Aufmarsch gegen den Machtverlust
Von Jörg KronauerIn fünf Manövern um die Welt: Zwei Monate dauerte die Reise, die die deutsche Luftwaffe im Rahmen ihres Großmanövers »Pacific Skies« absolvierte und die sie alles in allem über drei Weltmeere auf vier Kontinente führte. Dabei nahm sie an fünf großen Kriegsübungen teil: »Arctic Defender« in Alaska; »Nippon Skies« in Japan; »Pitch Black« in Australien, »Rimpac 2024« auf Hawaii und »Tarang Shakti« in Indien. Das Ziel? »Stärke zeigen«, so schallt es einhellig aus Politik und Medien – Stärke vor allem gegenüber der Volksrepublik China, gegen die sich die neue Präsenz der Bundeswehr in der Asien-Pazifik-Region im Kern richtet.
Stärke demonstrieren soll auch die Tatsache, dass nicht nur die Luftwaffe in Zukunft regelmäßig zu Kriegsübungen etwa nach Japan, Australien und Indien entsandt wird, sondern auch die Deutsche Marine – aktuell die Fregatte »Baden-Württemberg« und der Einsatzgruppenversorger »Frankfurt am Main«, die sich ebenfalls auf einer von Manövern begleiteten Weltumrundung befinden –, zudem das Deutsche Heer, das im vergangenen Jahr in Australien den Krieg übte und dies im kommenden Jahr erneut tun wird. Deutschland geriert sich wie zu Kaisers Zeiten wieder als pazifische Macht.
Das ist noch nicht alles. Das zentrale Operationsgebiet der Bundeswehr sieht Berlin immer noch auf dem eigenen Kontinent, und das – wo sonst – im Osten. Auf einen dort zu führenden Krieg bereitet sich Deutschland seit Anfang 2020 im NATO-Rahmen verstärkt mit den »Defender«-Manövern vor – erst »Defender Europe«, dann »Air Defender«, zuletzt »Steadfast Defender«. Die Muster gleichen sich: Truppen aus den USA und Kanada, zum Teil auch aus Großbritannien, landen in norddeutschen Häfen und auf deutschen Flughäfen, marschieren über deutsches Territorium in Richtung Osten. Dort folgen Übungen, die erste Kampfhandlungen simulieren.
Die Manöverschauplätze reichen von Nordnorwegen über das Baltikum bis nach Rumänien. Geprobt werden Panzerschlachten, das Absetzen von Fallschirmjägern, Kämpfe der Infanterie, die Abwehr feindlicher Angriffe auf dem Boden und aus der Luft – alles, was ein direkter, nicht mehr per ukrainischem Stellvertreter geführter Krieg gegen Russland mit sich bringen dürfte. Für den Aufmarsch in Südosteuropa landeten US-Truppen bei früheren Manövern zudem etwa in Kroatien und in Griechenland. Mit Blick nicht zuletzt auf die »Defender«-Manöver hat Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in der Vergangenheit erklärt, künftig müsse man »die Sprache der Stärke« verwenden.
Das gilt auch im Inland. »Steadfast Defender« machte zum wiederholten Mal klar: Der Krieg wird keineswegs bloß an der NATO-Ostflanke und im Pazifik, sondern auch auf deutschem Territorium vorbereitet. Denn zumindest für den Krieg im Osten ist die Bundesrepublik die Drehscheibe, über die Truppen und Material transportiert werden; sie muss deshalb zum einen umfangreiche logistische Aufgaben erfüllen, zum anderen wird sie – als zentrale Drehscheibe für den Nachschub – zur Zielscheibe feindlicher Attacken.
Weil nun aber die aktiven Soldaten der Bundeswehr in den Kämpfen an der Ostflanke gebraucht werden, sollen die logistischen Aktivitäten an der Heimatfront, sofern irgend möglich, von Reservisten übernommen werden, der Schutz kritischer Infrastruktur gegen Sabotage etwa. Im Rahmen von »Steadfast Defender« waren erstmals »Heimatschutzkräfte« an einem NATO-Manöver beteiligt – und darüber hinaus auch Zivilisten, etwa Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks (THW). Der neue »Operationsplan Deutschland«, der im Frühjahr fertiggestellt wurde, sieht weitere Schritte zur Einbindung von Zivilisten in die Kriegführung an der Heimatfront vor. Das reicht von der Nutzung ziviler Infrastruktur, zum Beispiel der Bahn, für den militärischen Transport bis hin zur Versorgung durchreisender Truppen.
Manöver überall. Die Bundeswehr, genauer: die Herrschenden, die sie kommandieren, kennen kein Zurück. Russland hat mit dem Angriff auf die Ukraine die seit 1990 gültige Praxis in Frage gestellt, dass allein der Westen bestimmt, wie die staatlichen Verhältnisse in Europa geregelt werden. China hat mit seinem ökonomischen Wachstum und mit seinem damit verbundenen Machtzuwachs die globale Hegemone des Westens relativiert. Will der Westen sein schwindendes Monopol bei der Gestaltung der Welt sichern, dann muss er einerseits Russlands Krieg gegen die Ukraine scheitern lassen, andererseits China ökonomisch und politisch zurückdrängen.
Mit seinen Manövern droht er beiden, Moskau und Beijing, übt Druck auf sie aus und bereitet sich zugleich darauf vor, schlimmstenfalls – wenn Russland und China sich anders nicht stoppen lassen – die Frage, wer den Gang der Dinge in der Welt bestimmt, gewaltsam zu klären. Besonders wegen des immensen ökonomischen Potentials der Volksrepublik, das den Westen langfristig zur Zweitrangigkeit verurteilen könnte, geht es für die Eliten auf beiden Seiten des Nordatlantiks jetzt um alles.
Deshalb ist Kritik an der Aufrüstung, an dem Manöverboom nicht mehr erwünscht und wird nach Kräften unterbunden. Das bekommen sogar brave Sozialdemokraten wie Rolf Mützenich zu spüren. Mützenich wies Ende Juli im Hinblick auf die angekündigte Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland vorsichtig darauf hin, »die Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation« werde durch die Maßnahme »beträchtlich« erhöht; man dürfe »die Risiken dieser Stationierung nicht ausblenden«. Mützenich wurde schroff abgekanzelt. Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) etwa behauptete, »alles andere« als eine solche Stationierung »wäre nicht nur verantwortungslos, sondern auch naiv«.
Kurz zuvor hatte Chrismon, das Magazin der Evangelischen Kirche in Deutschland, dem Privatdozenten Frank Sauer von der Münchener Universität der Bundeswehr ein Interview eingeräumt. Sauer äußerte, das BSW und die AfD seien, da sie sich gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland stellten, »Desinformationsschleudern« und wollten, den Menschen »jetzt aus innenpolitischen Motiven unnötig Angst vor dem Atomtod einreden«.
Jörg Kronauer ist Journalist und regelmäßiger Autor in junge Welt sowie auf german-foreign-policy.com
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