Solarausbau mit Faktor zehn
Von Wolfgang PomrehnHierzulande jammern noch immer Konservative und Faschisten über den anstehenden Umbau von Energieversorgung und Verkehr herum, phantasieren Liberale von »Technologieoffenheit« und nutzen ansonsten jede Gelegenheit, Kosten auf die Bürgerinnen und Bürger abzuwälzen und für ihre industrielle Klientel – zum Beispiel über die Gestaltung des Strommarktes – den einen oder anderen Extraprofit herauszuschlagen. Im globalen Maßstab hat die Energiewende jedoch richtig Fahrt aufgenommen.
Während hiesige Grüne vor Erdölprinzen dienern, um noch ein bisschen länger fossiles Erdgas verbrennen zu können, hat zum Beispiel Äthiopien zu Jahresbeginn als weltweit erstes Land die Einfuhr von Pkw mit Verbrennungsmotoren verboten, wie der US-Sender CNN berichtet. Knapp zehn Prozent aller Pkw haben dort bereits einen Elektromotor – in Deutschland sind es hingegen erst 4,8 Prozent. Der Strom wird in dem aufstrebenden, aber von blutigen Bürgerkriegen geschüttelten Land fast ausschließlich mit Wasserkraft und einigen Windkraftanlagen gewonnen.
Weltweit ist es vor allem China, das den erneuerbaren Energieträgern zum Durchbruch verhilft. Zum einen durch einen inzwischen wirklich atemberaubend schnellen Ausbau der Nutzung der Solar- und Windenergie; zum anderen mit einem ähnlich raschen Aufbau enormer Fertigungskapazitäten für Windräder, Solaranlagen und Elektrofahrzeuge aller Art. Ein Richtlinienpapier der Kommunistischen Partei hat diese Politik Mitte August bestärkt und neue Ziele gesetzt, wie die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua Mitte August berichtete. 2030 sollen 25 Prozent der Energieversorgung aus emissionsfreien Quellen kommen. Unter anderem soll auch die Verwertung von Abfällen deutlich ausgebaut werden, zum Beispiel zur Gewinnung von Strom und Wärme durch Müllverbrennung.
Um Wind- und Solarstrom besser einzubinden und auszunutzen, will man die Speicherkapazitäten ausbauen. Konkret wird etwa der Bau neuer Pumpspeicherwerke genannt, allerdings werden in der Volksrepublik auch verschiedene andere Speicherformen entwickelt. Da ist etwa das weltweit erste Schwerkraftspeicherkraftwerk, das ein Schweizer Unternehmen in der Küstenprovinz Jiangsu nördlich von Shanghai gebaut hat. Im vergangenen Jahr ging es in Betrieb. 3.500 Gewichte, jedes 25 Tonnen schwer, werden dort mit Strom in bis zu 120 Meter Höhe gezogen. Bei Strombedarf im Netz können sie abgesenkt werden, wobei ein Generator angetrieben und die Gravitationsenergie wieder in elektrischen Strom umgewandelt wird. Drei weitere derartiger Speicher sind bereits im Bau und sechs noch in der Planungsphase.
China hat gleich mehrere gute Gründe, den Umbau voranzutreiben. Zum einen ist da die Aussicht, sich von Energieeinfuhren unabhängig zu machen und die westliche Konkurrenz technologisch zu überholen. Zum andern hat das Land vom Klimawandel einiges zu befürchten. Diverse Millionenstädte und Megametropolen an den Küsten sind vom steigenden Meeresspiegel bedroht und werden langfristig voraussichtlich nur mit gigantischen Dämmen zu schützen sein. Außerdem haben die Dürren und Extremniederschläge des zurückliegenden Sommers gezeigt, wie verwundbar die Landwirtschaft und damit die Versorgungen der 1,4-Milliarden-Bevölkerung sein kann. In China, wo sich die Alten noch an die letzte große und besonders tödliche Hungersnot der Jahre 1959 bis 1961 erinnern, ein besonders heikles Thema.
Allerdings hat die chinesische Solarindustrie derzeit Wachstumsschmerzen der besonderen Art. Trotz enormen Wachstums bei den installierten Anlagen vor allem in China als auch in manchen anderen Ländern sind die Fertigungskapazitäten noch schneller ausgebaut worden. Das führt zu einer temporären Überproduktion, die auf die Preise drückt. Für die Hersteller ist das ein Problem, weil viele Schwierigkeiten haben, profitabel zu arbeiten. Die Regierung in Beijing versucht daher, den weiteren Ausbau zu begrenzen.
Für die potentiellen Käufer der Anlagen ist der Preisverfall hingegen ein Segen. Selbst hierzulande ist Solarenergie inzwischen die kostengünstigste Form der Stromerzeugung, wie das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ermittelt hat. Das treffe auch dann noch zu, wenn die Ausgaben für die Speicherung eingerechnet werden. Letztere ist für den nur tagsüber anfallenden Sonnenstrom notwendig, wenn Kohle- und Gaskraftwerke ersetzt werden sollen. Das hält Politiker aus der EU und den USA allerdings nicht davon ab, sich über die günstigen Exporte aus China zu beklagen und die Zölle zu erhöhen, wie zuletzt in den USA geschehen. Sie schädigen damit aber auch die heimische Wirtschaft, denn inzwischen entsteht der größere Teil des Wertzuwachses durch Zusatzgeräte wie die notwendigen, unter anderem in Deutschland hergestellten Wechselrichter sowie örtlichen Handwerkskosten.
Doch wie viele Solaranlagen braucht die Welt eigentlich? Wenn man davon ausgeht, dass keine weiteren Treibhausgase mehr in die Luft geblasen werden sollen, muss in den nächsten Jahrzehnten die Energieversorgung nahezu vollständig elektrifiziert werden. Auch Raumwärme und der Verkehrssektor müssen mit elektrischer Energie bewerkstelligt werden, und für einige Anwendungen, wie etwa die Rohstahlerzeugung, braucht es Wasserstoff, der ebenfalls mit Strom erzeugt werden muss. Bei einem Anteil der Solarenergie von 80 Prozent an der Versorgung und einer Weltbevölkerung von zehn Milliarden, die etwa auf dem europäischen Wohlstandsniveau lebt, würden dafür Solaranlagen mit einer Leistung von 100 Terawatt (100.000 Gigawatt) benötigt, rechnet die International Solar Energy Society vor.
Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) waren Ende 2023 insgesamt 1,6 Terawatt installiert. Knapp 0,45 Terawatt kamen in besagtem Jahr hinzu, mehr als 60 Prozent davon allein in China. Das Ausbautempo muss also im globalen Maßstab – selbst wenn die Solarenergie am Ende einen nicht ganz so hohen Anteil haben wird – noch mindestens verzehnfacht werden, wenn man einen klimaschonenden Wohlstand für alle will. Der Preisverfall könnte dabei helfen. Die Überproduktion ist, wenn dem Ausbau keine Steine in den Weg gelegt werden, lediglich ein vorübergehendes Problem.
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