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Aus: Kampf ums Wohnen, Beilage der jW vom 01.11.2023
Kampf ums Wohnen

Klassenkampf ums Quartier

Wohnkosten schießen durch die Decke. Regierungen erfüllen Rolle als Gehilfen des Kapitals. Wer zur Miete wohnt, gilt nicht als systemrelevant
Von Marc Bebenroth
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In der Berliner Habersaathstraße 46 sind wohnungslose Menschen in leerstehende Wohnungen eingezogen. Mit den Bewohnern verteidigen sie sich gegen Eigentümer und Staatsmacht (29.10.2020)

»Wir haben euch die Lebenshaltungskosten erhöht. Wir haben euch sogar die Mieten erhöht! Wir haben euch alles erhöht! Aber jetzt auch noch die Löhne?«

Floh De Cologne: »Sozialpartner-Blues« (»Lucky Streik«, 1973)

Die Teuerungen infolge westlicher Russland-Sanktionen ebben nicht ab. Kosten für Lebensmittel, Energie und Unterkunft steigen weiter. Werktätige und jene jungen Menschen, die das absehbar sein werden, müssen deutlich größere Teile ihres Einkommens an ihre Vermieter abdrücken. Konzerne werden vom Staat mit Förderprogrammen bedacht. Wer zur Miete wohnt, wird dagegen nicht als systemrelevant betrachtet. Diesen Menschen und ihren Kämpfen ist die vorliegende Beilage gewidmet. So auch die Bildauswahl: Auf dieser und den folgenden Seiten zeigen wir vor allem Aufnahmen aus dem Berliner Umbruch-Bildarchiv über verschiedene Versuche, Widerstand gegen Verdrängung, Wucherer und Spekulanten zu leisten.

Vertreter der regierenden Parteien werden nicht müde zu betonen, wie wichtig die jungen Generationen für den Wirtschaftsstandort Deutschland seien, vor allem diejenigen unter ihnen mit Hochschulabschluss. Tatsächlich aber kann sich eine immer größer werdende Zahl allein wegen der Wohnkosten ein Studium nicht mehr leisten. Staaliche Leistungen für das gesamte Bildungssystem fallen allerdings lächerlich gering aus im Vergleich zu den Ausgaben für Aufrüstung und andere Wirtschaftssubventionen. Das Wirken der Klassengesellschaft auf dem Campus erklärt Sebastian Edinger. Dass es sich dabei keineswegs um auf die BRD beschränktes »Politikversagen« handelt, zeigt Alex Favallis Blick auf die USA. Dort sieht sich eine ganze Generation vor die »Wahl« gestellt, bei den Eltern zu bleiben, auf beengtem Raum mit anderen Leidensgenossen zu leben oder obdachlos zu werden. Der gleichzeitig enorme Leerstand infolge massenhafter Zwangsräumungen gehört zu den Widersprüchen des kapitalistischen Systems.

In diesem kommt den politisch Verantwortlichen vor allem eine Rolle zu: Sie müssen die Profite des Immobilienkapitals absichern. Da verwundert es wenig, dass Hamburgs SPD-geführter Senat sein selbstgestecktes Ziel beim sozialen Wohnungsbau krachend verfehlt, wie Kristian Stemmler berichtet. Damit lässt sich schließlich kein Geld verdienen. Henning von Stoltzenberg sprach für seinen Beitrag mit Aktiven vom Bündnis »Bezahlbarer Wohnraum Düsseldorf«, denn auch in der Stadt mit dem gegenwärtig wohl größten Nachfragedruck bei Mietwohnungen setzen die politischen Vertreter der herrschenden Klasse auf privates Kapital.

Ein Grund: Der marktradikal umgebaute Staat kürzt bei der Daseinsvorsorge für die vielen und hält seine schützende Hand über die Vermögenden. Das zeigt sich auch anhand des diesjährigen »Wohnungsgipfels« der Bundesregierung von SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, wie Klaus Fischer berichtet. Die Ampelkoalition überlässt in der Krise allerdings das Baukapital zunächst sich selbst, will keine Milliardensubventionen fließen lassen. Die böse »Überraschung«: Konzerne vertagen Wohnneubauten – bis die Bilanz wieder stimmt.

Da die Regierenden keine Pläne verfolgen, die der lohnabhängigen Klasse nützen, muss diese selbst in Aktion treten – auch wenn das dem »sakrosankten« Recht auf Privateigentum an Produktionsmitteln und Infrastruktur entgegensteht. Das zeigt das Beispiel einer gut organisierten Hausgemeinschaft in Berlin-Mitte. Wie der Gewerkschafter Christoph Mayer berichtet, hat die dortige Bezirksverwaltung kein Interesse daran, ihr Vorkaufsrecht geltend zu machen. Das Wohnhaus sei noch nicht verfallen genug, um in die öffentliche Hand überzugehen.

Jener Unwille, vorhandene Instrumente gegen das Kapital in Stellung zu bringen, verheißt nichts Gutes für die Vergesellschaftung der Bestände großer Konzerne. Wie dies in Berlin praktisch umgesetzt werden könnte, dazu hat die Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« dieses Jahr einen konkreten Plan vorgelegt. Sandra Schönlebe hat sich das umfassende Konzept genauer angeschaut und kann diesem einiges abgewinnen. Doch am Ende gilt mit Bert Brecht: Wo Häuser leer stehen, während Menschen ohne Bleibe sind, wird das denen nicht auf ewig passen.

Marc Bebenroth ist Redakteur der Tages­zeitung junge Welt im Ressort Innenpolitik

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