Der Treibstoff des Krieges
Von Tim KrügerDie Demokratische Republik Kongo (DR Kongo) gilt als eine der instabilsten und am heftigsten umkämpften Regionen des afrikanischen Kontinents. Seit dem Einmarsch der Armeen der Nachbarländer Uganda und Ruanda in den Jahren 1996 und 1998 wird das Land von einem mehr oder weniger ununterbrochenen Konflikt heimgesucht, welcher in den vergangenen Jahrzehnten bereits das Leben von mehr als sechs Millionen Menschen gefordert hat. Heute kämpfen unzählige Milizenverbände und Warlords um die Vormachtstellung und Einflussgebiete in dem zentralafrikanischen Land.
Allein in den östlichen Provinzen des Landes, welche derzeit das Zentrum der Auseinandersetzungen darstellen, operieren mehr als 120 verschiedene bewaffnete Organisationen. Gleich einem Flickenteppich kontrollieren die Milizen die Gebiete nahe der ugandischen und ruandischen Grenze. Den Milizen geht es dabei vor allem um die Kontrolle der Minen und Schürfgebiete im Ostkongo. So finanziert sich ein Großteil von ihnen durch den illegalen Abbau und Schmuggel seltener Erden und anderer Bodenschätze.
Die schlagkräftigste und wohl bekannteste unter den bewaffneten Gruppen ist die im Jahre 2012 gegründete »Bewegung 23. März«. Der mehrheitlich aus der ethnischen Gruppe der Tutsi zusammengesetzte Organisation, die zumeist schlicht unter dem Namen »M23« firmiert, gelang es seit dem Beginn ihrer neuerlichen Offensive gegen die Streitkräfte der DRK, weite Teile der Provinz Nordkivu unter ihre Kontrolle zu bringen und der kongolesischen Armee schwere Verluste zuzufügen.
Die Kämpfe konzentrieren sich vor allem auf die strategisch wichtige Provinzhauptstadt Goma, welche schon 2012 für kurze Zeit unter die Kontrolle der »M23«-Miliz geraten war. Ende Juni gelangen der »M23« strategische Geländegewinne im Norden der Provinz. Die Vereinten Nationen werfen der Rebellengruppe systematische Kriegsverbrechen, Vergewaltigungen und Massenhinrichtungen vor. Laut den Zahlen des Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der UNO sollen bereits 2,8 Millionen Menschen durch die Kampfhandlungen in Nordkivu vertrieben worden sein.
Das benachbarte Ruanda gilt als der wichtigste Sponsor der Rebellengruppe. Die Regierung in Kinshasa wirft den ruandischen Streitkräften vor, die Kämpfer der »M23« mit Waffen, Geld und Ausbildung zu unterstützen. Die ruandische Regierung unter Dauerpräsident Paul Kagame hingegen bezichtigt die Armee der DR Kongo ihrerseits, die Milizen der sogenannten Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR) in Schutz zu nehmen. Die Hutu-Milizen, deren Führer sich aktiv am Genozid an den Tutsi im Jahre 1994 beteiligt haben sollen, haben nach ihrem Abzug aus Ruanda im Osten der DR Kongo ein geeignetes Rückzugsgebiet gefunden.
Während sich die Kampfhandlungen in den vergangenen Jahren vor allem auf Gefechte zwischen den Regierungstruppen mit und unter den Milizen selbst beschränkt haben, hat Ruanda vor allem seit Anfang des Jahres seine Truppen im Grenzgebiet zusammengezogen und soll laut einer Untersuchung der Vereinten Nationen vom Juli mittlerweile sogar mit eigenen Truppen in den umkämpften Regionen der DR Kongo präsent sein. Relativ unbeachtet von der westlichen Öffentlichkeit ließ Kigali im Februar Flugabwehrbatterien und schwere Waffen im Grenzgebiet stationieren. Ein Teil der Truppen soll dabei innerhalb der völkerrechtlich anerkannten Grenzen der Demokratischen Republik Kongo stationiert sein. Die USA riefen zur Deeskalation auf, doch die Regierung Kagames dementierte, eine Aggression gegen das Nachbarland zu planen. Bei den Truppenverschiebungen handle es sich lediglich um Verteidigungsmaßnahmen angesichts der Präsenz der FDLR im Grenzgebiet.
Ganz so defensiv, wie die Regierung in Kigali glauben lassen möchte, scheinen die Aktivitäten der ruandischen Streitkräfte allerdings nicht zu sein. So kam eine Untersuchungskommission der Vereinten Nationen in einem am 9. Juli dem UN-Sicherheitsrat vorgestellten Bericht zu dem Schluss, dass die Regierung Ruandas die Operationen der »M23« nicht nur de facto kontrolliert, sondern auch, dass nach »konservativer« Schätzung bereits jetzt zwischen 3.000 und 4.000 ruandische Soldaten auf der Seite der Rebellen im Ostkongo im Einsatz sind. Der nordöstliche Nachbar Uganda soll laut Bericht ebenfalls die »M23« unterstützen und ihnen freies Geleit durch ugandisches Territorium gewähren, obwohl ugandische Truppen seit November 2021 gemeinsam mit der Armee der DR Kongo gegen ugandische Milizen im Grenzgebiet beider Staaten vorgehen.
Trotz des schwerwiegenden Völkerrechtsbruchs, den der Einsatz ruandischer Soldaten im Ostkongo darstellt, tun sich die USA und die EU schwer, Ruanda zurechtzuweisen und entsprechend zu sanktionieren. Die zögerliche Haltung seitens des Westens in dieser Frage dürfte auch mit dem Rohstoffreichtum der DR Kongo und der ruandischen Exportpolitik zu tun haben. Ging es den belgischen Kolonialherren im 19. und 20. Jahrhundert neben Kautschuk vor allem um die Ausbeutung der kongolesischen Gold- und Diamantenvorkommen, so stehen heute auch verschiedene andere Mineralien, Metalle und seltene Erden im Fokus der Aufmerksamkeit.
So besitzt die DR Kongo geschätzte drei Millionen Tonnen an Lithiumreserven, etwa drei Prozent des weltweiten Vorkommens des mittlerweile als »weißes Gold« gehandelten Metalls. Vor dem Hintergrund der globalen Umstellung auf »grüne Energie« steigt der Bedarf an Lithium, das vor allem in der Batterieproduktion verwendet wird, ins Unstillbare. Laut dem United States Geological Survey (USGS), einer Behörde des US-Innenministeriums, stieg die globale Produktion allein von 2022 auf 2023 um 23 Prozent auf 180.000 Tonnen.
Im politisch etwas stabileren Süden des Landes werden im großen Stil Kupfer und Kobalt, heute vor allem in der Produktion von Elektroautos verwendet, abgebaut. Mit rund 150.000 Tonnen im Jahr 2023 stellte die DR Kongo etwa 70 Prozent der weltweiten Kobaltförderung und ist heute der drittgrößte Kupferproduzent weltweit. In den umkämpften Gebieten im Osten des Landes finden sich große Mengen Zinn, Gold und vor allem Coltan, aus dem das für Elektrogeräte benötigte Tantal gewonnen wird.
Die kongolesische Regierung sieht in der illegalen Ausbeutung der Ressourcen das entscheidende Motiv für die ruandische Aggression im Ostkongo. So erklärte der Vertreter der DR Kongo im April vor dem UN-Sicherheitsrat, die Regierung Ruandas habe durch ihre »berauschte Besessenheit von den wertvollen strategischen Ressourcen, die sich unter der Erde befinden, jeglichen Sinn für die Vernunft verloren«. Beobachter vermuten, dass vor allem Gold und Coltan den größten Teil des Schmuggels ausmachen könnten. Laut veröffentlichten Wirtschaftsdaten erzielte Ruanda mit Gold 2022 und 2023 rund ein Drittel seiner gesamten Exporterlöse. Der Verkauf von Coltan, das in Ruanda gar nicht abgebaut wird, wurde dem USGS zufolge im vergangenen Jahr um fast 50 Prozent gesteigert.
Der UN-Expertenbericht vom Juli spricht von einer direkten Versorgungslinie, die von den unter der Kontrolle der »M23« stehenden Minen nahe der Stadt Rubaya im Ostkongo bis nach Ruanda verläuft. Die DR Kongo ist bislang der führende Produzent von Tantal, das vor allem in der Elektrotechnik und im medizinischen Bereich Verwendung findet. Während immer offensichtlicher wird, wie Ruanda vom Rohstoffraub in der DR Kongo profitiert, hat die EU erst im Februar 2024 ein Memorandum über eine »strategische Partnerschaft für nachhaltige Rohstoffwertschöpfungsketten« mit dem ostafrikanischen Land unterzeichnet.
Die Europäische Kommission bezeichnete Ruanda als »wichtigen Akteur in der weltweiten Tantalgewinnung« und benannte auch die Produktion von Zinn, Wolfram und Niob. Ruanda habe das Potential, eine »Drehscheibe für die Wertschöpfung im Mineraliensektor« zu werden, so die Kommission. Der kongolesische Präsident Félix Tshisekedi verurteilte das Abkommen, als »eine geschmacklose Provokation« und erklärte angesichts der anhaltenden Kampfhandlungen, dass es scheine »als ob die EU stellvertretend Krieg gegen (die DR Kongo, jW) führen würde«. Die Absichtserklärung folgt den jüngsten »Rohstoffpartnerschaften« der EU mit der DR Kongo, mit Sambia, Namibia, Argentinien, Kanada, Chile, Grönland, Kasachstan und der Ukraine.
In den vergangenen Jahren finanzierte die Europäische Union zudem die ruandische Interventionstruppe in Mosambik. Angesichts des steigenden Drucks wurde die finanzielle Unterstützung der ruandischen Streitkräfte zwar vorerst eingestellt, am lukrativen Raub der kongolesischen Rohstoffe scheint man allerdings durchaus weiterhin interessiert zu sein. Berichte, wonach Ruanda hochentwickelte Waffen, Störsender, Flugabwehrsysteme und Bodentruppen in den östlichen Provinzen der DR Kongo stationiert hat sowie in den von der »M23« gehaltenen Gebieten eine Art Parallelverwaltung errichtet, lassen vermuten, dass es der ruandischen Führung darum gehen könnte, eine langfristige »Pufferzone« zwischen beiden Ländern zu errichten.
Die weltweit steigende Nachfrage und verschärfte Konkurrenz wird die Rohstoffe und seltenen Erden im Osten der DR Kongo wohl auch weiterhin zum Treibstoff des Krieges machen. Sollte die Lage weiter eskalieren, ist auch eine direkte Konfrontation zwischen Ruanda und der DR Kongo nicht auszuschließen – mit verheerenden Folgen für die Menschen dort, die nach Jahrzehnten des Horrors Frieden und Stabilität bitter nötig haben.
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