75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Dienstag, 17. September 2024, Nr. 217
Die junge Welt wird von 2939 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Fankultur, Beilage der jW vom 31.07.2024
Fankulturbeilage

Fußballnation in Aufruhr

Argentiniens Regierung will Klubs privatisieren. Dachverband AFA und Vereine wehren sich
Von Frederic Schnatterer, Buenos Aires
7.JPG
Argentinische Fans mit Ikone Diego Maradona vor dem Copa-Final-Anpfiff im Hard Rock Stadium von Miami (14.7.2024)

Argentinien ist so fußballverrückt wie wohl nur wenige Länder auf der Welt. Am 14. Juli stellten das die ­Gauchos erneut unter Beweis. Nach Abpfiff des Endspiels um das Kontinentalturnier Copa América, das die argentinische Nationalmannschaft nach Verlängerung gegen Kolumbien knapp für sich entscheiden konnte, strömten Tausende auf die Straßen der Hauptstadt Buenos Aires. Singend, hüpfend, die argentinische Flagge schwenkend, so machten sie sich auf zum Obelisken auf der zentralen Avenida 9 de Julio. Dass es wegen der erheblichen Verzögerung des Anpfiffs bereits nach ein Uhr morgens war und nur wenige Stunden später ein »normaler« Werktag auf sie wartete: geschenkt. Dass der Sieg bei der Copa, auch wenn es die Titelverteidigung war, im Vergleich zum Gewinn der Weltmeisterschaft 2022 deutlich weniger prestigeträchtig ist, ebenso.

In Fußball-Argentinien, der Eindruck konnte in der kalten Nacht am Río de la Plata entstehen, ist die Welt in bester Ordnung. Doch weit gefehlt. Die Zukunft des Nationalsports ist derzeit so ungewiss wie schon lange nicht mehr. Den Klubs und dem argentinischen Fußballverband AFA stehen unruhige Zeiten bevor. Denn: Die ultralibertäre Regierung des Landes rund um Präsident Javier Milei versucht mit aller Macht, die Privatisierung der Klubs voranzutreiben.

»Armutssozialismus«

Es ist mindestens fraglich, ob der Zeitpunkt zufällig gewählt worden war. Nur zwei Tage vor dem Finalspiel veröffentlichte Milei auf X ein Bild mit der Startelf der argentinischen Selección: Das Foto eines jeden Spielers, mit dem Emblem desjenigen Vereins versehen, bei dem dieser unter Vertrag steht. Darunter: »Alle spielen bei Klubs, die Kapitalgesellschaften sind.« Dazu die Aussage: »Gegen den Armutssozialismus im Fußball.«

Dem Tweet folgten bereits am 16. Juli Taten: Per Dekret verfügte die Regierung, dass argentinische Klubs ab dem 1. November in Kapitalgesellschaften umgewandelt werden können. Die Regelung ist Teil eines sogenannten Dringlichkeitsdekrets (DNU). Es sieht vor, dass die Vereine die Beteiligung von Aktionären – explizit auch aus dem Ausland – akzeptieren können. Außerdem dürften die Klubs selbst zu Aktiengesellschaften oder GmbHs werden.

In Zukunft könnte der Zweck der Fußballvereine in Argentinien also darin bestehen, Gewinn zu erwirtschaften. Der Haken an der Sache: Der Dachverband AFA verbietet laut Statuten solchen Klubs die Mitgliedschaft, die nicht »Asociaciones civiles«, also gemeinnützige Vereine, sind. Jegliche Teilnahme an Meisterschaften oder Turnieren ist Kapitalgesellschaften also nicht erlaubt. Und die AFA und ihre Mitglieder, so der Anschein, wollen nicht so einfach nachgeben.

Präsidiale Sondervollmachten

Nach mehreren Tagen des Stillschweigens veröffentliche der Dachverband am 19. Juli eine Presseerklärung zum Thema Privatisierung. Die Grundaussage: Wir bleiben stur. So ändere die neue Regelung der Regierung nichts daran, dass nur gemeinnützige Vereine Mitglieder bei der AFA werden könnten. Diese Entscheidung hätten die argentinischen Klubs frei getroffen, die Einmischung in die internen Angelegenheiten des Dachverbands – so der Versuch, ihn zur Annahme eines neuen Statuts zu zwingen – sei »verfassungswidrig«.

Das Ziel, den argentinischen Fußball zu privatisieren, verfolgt Milei bereits seit langem. Schon im Wahlkampf schwärmte er von den Möglichkeiten, die sich so auftun könnten. Nur wenige Tage nach seinem Amtsantritt am 10. Dezember 2023 versuchte er, ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden. Damals hatte Milei begeistert erklärt, dass es »viele Investoren gibt, die nur darauf warten, tätig zu werden«. Darunter befänden sich in erster Linie Klubs aus dem Ausland, denen bewusst sei, dass Argentinien eine »Wiege von Spitzensportlern« sei. Innerhalb kürzester Zeit könnten »Investitionen von mehr als einer Milliarde Dollar« reinkommen. So habe beispielsweise der englische Topklub Chelsea London »sofort nach der Veröffentlichung des Dekrets« Interesse daran gezeigt, in den argentinischen Fußball zu investieren.

Ende Januar kassierte allerdings ein argentinisches Gericht die Neuerung, nachdem die regionale Fußballiga aus Salto im Norden der Provinz Buenos Aires geklagt hatte. Mit der Verabschiedung des Gesetzespakets Ley Bases im Juni änderte sich jedoch die Situation: Der Präsident verfügt nun für die Dauer eines Jahres über Sondervollmachten, so kann er teils per Dekret regieren. Das möchte Milei nutzen.

Die Debatte in Argentinien ist aufgeheizt. Das zeigt der Umstand, dass die AFA nach der Verabschiedung der neuen Regelung intern Nachrichten an die Klubs verschickte, die Mitglieder im Dachverband sind. In diesen bat sie diese, sich nicht gegenüber der Presse zu dem Thema zu äußern. Auch Anfragen von junge Welt an mehrere Pressesprecher und Klubpräsidenten blieben unbeantwortet, oder aber es wurde darauf verwiesen, dass man »nicht dazu berechtigt sei«, sich zu dem Thema zu äußern. Einzig der Schatzmeister der AFA, Pablo Toviggino, erklärte bereits vor der Veröffentlichung der Presseerklärung auf X: »Es hat sich nichts geändert. Die AFA gehört den Vereinen!«

Marode Spielstätten

Dass der argentinische Vereinsfußball mit finanziellen Problemen zu kämpfen hat, ist unbestreitbar – und in einem Land, das sich seit Jahren in einer heftigen Wirtschaftskrise befindet, nicht gerade verwunderlich. Viele Spielstätten sind marode, talentierte Spieler verlassen die Liga – so früh sie können – Richtung Europa. Darunter leidet auch die Qualität des heimischen Fußballs. Allerdings leisten die Vereine im Land einen Beitrag, der über den reinen Profifußball hinausgeht. So bieten sie weniger beliebte und Randsportarten an, deren Ausübung sonst nicht finanzierbar wäre. Auch die soziale Funktion für besonders marginalisierte Teile der Bevölkerung darf in einem Land wie Argentinien nicht unterschätzt werden.

Daran erinnerte etwa Andrés Ducatenzeiler, der frühere Präsident der Klubs Independiente, im April. Exprofi Sergio Agüero, der bei Independiente ausgebildet worden war, hatte sich in einem Stream für Kapitalgesellschaften ausgesprochen. Das brachte Ducatenzeiler zum Überkochen: »Independiente hat dir die Bücher bezahlt, damit du zur Schule gehen kannst, und deinem Vater einen Job gegeben, als er keine Arbeit hatte! Und jetzt willst du die Klubs privatisieren?« Milei hat das Spiel noch lange nicht gewonnen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Mehr aus: Sport