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Aus: Dokumentation: »Wir klagen an«, Beilage der jW vom 08.05.2024
Palästina-Kongress

Mehr als 76 Jahre Kolonialisierung Palästinas

Das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge ist nicht verhandelbar, für Gerechtigkeit unumgänglich und praktisch realisierbar
Von Salman Abu Sitta
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Während der Übertragung von Abu Sittas Beitrag auf dem Palästina-Kongress kappte die Polizei den Strom (Berlin, 12.4.2024)

Die junge Welt dokumentiert den anhand der Videoaufzeichnung übersetzten Vortrag von Salman Abu Sitta. Die darin vorkommende Bezeichnung Gazas als »Konzentrationslager« kann als Relativierung des Konzentrationslagersystems des Nazifaschismus interpretiert werden und wäre als solche falsch und kategorisch abzulehnen. Auch Abu Sittas Darstellung der Ereignisse vom 7. Oktober 2023 erscheint angesichts der zahlreichen zivilen israelischen Opfer an diesem Tag als verkürzte Darstellung, die wir so nicht teilen. Abu Sitta beendet seine Rede mit dem Ausspruch »Palästina muss frei sein, vom Fluss bis zum Meer«. Eine Strafbarkeit dieser Aussage ist nach Auffassung von Juristen und Gerichten kontextabhängig. Aus der Darstellung Abu Sittas ergibt sich eindeutig, dass er diese Aussage mit Blick auf ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Juden und Palästinensern auf dem Gebiet des historischen Palästina trifft. (jW)

Vielen Dank, dass Sie mich heute zum Palästina-Kongress in Berlin eingeladen haben. Ihre Veranstaltung kommt nicht nur wegen des laufenden Völkermordes in Gaza zur rechten Zeit, sondern auch wegen der Politik der deutschen Regierung in Vergangenheit und Gegenwart. Niemand, absolut niemand, kann ignorieren, was sich heute in Gaza abspielt. Es gibt nichts Vergleichbares in der Geschichte der Menschheit. Natürlich hat es in der Geschichte viele Massaker und Greueltaten gegeben. Wir haben die Aufzeichnungen gesehen, die auf alten Mauern eingemeißelt sind und Beschreibungen in Geschichtsbüchern. Wir haben Berichte über Nero gelesen, der Rom niederbrannte. (Nächster Satz unverständlich, jW) Und wir haben viele Male in Filmen und Museen die Greueltaten der Nazis im Zweiten Weltkrieg gesehen. Wir haben von den Massakern im afrikanischen Ruanda gehört. Aber wir haben noch nie alle diese Greueltaten auf einmal täglich im Fernsehen auf unseren Bildschirmen mitverfolgt. Diese Grausamkeiten spielen sich jeden Tag vor unseren Augen ab. Wir haben solche Szenen noch nie Tag für Tag gesehen: Von Häusern, die über den Köpfen ihrer Bewohner zum Einsturz gebracht werden. Von einem unter den Trümmern herausgezogenen überlebenden Kind, dessen ganze Familie getötet wurde. Wir haben nie zuvor Menschen gesehen, denen absichtlich Nahrung und Wasser verweigert wird, Kinder, die verhungern und getötet werden, wenn sie eilig nach Nahrung suchen. Wir haben noch nie zuvor gesehen, dass alle Lebensgrundlagen systematisch zerstört wurden: Krankenhäuser, Kliniken, Schulen, Universitäten, Bibliotheken, alte Denkmäler, Moscheen, Kirchen, Universitäten, Friedhöfe, Bäckereien, Wohnhäuser, Geschäfte, Wasservorkommen und alle anderen Lebensgrundlagen werden zerstört. Noch nie haben wir Verbrecher mit ihren blutbefleckten Händen gesehen, die sich als Opfer ausgeben.

Wir haben noch nie so eine Welle der Menschlichkeit gesehen, Menschen guten Willens auf den Straßen der Welt, von ­Chile bis Neuseeland und London, New York, Paris und sogar in Berlin, die vergeblich ein Ende dieses Gemetzels forderten. Wir haben noch nie erlebt, dass trotz all dieses offen zugänglichen Wissens darüber, trotz Meinungsfreiheit die Stimme der Opfer zum Schweigen gebracht, verleugnet, verurteilt und verunglimpft wird. Wir sehen, wie einige westliche Länder den Verbrechern offen helfen, sie unterstützen, ihnen Bomben zum Töten liefern und sich mehrfach weigerten, bei den Vereinten Nationen für ein Ende des Gemetzels zu stimmen.

Die einzige westliche Mission besteht darin, 150 israelische Geiseln zu befreien, die in Gaza festgehalten werden. Hat Ihnen jemand von den anderen Geiseln erzählt? Ihre Zahl ist viel größer, und sie befinden sich viel länger in Gefangenschaft. Es sind die Palästinenser, die seit 76 Jahren als Geiseln gehalten werden. Im Jahr 1948 wurden sie von Israel mit Dutzenden Massakern aus ihren Häusern in 247 Städten und Dörfern in Südpalästina vertrieben. Das sind 2,3 Millionen Flüchtlinge, eingepfercht in Konzentrationslager, die Gazastreifen heißen. Dessen Fläche beträgt 365 Quadratkilometer, das sind 1,3 Prozent von Palästina. Sie wurden nicht nur in den letzten 120 Tagen täglich grausam angegriffen, wie Sie sehen, sondern sie sind seit 1948 bereits 27.000 Tage lang ständig angegriffen und getötet worden, besonders in den Jahren 1953, 1956, 1967 und 1971, 1987. Und dann werden sie seit 2006 von Israel belagert und blockiert. Zu Lande, aus der Luft und vom Meer her wurden ihre Versorgung und ihre Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Im Oktober 2023 durchbrachen Dutzende von jungen Männern den Stacheldraht in Richtung ihrer Heimat. Israel antwortete mit einem Krieg, Tod und Zerstörung.

Sie nennen es Selbstverteidigung. Selbstverteidigung? Aber mal ehrlich, wer war der Verteidiger seiner Heimat, und wer war der fremde Eindringling? Die Landkarte Palästinas bei der Invasion klärt darüber auf (hier und an weiteren Stellen verweist Abu Sitta auf Karten, Grafiken und Bilder, die während seines Vortrags eingeblendet wurden, jW). Sie können sehen, dass die zionistische Invasion Palästinas im April 1948 von einer zionistischen europäischen Armee mit 120.000 Soldaten in neun Brigaden begann, die 38 militärische Operationen durchführten, um Palästina zu erobern. Sie griffen alle roten Gebiete an, die Sie auf der Karte sehen, und besetzten sie. Sie entvölkerten die auf der Karte blau markierten Dörfer, 220 an der Zahl. Innerhalb von sechs Wochen hat die zionistische Armee diese 220 Dörfer sowie elf Städte von insgesamt 530 Dörfern und Städten angegriffen und entvölkert. Und sie verübte in diesem Zeitraum 22 der 50 Massaker, die insgesamt während der Nakba stattfanden. Die Massaker wurden als Waffe im Rahmen der ethnischen Säuberung eingesetzt. Heute werden sie als Völkermord bezeichnet. 1948 hatte der zionistische Angriff unter dem wachsamen Auge der britischen Mandatsmacht stattgefunden, noch bevor ein Staat namens Israel gegründet wurde. Zu diesem Zeitpunkt gab es so etwas wie Israel noch gar nicht. Und bevor ein einziger regulärer arabischer Soldat Palästina betrat, hatte die Nachricht von den Massakern bereits die arabische Welt entflammt. Sie kamen, um zu helfen, aber es war zu spät, zuwenig. Schließlich kontrollierten die Zionisten nicht mehr sechs Prozent von Palästina, wie unter den Briten, sondern nach ihrer Invasion waren es 78 Prozent. Nun besetzt Israel natürlich ganz Palästina.

Kein einziger Hektar dieses Landes wurde auf legalem Wege und unter Einhaltung des Völkerrechts erworben. Dies ist eine Nakba (arabisch für Katastrophe – gemeint ist die Vertreibung und Flucht von 700.000 Palästinensern rund um die Staatsgründung Israels 1948, jW). Auf dieser Karte sehen Sie, wo wir lebten. Und auf der zweiten, wo die Invasion Israels stattfand. Palästina wurde leer und entvölkert. Die Menschen wurden zu Flüchtlingen. Heute gibt es neun Millionen palästinensische Flüchtlinge. Ihre Häuser sind von Israelis besetzt. Kein einziger israelischer Besetzer ihrer Häuser hat einen Rechtstitel. 94 Prozent des Bodens in Israel ist palästinensisches Eigentum. Seit 76 Jahren haben die Palästinenser niemals aufgehört, ihr Recht auf Rückkehr in ihre Heimat einzufordern.

Die UN-Resolution Nr. 194, die das Recht auf Rückkehr bekräftigt, wurde von den Vereinten Nationen mehr als 130mal bestätigt – die am längsten währende Resolution in der Geschichte. Deshalb wurde sie Teil der Konvention und des Völkerrechts. Das Rückkehrrecht ist im Völkerrecht verankert. Soll ich Ihnen mehr über diese Konventionen berichten? Über die Genfer Konvention Artikel vier; die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 13; das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, Artikel sieben und acht; das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, Artikel fünf und acht; und viele, viele andere.

Diese kurze Geschichte wirft die Frage auf: warum? Warum dürfen die Palästinenser immer noch nicht zurückkehren? Weil der ursprüngliche Urheber des Verbrechens und seine Kohorten weitermachen. Auch heute noch. Es sind die Länder, die kürzlich gegen die Waffenstillstandsresolution gestimmt haben. Sie beliefern Israel mit Bomben zum Töten. Das ursprüngliche Verbrechen dauert also seit 27.000 Tagen an. Aber die Palästinenser sind trotzig und entschlossen. Sie haben nicht die Absicht, auf ihr Rückkehrrecht zu verzichten. Und sie wollen nicht für immer Flüchtlinge bleiben. Für immer. Wir haben also eine Pflicht. Sie haben eine Pflicht. Wir haben die Pflicht, die Rückkehr zu planen. Zuerst müssen wir sehen, wer und wo die Flüchtlinge sind. Diese Karte zeigt, wo sich die Flüchtlinge heute befinden. Wir wissen, wo sie sind. Wir wissen, woher sie kommen. Wir kennen ihre Namen. Wir wissen alles über sie. Als nächstes sehen wir, wer heute ihr Land in Israel besetzt hält. Wir haben eine detaillierte Studie gemacht. Dorf für Dorf. Stadt für Stadt. Wir wollten herausfinden, wie viele Juden in den palästinensischen Gebieten leben, und kamen dabei zu einem verblüffenden Ergebnis. Wir fanden heraus, dass es in 246 palästinensischen Dörfern heute keine Juden gibt. Und wir fanden heraus, dass es in 272 Dörfern nur sehr wenige Juden gibt, insgesamt weniger als 5.000. Und das zeigen wir auf dieser Folie. Diese Gebiete, in denen es keine Juden gibt, praktisch keine Juden, sind grün dargestellt. Der Bezirk Beerscheba, zum Beispiel, ist praktisch leer, abgesehen von wiederbesiedelten palästinensischen Städten. Jüdisches Land, wo die Juden während der Mandatszeit lebten, ist blau dargestellt, Städte – gemischt besiedelt oder nicht – sind braun dargestellt. Anders als bei den Dörfern war die israelische Zerstörung der Städte auf die Altstadtbezirke beschränkt. Und daher ist das Gebiet der palästinensischen Dörfer praktisch leer – hier mit roten Punkten dargestellt. Wenn wir also die palästinensischen Dörfer durch die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Häuser wieder bevölkern, werden wir auf kein nennenswertes Problem der Vertreibung von Juden stoßen, insbesondere in Galiläa, dem Kleinen Dreieck und Beerscheba. Dort gibt es bereits eine beträchtliche palästinensische Bevölkerung, die bereit ist, Kinder und Verwandte aufzunehmen. Dann fragen wir: Wo sind denn die Juden heute? Wo sind sie angesiedelt? Im allgemeinen lebten Juden im Jahr 2020 in 924 aufgelisteten Orten mit einer Gesamtbevölkerung von fünfeinhalb Millionen. Sie liegen innerhalb der Waffenstillstandslinie von 1949. Aber das kann irreführend sein, denn nur 14 dieser Orte haben mehr als 100.000 Einwohner. Zwölf haben eine Bevölkerung zwischen 50.000 und 100.000. Und 29 Orte zwischen 20.000 und 50.000 Einwohnern.

Das bedeutet, dass 87 Prozent der Juden in 55 Orten leben. Oder anders ausgedrückt: in fünf Prozent aller Ortschaften, die auf israelischen Karten verzeichnet sind – nur fünf Prozent! Daher beträgt das Gebiet, das heute von Juden in Israel belegt wird, 1.400 Quadratkilometer. Ich wiederhole noch einmal, 87 Prozent der Juden in Israel leben auf 1.400 Quadratkilometern Israels, das sind sechs Prozent, und der Rest des Landes ist praktisch leer. Die verbleibenden Siedlungen der Israelis sind sehr klein, es sind Kibbuzim und Moschawim. Sie wurden dort zusammen mit der Armee zu dem einzigen Zweck plaziert, den Palästinensern die Rückkehr in ihre Häuser zu verwehren. Die Schlussfolgerung ist also offensichtlich. Die geographische und demographische Schlussfolgerung ist offensichtlich. Die Rückkehr ist machbar. Und natürlich ist sie absolut legal, und für die Palästinenser ist sie heilig und unvermeidlich.

Wenn das so ist, sollten wir den Weg zur Rückkehr planen. Beginnen wir mit dem Lager von Al-Bus, wo die Flüchtlinge im Libanon leben. Ich habe Ihnen dies als Beispiel gegeben. Diese animierte Folie zeigt Ihnen die Rückkehrroute der Flüchtlinge aus dem Lager Al-Bus – Sie zeigt die ursprünglichen Dörfer der Flüchtlinge, die jetzt in diesem Lager leben, woher sie kommen. Sie zeigt auch, dass man nur fünf Kilometer zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen muss, um Palästina zu erreichen. Wir können diese Übung für andere Flüchtlingslager im Libanon, in Syrien, Jordanien, Gaza und in der Westbank wiederholen. In allen Fällen dauert die Rückkehr nach Hause nicht länger als 45 Minuten. Wenn die Flüchtlinge nun zu Hause ankommen, finden sie nur noch die Trümmer ihrer zerstörten Häuser vor. Aber diese Trümmer sind von Bäumen bedeckt, die der Jüdische Nationalfonds gepflanzt hat. Wie Sie wissen, hat sich der Jüdische Nationalfonds am Krieg von 1948 beteiligt und war sogar ein aktiver Partner beim Bevölkerungstransfer und bei der Zerstörung der Dörfer. Es ist eine Ironie, dass der Jüdische Nationalfonds heute in vielen westlichen Ländern als Wohltätigkeitsorganisation angesehen wird. Das Verbrechen wird also in eine Wohltätigkeitsorganisation umgewandelt.

Jetzt fragen wir uns, was wir als nächstes tun müssen. Die nächste Aufgabe besteht natürlich darin, die von Israel zerstörten Häuser nach der Rückkehr der Flüchtlinge wieder aufzubauen. Beginnen wir mit einem Dorf, mit Al-Kastal. Jetzt müssen wir jeweils Al-Kastal auf dieser Folge von Dias ausfindig machen. Wir wissen alles über Al-Kastal zu verschiedenen Zeitpunkten, bis das Dorf am Ende zerstört war. Nun sollten wir Al-Kastal neu aufbauen, aber an seinem alten Ort. Diese Aufgabe wurde von einem jungen Architekten namens Jazan Nasrallah übernommen, dessen Familie aus Al-Kastal stammt. Er hat Pläne gezeichnet, um das Haus seines Großvaters wiederaufzubauen. Er hat dafür den ersten Preis für den Entwurf des neuen Hauses in unserem jährlichen Wettbewerb für den Wiederaufbau zerstörter palästinensischer Dörfer gewonnen. Dieser Wettbewerb findet nun schon zum achten Mal statt. Bisher haben 270 junge palästinensische Architekten Preise für Entwürfe für den Wiederaufbau dieser zerstörten Dörfer gewonnen. Bisher haben wir die Wiederaufbaupläne für 60 zerstörte Dörfer fertiggestellt. Die Zukunft Palästinas ist also vielversprechend.

Wir kommen jetzt zu einem Fall, der sehr gut bekannt ist: Gaza. Gaza, das trotzige, das Stalingrad Palästinas, das größte Konzentrationslager auf der Erde, die Heimat des hartnäckigen Widerstands. Sein Boden ist mit dem Blut von Kindern getränkt. Diese 214 Bilder erzählen von den jungen Menschen, die sich nach Hause zurücksehnen. Sie wünschen sich, aus dem Konzentrationslager auszubrechen und nach Hause zurückzukehren. Im Konzentrationslager leben 8.000 Menschen pro Quadratkilometer, und ihre Häuser sind von Siedlern besetzt, bei denen nur sieben Personen auf einem Quadratkilometer leben. Das ist der Grund, warum einige von ihnen am 7. Oktober den Zaun durchbrachen, um heimzukehren.

Ihr Land ist immer noch leer, wie Sie auf diesen Bildern sehen können. Bis heute wurden 110.000 Palästinenser in Gaza getötet oder verletzt. Sie haben mit ihrem Blut für ihr Recht auf Heimkehr bezahlt. Und wir fragen: Wer hindert sie daran, nach Hause zurückzukehren? Wer okkupiert ihr Land? Auf dieser Folie sehen Sie die Anzahl der Siedler auf ihrem Land. Sie befinden sich in 212 Siedlungen oder Kibbuzim. Aber ihre Bevölkerung, die Gesamtzahl der Siedler im südlichen Distrikt beträgt nur 150.000. Das ist weniger als in einem Flüchtlingslager in Gaza. Da haben wir es also: 150.000 Siedler auf dem Land von zwei Millionen Palästinensern, die jetzt als Flüchtlinge im Gazastreifen eingepfercht sind. Und es ist erstaunlich, dass diese Situation, diese Verletzung von Menschenrechten vielen Menschen im Westen, in Europa nicht bekannt ist. Was für eine Travestie der Gerechtigkeit.

Nun will das israelische Militär die Palästinenser erneut aus Gaza vertreiben, in neue Flüchtlingslager fern ihrer Heimat, es will sie rauswerfen ohne Wiederkehr, in die Sinaiwüste. Das wird niemals geschehen. Aber wenn Sie an Menschlichkeit glauben, wenn Sie an Gerechtigkeit glauben, müssen Sie eine legale und gerechte Lösung suchen. Und ich frage Sie, sollen die Palästinenser Flüchtlinge in Lagern bleiben, oder sollen sie nach Hause zurückkehren? Die Antwort liegt für mich auf der Hand. Die Siedler im Land der Palästinenser könnten entweder einen Platz im Land der Palästinenser mieten und dort friedlich leben oder in jüdische Gebiete um Tel Aviv ziehen. Nun, das sind mögliche und friedliche Antworten auf die Frage der vertriebenen Palästinenser. Wir haben diese Übung gemacht, um zu sehen, ob es realisierbar wäre, wenn diese Siedler beschließen, nach Tel Aviv zu ziehen und das Gebiet der palästinensischen Flüchtlinge aus Gaza zu räumen. Ist es möglich? Wir haben das untersucht. Und auf diesen Folien zeigen wir Ihnen, wie es gemacht werden kann. Wir teilen die Siedler in neun Konvois auf, die in Bussen, Autos oder mit Fahrrädern fahren können. Die Siedler werden nur 45 Minuten brauchen, um Tel Aviv zu erreichen. Aber wenn sie das tun, wenn sie das Land der palästinensischen Flüchtlinge räumen, wird das zwei Millionen palästinensischen Flüchtlingen aus 247 Dörfern die Möglichkeit geben, friedlich nach Hause zurückzukehren.

Endlich, nach 76 Jahren des Wartens, würde Gerechtigkeit hergestellt, die Bestand hat, so wie es sein sollte. Aber all das erfordert die Umsetzung eines Kardinalprinzips. Dieser Grundsatz ist unverzichtbar, einfach nicht verhandelbar und unumgänglich. Das ist die Abschaffung des Zionismus und aller seiner Komponenten: Kriegsverbrechen, Enteignung, Rassismus, Besatzung, Apartheid, Diskriminierung und Völkermord.

Lassen Sie mich Ihnen etwas sagen, an das ich mein ganzes Leben lang geglaubt habe. Ich habe den Glauben, den unerschütterlichen Glauben, dass der Marsch der Gerechtigkeit sein Ziel erreichen wird. Ich glaube daran, dass dieses Kind nach Hause zurückkehren wird, trotz aller überwältigenden Gewalt gegen das wehrlose palästinensische Volk und trotz des beispiellosen Völkermords, den Israel in Zusammenarbeit mit kolonialen Regierungen vor den Augen der schweigenden Welt täglich auf grausame Weise begeht. Ich glaube, die Zukunft gehört der Gerechtigkeit in Palästina. Aber Sie, jeder einzelne von Ihnen hat eine Pflicht. In Ihrem eigenen Haus. Bringen Sie Ihren Kindern bei, dass Palästina ihre Heimat und ihr Leben ist und immer sein wird. Sprechen Sie Tag und Nacht für Palästina. Hören Sie niemals auf. Lassen Sie sich in Ihrem deutschen Leben nicht einschüchtern. Sagen Sie Ihrer deutschen Regierung, dass sie das Richtige tun soll. Sagen Sie ihr, dass Palästina nicht will, dass Sie Israel Atom-U-Boote geben. Und Palästina will nicht, dass Sie Israel Milliarden von Euro für Massenvernichtungswaffen geben. Palästina will gar nicht, dass Sie für das Land eintreten, sondern nur, dass Sie aufhören, sich dagegen zu wenden. Palästina will nicht, dass Sie schweigen, Palästina will nicht, dass Sie Tod und Zerstörung schicken. Beenden Sie Ihre Unterstützung dafür.

Das ist das mindeste, das Deutschland aufgrund seiner Geschichte tun könnte. Verbreiten Sie die Wahrheit über Palästina. Die Wahrheit? Wer hat Angst vor der Wahrheit? Nur die Schuldigen. Nur der Verbrecher hat Angst vor der Wahrheit. Palästina muss frei sein, vom Fluss bis zum Meer. Ich danke Ihnen sehr.

Übersetzung aus der englischsprachigen ­Videoaufzeichnung: jW

Salman Abu Sitta wurde 1937 in Ma’in Abu Sitta im Bezirk Beerscheba im Mandatsgebiet Palästina geboren. Im Zuge der Nakba wurde er 1948 von dort vertrieben. Von Beruf Ingenieur, ist er vor allem für seine kartographischen Arbeiten über Palästina und seine Arbeit über das Rückkehrrecht der Palästinenser bekannt. Er ist Autor mehrerer Bücher und Hunderter Artikel und Abhandlungen, darunter »The Atlas of Palestine, 1917–1966« (2010). Er ist Gründer und Präsident der Palestine Land Society. Bereits vor dem Palästina-Kongress war der Wissenschaftler und Autor als »Starredner der Israel-Hasser in Berlin« (Die Welt) diffamiert worden. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hatte ein Einreiseverbot für Abu Sitta gefordert. Bei der Auftaktveranstaltung des Kongresses am 12. April stürmte die Polizei während der Video­übertragung von Abu Sittas Vortrag die Bühne und schaltete den Strom im ganzen Gebäude ab. Begründet wurde dieses Vorgehen mit einem politischen Betätigungsverbot für den Wissenschaftler in Deutschland. Anschließend wurde der gesamte Kongress verboten.

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