Bündnis verpflichtet?
Von Wolfgang PomrehnWenn am 11. November in Aserbaidschans Hauptstadt Baku die diesjährige UN-Klimakonferenz zusammentritt, werden – wie meist – die Konfliktlinien zwischen den reichen Ländern des Nordens und den Staaten des Südens verlaufen. Die Regierungen aus Afrika, Südamerika und Südasien wollen, dass die alten Industriestaaten endlich ihre Treibhausgasemissionen rasch und drastisch reduzieren. Weiter verlangen sie finanzielle Unterstützung bei der Anpassung an den Klimawandel und dessen nicht mehr zu vermeidende Konsequenzen sowie Entschädigung für die schon heute in ihren Ländern angerichteten Schäden.
Doch wie üblich werden die Vertreter der westlichen Staaten wieder mit dem Finger auf China und Indien zeigen, jenen beiden asiatischen Giganten mit zusammen über 2,8 Milliarden Einwohnern, die sich inzwischen weitgehend aus der Armut herausgearbeitet haben oder zumindest auf dem Wege zu diesem Ziel sind. Wie zuvor Westeuropa, Nordamerika und die Sowjetunion beziehungsweise Russland haben sie dies auf eine wenig nachhaltige, den Planeten stark belastende Art getan, nämlich indem sie viel Kohle und Erdölprodukte verbrannt und damit große Mengen Treibhausgase ausgestoßen haben.
Vor allem China ist in den vergangenen 25 Jahren zum mit Abstand größten Treibhausgasemittenten aufgestiegen, verantwortlich für nicht ganz 30 Prozent der weltweiten Emissionen. Allerdings liegt der Pro-Kopf-Ausstoß in der Volksrepublik noch immer weit unter dem der USA und zum Beispiel auch Russlands und nur leicht über dem der EU. Und vor allem: Mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern hat China bisher nur etwas mehr als halb soviel wie die USA (333 Millionen Einwohner) zum in der Atmosphäre angereicherten CO2 beigetragen.
Die Frage wird also in Baku einmal mehr sein, was ist in Sachen Klimaschutz von diesen aufstrebenden Großmächten und was von ihrem BRICS-Staatenbündnis zu erwarten ist, dem neben den Namensgebern Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika inzwischen auch Äthiopien, Ägypten, der Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate angehören. Diese acht Länder vereinigen auf sich 37 Prozent des Weltsozialprodukts, 45 Prozent der Weltbevölkerung und mit 48 Prozent fast die Hälfte der globalen Treibhausgasemissionen.
Dennoch ist in Baku von den BRICS keine nennenswerte, gemeinsam getragene Initiative zu erwarten. Dafür sind die wirtschaftlichen Bedingungen, die Positionen und auch die bisherigen Anstrengungen beim Thema Klimaschutz viel zu unterschiedlich. Da ist am einen Ende des Spektrums das kräftig wachsende Äthiopien, das eine vorbildliche Politik betreibt. Anfang des Jahres wurde dort der Import von Pkw mit Verbrennungsmotoren verboten. Weltweit ein Novum. Strom wird in dem aufstrebenden, aber von grausamen Bürgerkriegen erschütterten Land hauptsächlich mit Wasserkraft und Windrädern erzeugt. Es hat fast den Anschein, als könnte Äthiopien, dessen Pro-Kopf-Nationaleinkommen sich bei stark wachsender Bevölkerung in den vergangenen 20 Jahren verzehnfacht hat, zum ersten Land werden, das sich klimaschonend mit erneuerbaren Energieträgern industrialisiert und aus der Armut hocharbeitet. Davon abgesehen hat der 130-Millionen-Einwohner-Staat bisher aufgrund seiner schwachen Wirtschaft praktisch nichts zur Anreicherung von Treibhausgasen in der Atmosphäre beigetragen.
Am anderen Ende des BRICS-Spektrums stehen die stark von der Erdöl- und Erdgasförderung abhängigen Länder Russland, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate. Letztere haben als ausgesprochener Ölstaat in den internationalen Klimaverhandlungen lange zu den vehementen Bremsern gehört, und auch der Iran hat sich bisher nicht als Klimaschutzvorkämpfer hervorgetan. Russland, das von der Sowjetunion eine sehr schlechte Energieausnutzung erbte, emittiert heute zwar etwa 18 Prozent weniger Treibhausgase als 1990, was aber allein auf seinen industriellen Niedergang zurückzuführen ist. Ansonsten gibt es wohl kaum ein anderes Industrieland, das so wenig Solar- und Windenergie nutzt. Nicht einmal ein Prozent des Stroms wurde dort 2023 von Windkraftanlagen gelieferten, obwohl das Land eines der weltweit größten Potentiale für Windenergie hat.
Im BRICS-Mittelfeld liegen Indien und China, die in den internationalen Verhandlungen meist eine ähnliche Position einnehmen, aber in Sachen Klimaschutz im Inland einen sehr unterschiedlichen Entwicklungsstand haben. Zum Beispiel bleibt Indien bisher beim Ausbau der Windenergie weit hinter den eigenen Zielen zurück, wie kürzlich eine Untersuchung des Londoner Klima-Thinktanks Ember feststellte. Außerdem berichtete die Financial Times Anfang Oktober, dass die Regierung in Neu-Delhi große Ölkonzerne wie Chevron aus den USA oder Petrobras aus Brasilien dazu eingeladen hat, die bisher kaum genutzten Erdöllagerstätten des Landes zu erschließen. In Sachen Solarenergie erwartet die Internationale Energieagentur (IEA) jedoch in den nächsten Jahren für das Land eine erhebliche Beschleunigung. Mit 13 Gigawatt neuer Leistung im Haushaltsjahr 2022/23 war deren Ausbau aber zuletzt langsamer als in Deutschland. Statt den Preisverfall zu nutzen und günstig aus China zu importieren, klagt die Regierung lieber über die chinesische Konkurrenz und verteuert den Ausbau durch Importzölle. Doch im Falle der Windenergie, für die das Land mit Senvion über einen wettbewerbsfähigen Hersteller verfügt, kamen 2022/23 nur gut zwei Gigawatt neue Leistung hinzu, wie die amtliche indische Statistik ausweist.
Ganz anders China. 2023 wurde auf ein ohnehin schon rasches Ausbautempo noch einmal erheblich draufgesattelt. Windkraftanlagen mit einer Leistung von 70 Gigawatt wurden dort im zurückliegenden Jahr installiert, was etwas mehr als die Leistung aller in Deutschland stehenden Windräder ist. Zum Vergleich: Mit den neuen Anlagen kann im Jahr etwa soviel Strom erzeugt werden wie in 14 großen Atomkraftwerken. In Sachen Solarenergie sind die chinesischen Zahlen noch beeindruckender: Nicht ganz 220 Gigawatt neue Leistung kamen allein 2023 hinzu – rund die Hälfte des globalen Ausbaus. Je nach Standort und Sonneneinstrahlung können diese Anlagen 20 bis 30 AKW ersetzen. Die vorläufigen Statistiken für 2024 zeigen zudem, dass dieses atemberaubende Ausbautempo beibehalten oder sogar nochmals gesteigert wird.
Tempo und auch Ambitionen der beiden asiatischen Giganten sind also höchst unterschiedlich. Indien hat im Rahmen des Pariser Abkommens versprochen, seine Wirtschaft bis 2070 auf Klimaneutralität umzustellen. China hatte hingegen zunächst 2060 als Datum festgelegt und inzwischen nachgebessert. Nun heißt es, man wolle »vor 2060« die Nettoemissionen auf null runtergefahren haben, und der weitere Anstieg der chinesischen Emissionen soll »vor 2030« aufgehalten sein. Derzeit mehren sich die Anzeichen, dass dies bereits in diesem Jahr erreicht wird. Insofern könnte es gut sein, dass die Volksrepublik schon bald neue Anstöße für die internationalen Klimaverhandlungen gibt. Indem sie für sich noch ehrgeizigere Ziele definiert, würde sie andere unter Zugzwang setzen.
Wolfgang Pomrehn ist Diplom-Geophysiker, freier Journalist und regelmäßiger Autor in der jungen Welt
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