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Aus: Thälmann, Beilage der jW vom 14.08.2024
Thälmann

Jahrelanger Kampf

Szenen eines Bildersturms: Die Zerstörung der Thälmann-Gedenkstätte Ziegenhals
Von Max Renkl
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Heute nicht mehr am alten Standort: Mit dem Fährboot »Charlotte« setzten sich Teilnehmer der Ziegenhalser Tagung im Februar 1933 über den Krossinsee ab (1.2.1978)

Mit dem Ausradieren des Gedenkens an einen Menschen von der Statur Ernst Thälmanns ist es so eine Sache. Mit »Teddy« sind tausend Erinnerungen verbunden: Gefühle, inspirierende Gedanken, Bilder. In der DDR wurde auf vielfältige Weise an Thälmann erinnert. Diese Thälmann-Ehrung wurde, wo nicht verteufelt, ab 1990 doch mindestens als »Überhöhung«, »Kult«, »Mystifizierung« abgetan. Das war die propagandistische Begleitung für einen Bildersturm sondergleichen und für die Angriffe auf die Thälmann-Gedenkstätten. Die Gedenkstätte in Hamburg geriet ins Visier, das Monument in Berlin an der Greifswalder Straße und natürlich die in der ganzen DDR bekannteste Gedenkstätte: die in Ziegenhals am südöstlichen Stadtrand Berlins.

In der Sportgaststätte Ziegenhals hatte Ernst Thälmann am 7. Februar 1933, eine Woche nach der Machtübertragung an Hitler, letztmalig vor ZK-Mitgliedern und weiteren führenden Funktionären der KPD gesprochen. Die Rede ist von historischer und aktueller Bedeutung. Sie markierte damals den Beginn des organisierten Widerstands der KPD in Deutschland. Sie gibt heute grundlegende Orientierung für ein klassenorientiertes Herangehen an den Kampf gegen die wachsende Gefahr von neuerlichem Krieg und Faschismus. Die 1953 eingeweihte Ernst-Thälmann-Gedenkstätte wurde zu einem zentralen Anziehungspunkt für die Thälmann-Pioniere, für die FDJ, für Schulklassen, Betriebskollektive, Delegationen aus befreundeten Ländern.

1990 übernahm die Treuhand, später ihr Nachfolger, die Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG), die Immobilie. Die TLG verpachtete die Gaststätte. Das Inventar der Gedenkstätte wurde dem 1990 gegründeten Freundeskreis »Ernst-Thälmann-Gedenkstätte« übergeben. Seitdem kümmerte er sich um Erhalt und Pflege sowie durch Führungen und Veranstaltungen auf vertraglicher Grundlage um die Gedenkstätte.

1997 erhielt die Pächterin, samt Untermietern, von der TLG die fristlose Kündigung. Durch den Protest des Freundeskreises und von Teilen der Anwohner war die TLG gezwungen, öffentlich zu erklären, dass die Gedenkstätte von der fristlosen Kündigung ausgenommen ist und dass die Denkmalauflagen weiterhin Gültigkeit besitzen. 2002 kam es zur Versteigerung, bei der ganz zufällig ein Ministerialrat des Bauministeriums im Land Brandenburg, ein Herr Gerd Gröger, importiert aus Bayern, den Zuschlag erhielt. Ebenfalls zufällig wurden vorherige Kaufgebote nicht berücksichtigt und die Auktion wurde spontan zeitlich vorgezogen, so dass nicht alle potentiellen Bieter anwesend sein konnten. Die ganze Gedenkstätte samt ausgedehntem Wassergrundstück wurde für den Spottpreis von 86.000 Euro verramscht. 2003 wurde die Gedenkstätte geschlossen und dem Verfall preisgegeben.

2010 wurde die Gedenkstätte abgerissen, obwohl der Zuschlag seinerzeit unter der Maßgabe der Erhaltung erfolgt war. Und obwohl sie auf der Denkmalliste des Landes Brandenburg (noch einmal bestätigt 2004) stand. Ganz zufällig kam unter Mitwirkung des Bauministeriums im August 2004 ein neues Denkmalschutzgesetz zustande. Ganz zufällig wurden darin dem Eigentümer größere Befugnisse eingeräumt, wenn der Erhalt eines Denkmals für ihn nicht mehr »zumutbar« sei. Dementsprechend erteilte das Landratsamt 2005 dem Herrn Gröger eine Abrissgenehmigung unter Auflagen.

Es entwickelte sich ein jahrelanger Kampf des Freundeskreises unter der Leitung seines Vorsitzenden Heinz Schmidt, der lokal, regional und bundesweit Unterstützung und internationale Solidarität aus Frankreich, Russland, den USA, Österreich, Tschechien und vielen anderen Ländern erhielt. Trotz Demonstrationen, Postkartenaktionen, Unterschriftensammlungen, Anfragen im Bundestag, zwei Verfassungsklagen: Durch den im Mai 2010 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion durchgezogenen Abriss vervielfachte sich der Wert des Grundstücks. Gröger verkaufte und machte Karriere ausgerechnet in dem Auktionshaus, das die Gedenkstätte versteigerte: Karhausen AG. Dort wurde er zunächst Teilhaber, dann Aufsichtsratsvorsitzender, schließlich Geschäftsführer. Doch der Kampf ging weiter, geführt vom Freundeskreis, gestützt von linken Parteien, Organisationen und Einzelpersonen. Die Forderung lautet weiterhin: Wiedererrichtung der Gedenkstätte am authentischen Ort.

Um die Erinnerung wachzuhalten, wurden Spenden gesammelt und 2013 ein Gedenkstein direkt gegenüber der zerstörten Gedenkstätte errichtet. Es gelang, das Boot »Charlotte« zu sichern und in der Erholungsstätte Heideruh aufzustellen. Es gelang, das Inventar der Gedenkstätte teilweise zu retten und – wenn auch in beengter Weise – der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen. Und es gelingt jedes Jahr um die Gedenktage (7. Februar, 16. April, 18. August) herum, engagierte Menschen und Organisationen zu Kundgebungen in Ziegenhals und Berlin zusammenzuführen und aus dem Gedenken Kraft zu schöpfen für die Klassenkämpfe unserer Zeit. Inzwischen haben sich die Ziegenhalser mit den Berliner Thälmann-Freundinnen und -Freunden zusammengetan und firmieren unter Freundeskreis »Ernst Thälmann Berlin-Ziegenhals«. Sein Motto: die Glut erhalten, nicht die Asche!

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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