Die Politik der falschen Versprechen
Von Annette SchlemmKämpfe ums Klima sind Kämpfe um ein für das Leben erträgliches Wetter in der Zukunft. Zwar wurde das Ziel verpasst, die globale Erderwärmung von 1,5 Grad zu unterschreiten. Doch es gilt, jedes weitere Zehntel und Hundertstel globaler Temperaturerhöhung zu verhindern. Es sieht trotz Bemühungen seit mehr als 30 Jahren nicht so aus, als sei die Menschheit schon auf dem richtigen Weg. Über die Minderung der Treibhausgasemissionen und die Folgen des Klimawandels zu sprechen reicht nicht mehr. Es muss über notwendige Anpassungen diskutiert werden, und wie sie global und sozial so gerecht wie möglich stattfinden können. Seit einigen Jahren scheint es eine Rettung zu geben: Das Climate Engineering.
Climate Engineering soll technisch in das Klimasystem eingreifen, um Auswirkungen des Klimawandels zu mildern. Oft wird es auch Geoengineering genannt, wobei zwar oft auch die Erdoberfläche großräumig verändert wird, was aber nicht auf das Klima einwirken soll. Die Techniken des Climate Engineering lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Einerseits solche, welche die Erde vor einem Teil der Sonneneinstrahlung abschatten, damit weniger Wärme aus Sonnenstrahlung entstehen kann. Das soll die Erwärmung durch Treibhausgase kompensieren. Die Alternative besteht darin, das zuviel emittierte Kohlendioxid wieder aus der Atmosphäre herauszuholen.
In der ersten Variante werden etwa Spiegel außerhalb der Erdatmosphäre im Weltraum plaziert. Meist wird aber die abschattende Wirkung mancher Vulkanausbrüche nachgeahmt: Werden Schwefelaerosole in einer Höhe von mehr als zwölf Kilometern gebildet, schatten sie Sonnenlicht ab und kühlen die Erde möglicherweise um einige Zehntelgrade ab. Schwefel- oder andere Aerosole könnten mit großen Ballons in diese Höhen gebracht werden – es bräuchte sehr viele und es müsste viele Jahrzehnte lang durchgehalten werden. Das vorherige Wetter bzw. Klima erhielten wir dadurch aber nicht zurück. Vielmehr würden sich Strömungen in der Atmosphäre weiträumig verschieben: Auf die Monsunzeiten wäre ebenso wenig Verlass wie auf die bisherige Verteilung von Trocken- und Regenzeiten, an die die Landwirtschaft in vielen Gegenden seit Jahrtausenden angepasst ist.
Bei der zweiten Variante wird sich etwa auf Pflanzen konzentriert. Diese nehmen Kohlendioxid auf – man könnte also »künstliche Pflanzen« herstellen oder mehr Pflanzen anbauen. Auf Island werden große Rotoren getestet, die Luft einsaugen. Das Kohlendioxid daraus wird mittels chemischer Reaktionen gebunden und dann in Gesteine gepresst, wo es unschädlich wird. Prima – aber: Nicht zufällig finden die Tests in Island statt. Dort gibt es eine Menge sich erneuernde Energie aus Geothermie, die für diese energieintensive Technik nötig ist. Nur sollte der Energieverbrauch nicht mehr gesteigert werden, wollen wir jemals wieder in Einklang mit der Natur kommen.
Der Weltklimarat schlägt vor allem vor, Biomassekraftwerke zu bauen, in denen schnell wachsende und bald wieder geerntete Pflanzen mit verschiedenen Abfällen gemischt verbrannt werden. Dabei könne Energie gewonnen werden. Gelänge es, bei der Verbrennung Kohlendioxid abzufangen und wegzuspeichern, wären zwei Probleme gleichzeitig gelöst. Wären sie? Einst sollte auch die Kohleindustrie mit dem Abscheiden und Speichern von CO2 gerettet werden. Doch die Testprojekte funktionierten nicht besonders gut. Auch wollte kaum jemand einsehen, dass in seiner Gegend unterirdisch CO2 gespeichert werden sollte. In der BRD war der Widerstand so erfolgreich, dass alle Bundesländer beschlossen, keine solchen Anlagen zuzulassen. So wird verständlich, warum Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) inzwischen Endlager auf hoher See will. Die dort zerstörte Natur hat kaum Fürsprecher.
Schon jetzt helfen natürliche Prozesse, Kohlendioxid in sogenannten Senken unterzubringen. Technik kann diese unterstützen, was bislang aber nicht wie gewünscht funktioniert. Ein Beispiel ist das »Düngen« der Ozeane mit Eisen, um etwa mehr Plankton entstehen zu lassen. Auch erzielen sie nur geringe Anteile an CO2-Speicherung, so dass sie nicht als die »große Rettung« dargestellt werden dürften. Ja, man sollte Moore wieder vernässen und Küstengebiete renaturieren. Wir müssen die Wälder schützen – insbesondere vor den Folgen des Klimawandels – und sie erweitern, wir sollten mehr langlebige Objekte mit Holz bauen.
Das Potential dieser Maßnahmen ist viel zu gering, als dass es bisherige und zukünftige Überemissionen ausgleichen könnte. Außerdem haben auch sie Auswirkungen, die z. B. vorhandene Biodiversität zerstören, viel Wasser verbrauchen, chemische (energieaufwendige) Düngemittel erfordern, oft auch weltweit Menschen aus ihren angestammten Gebieten vertreiben und ihrer Souveränität berauben. Bei den meisten dieser Möglichkeiten käme es überhaupt erst mal darauf an, die andauernde Zerstörung von Wäldern, Küstengebieten, Mooren usw. zu beenden.
Die größte Gefahr dieser Verfahren ist – schon bei ihrer Diskussion – nicht ihr direkter Einfluss auf die Natur, sondern dass sie als Grund gelten können, die Reduktion der Treibhausgasemission auf die lange Bank zu schieben. Wenn die Stadt Jena im Klimaaktionsplan vorhat, 20 Prozent der eigenen Emissionen auf eine dieser Arten zu »kompensieren«, werden 20 Prozent mehr Treibhausgase weiterhin emittiert. Diese Logik der Verdrängung der Dringlichkeit der Treibhausgasemissionen durch technische Versprechen begleitet die Climate-Engineering-Debatte von Anfang an. Trotzdem wird es verstärkt propagiert. Es wird angenommen, die Kompensation könne auch nichts mehr schlimmer machen als der Klimawandel selbst.
Durch Climate Engineering drohende Gefahren wurden bereits ernst genommen. Gegen Experimente, die Schwefeldioxidinjektion in hoher Atmosphäre zu testen, gab es in England, Tucson im US-Bundesstaat Arizona und Schweden erfolgreiche Proteste. Beobachter schrieben zur Verhinderung der Experimente, sie seien eigentlich als technischer Test gedacht, aber zu einem sozialen Experiment geworden. Gegen die Kohlendioxidabscheidung und -speicherung wurde auch in Deutschland erfolgreich protestiert, vor allem von der lokalen, direkt betroffenen Bevölkerung. Die Klimabewegung ist hier insgesamt noch nicht genug berührt oder involviert.
Dabei gilt es, sich hier mit mehr Sachkenntnis einzumischen. Seit 2018 wird auch vom Weltklimarat die Option des Climate Engineering in technizistischer Weise gefördert, ohne ausreichend wirtschaftliche und gesellschaftliche Alternativen zu fördern. Der Bericht des Weltklimarats zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels benennt die für zusätzlich zu kultivierende Energiepflanzen benötigte Fläche: Im schlimmsten Fall würde mindestens die doppelte Fläche von Indien benötigt. Nicht genannt werden Aufwendungen an Wasser, Dünger, Transportmitteln und dergleichen mehr. Die Verstärkung globaler Klimaungerechtigkeiten mit Einsatz von Climate Engineering zu thematisieren könnte diese Beilage allein füllen: Es zeigt sich recht offensichtlich, dass die Hauptverursacher der Probleme zusätzliche Macht erhielten, am Thermostat der Erde herumzuspielen.
Beim Climate Engineering müssen einzelne Techniken sachlich genau betrachtet werden, um Gegenargumente zu begründen. Doch sich in den technischen Fragen verlieren, kann bedeuten, zu übersehen, dass Climate Engineering vor allem Politik ist: Eine Politik der falschen Versprechen, der Ablenkung und Verleugnung, der Verschiebung wirtschaftlich-gesellschaftlicher Probleme in die Technik. Diese Politik muss sachlich wissend, aber politisch engagiert bekämpft werden. Gleichzeitig gilt es, die natürliche Reduktion von CO2 nicht zu vergessen.
Annette Schlemm ist Physikerin, Philosophin und Autorin. Ihr Buch »Climate Engineering. Wie wir uns technisch zu Tode siegen, statt die Gesellschaft zu revolutionieren« erschien 2023 im Wiener Mandelbaum-Verlag.
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