren Zahl weiter steigt. Und das heißt, die Anzahl der prämierten Weine ebenfalls. Bei der weltweit größten derartigen Veranstaltung, den Decanter World Wine Awards wurden im Jahr 2022 rund 18.000 Weine verkostet – etwa 80 Prozent gewannen eine Medaille. Eric Boschman, ein in Belgien bekannter Sommelier, findet, dass die Hunderten und Aberhunderten Medaillen, die auf etlichen dieser Auswahlverfahren verliehen werden, im Grunde nichts wert sind. »Es gibt angelsächsische Wettbewerbe, die eigentlich nur dazu da sind, um damit Kohle zu machen«, sagte er kürzlich dem öffentlich-rechtlichen belgischen Sender RTBF.
Zusammen mit dem Sender statuierte Boschman ein Exempel. Aus einer Auswahl von Supermarktweinen, die weniger als drei Euro die Flasche kosteten, bestimmte er zunächst zielsicher den »schlimmsten«: einen roten französischen Landwein mit der Aufschrift »Bonnes vignes« (gute Reben) für 2,49 Euro. Sodann wurde dessen Äußeres aufgehübscht. Die Flasche erhielt ein aufwendig gestaltetes Etikett mit einer abgebildeten Taube. Aus dem Landwein von den guten Reben war eine »Cuvée spéciale« vom fiktiven Château Colombier (Schloss Taubenschlag) geworden. Den angeblichen Edeltropfen reichte der Sommelier beim französischen Wettbewerb Gilbert & Gaillard ein. Die Organisatoren bewerten nach eigenen Angaben während des ganzen Jahres Weine nach »internationalen Standards« und verleihen alle drei Monate Medaillen, die den Umsatz um rund 25 Prozent steigern sollen.
Der Etikettenschwindel sollte Erfolg haben. Was Boschman schlicht als dégoûtant abgetan hatte, gefiel den Testern von Gilbert & Gaillard außerordentlich: »granatrot« im Glas, »zurückhaltende« Aromen von »Steinfrüchten, Johannisbeere und etwas Eichenholz«, am Gaumen »sanft, spritzig und reich an klaren, frischen Wohlgerüchen, die eine hübsche Vielschichtigkeit versprechen«. Fazit: »Fort intéressant.« Sie konnten nicht anders und vergaben an diesen Spitzenwein gleich sieben Goldmedaillen.
Mag sein, der Château Taubenschlag steht nicht repräsentativ für die tatsächliche Aussagekraft solcher Wettbewerbe bzw. die Güte der dort prämierten Weine. Wo der Zweck der Übung aber in erster Linie in der Umsatzsteigerung besteht, ist Skepsis allerdings erlaubt.
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