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Aus: Fankultur, Beilage der jW vom 31.07.2024
Fankulturbeilage

Repressionsmotor abschalten

EM-Aufmarsch der Einsatzkräfte: Bürgerkriegsähnliche Zustände herbeigeredet – und nix ist passiert
Von René Lau
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Die EM ist vorbei – Zeit, Bilanz zu ziehen. Mir geht es dabei weniger um das Sportliche, sondern um das Drumherum, um den Aufmarsch der Repressionskräfte während des Turniers. Der vermittelte Eindruck war der: Jeder noch so gealterte Hooligan oder junge, motivierte Ultra hätte in diesem Sommer nichts anderes zu tun gehabt, als mit Gleichgesinnten in das Land zwischen Ostsee und Alpen einzufallen und keinen Stein auf dem anderen zu lassen.

Und die deutsche Polizei übte im Vorfeld fleißig. Beispiel: Einsatzkräfte mit Pfefferspray in Fanblöcken. Etwa im Gästeblock von Hannover 96 auf St. Pauli. Erinnert sei auch an das stundenlange Festhalten von reisenden HSV-Fans auf dem Nachhauseweg vom Auswärtsspiel in Rostock. Und nicht zuletzt gehörten Drohnen über Stadiondächern und Fanköpfen fast zum Saisonalltag.

Dabei gab es auch keinen Unterschied, ob es sich um ein Spiel der Bundesliga oder der viertklassigen Regionalliga handelte. Auch die Betretungsverbote wurden wieder aus der juristischen Mottenkiste geholt. Dann gab es da noch republikweite Gefährderansprachen. Betroffen waren auch Fans, die noch nie auffällig geworden sind. Aus diesem Grund gehen jetzt einzelne Fans rechtlich dagegen vor. Die »Repressionshighlights« der vergangenen Saison hat der Dachverband der Fanhilfen in einer Dokumentation veröffentlicht. Jedem Bürger dieses Landes, der es mit dem Rechtsstaat hält, dürfte beim Lesen der kalte Schauer über den Rücken laufen.

Erwähnenswert ferner: Innenminister wie Herbert Reul aus NRW. Der CDU-Politiker malte in Talkshows Horrorszenarien an die Wand, fabulierte von bürgerkriegsähnlichen Zuständen, die bei der EM zu befürchten seien.

Was ist letztlich in den vier EM-Wochen passiert? Kleinkram, wie bei Großveranstaltungen üblich, aber nichts Ernsthaftes. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums gab es zwischen dem 7. und dem 27. Juni 2024 lediglich 86 Einreiseverweigerungen gegen Fans. Auf welcher Erkenntnisgrundlage diese erfolgten, dazu erfuhr man vom Ministerium nichts. Auch sonst gab es kaum nennenswerte Auseinandersetzungen, weder zwischen den Fans noch mit der Polizei. Wir hatten ausverkaufte Stadien und Massen von friedlichen Fans ohne Eintrittskarte in den Innenstädten. Der Aufwand, der im Vorfeld des Turniers durch die deutschen Behörden betrieben wurde, war nicht einmal ansatzweise oder verhältnismäßig. Es ging dem Staat um nichts anderes, als Macht und Stärke zu zeigen. Wenn man früher den Begriff »Law and Order« eher mit konservativer Politik in Verbindung brachte, ist heute eine sozialdemokratische Innenministerin das Gesicht einer solchen Repressionspolitik.

Das schlechte Verhältnis zwischen Fans und Polizei kann sich nur bessern, wenn die Einsatzkräfte abrüsten, auch verbal. Innenminister, die Gästeblöcke schließen wollen und immer mehr Polizei herbeireden, für die es keine Rechtfertigung gibt, sind fehl am Platz und haben nichts verstanden. Denn kein Fußballfan, Fanprojektler, Fanhelfer oder Fananwalt will noch einmal eine solche Saison wie die vergangene erleben.

Wenn selbst der DFB jetzt darüber nachdenkt, das »Teufelszeug« Pyrotechnik unter gewissen Umständen im Stadion zu legalisieren, muss auch die Polizei demobilisieren. Die EM jedenfalls kann für eine weitere Eskalation nicht mehr herhalten, denn die war friedlich.

Für jeden Innenminister und Polizeibeamten kann nur gelten: »Weniger ist mehr«, dann klappt’s auch mit dem Fan.

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