»Über 700 Euro mehr Miete wird er sich nicht leisten können«
Von Gitta DüperthalIhr Mandant, Manfred Moslehner, darf in seinem Reihenhäuschen in Berlin-Reinickendorf wohnen bleiben. Mit diesem Urteil des Landgerichts Berlin konnte eine drohende Zwangsräumung in der Berufungsverhandlung am 22. Oktober abgewendet werden. Schützt das den 85jährigen künftig vor Mieterhöhung und Verdrängung?
Nein, wirklich sicher ist er nicht. Das Landgericht hat nur geurteilt, dass die Immobilienfirma »Am Steinberg Entwicklungsgesellschaft« in der Wohnung von Manfred Moslehner nicht auf die von ihr geplante Weise modernisieren darf. Das Urteil besagt aber nicht, dass es generell unzulässig wäre, die Wohnung zu modernisieren: nur eben nicht auf dem Weg, wie zunächst beabsichtigt. Grundsätzlich ist vorstellbar, dass die Vermieter nun einen neuen Anlauf nehmen, um nach anderer Methode vorzugehen.
Ist es dann überhaupt ein Erfolg, dass die Immobilienfirma sich mit ihren Modernisierungsabsichten zunächst nicht durchsetzen konnte?
Das Gericht verwarf immerhin das im April durch das Amtsgericht Wedding gegen meinen Mandanten ergangene Räumungsurteil. Dem Urteil liegt ein Landgerichtsurteil vom 7. September 2021 zugrunde. Danach hätte mein Mandant grundsätzlich Modernisierungsmaßnahmen dulden müssen. Die Eigentümerin hatte argumentiert, dieses Urteil umsetzen zu wollen. Sie hatte den 85jährigen aufgefordert, aus seiner Wohnung aus- und in eine Umsetzwohnung einzuziehen. Als er das ablehnte, wurde ihm fristlos gekündigt. Das Landgericht urteilte jetzt, dass die Vermieterin auf die Belange Manfred Moslehners hätte Rücksicht nehmen müssen, da er betagt ist und es ihm gesundheitlich nicht gut geht. Die Gefahr, dass die Firma modernisiert und die Miete dann um mehr als 700 Euro in die Höhe schießt, besteht also immer noch. Das wird er sich von seiner kleinen Rente nicht leisten können! Das Urteil besagt nur: Das Immobilienunternehmen muss einen anderen Weg finden. Es kann zum Beispiel nicht einfach so verfügen, dass er während der Arbeiten generell ausziehen muss.
Der verrentete Maschinenschlosser hatte im April dieses Jahres vor dem Amtsgericht Wedding verloren, sich aber nicht einschüchtern lassen. Wie hatte er sich bislang gegen den Rausschmiss gewehrt?
Über den Berliner Mieterverein, dessen Mitglied er ist, hatte er die Vermieterin über seinen aktuell sehr schlechten Gesundheitszustand informiert. Um während des Berufungsverfahrens in seiner Wohnung bleiben zu können, musste er eine Sicherheitsleistung von 4.300 Euro aufbringen. Weil Nachbarinnen und Nachbarn ihm halfen, indem sie Spenden sammelten, konnten wir das Geld hinterlegen, so dass ihn kein Gerichtsvollzieher zwangsräumen konnte. Tatsache ist: Manfred Moslehner kann die Modernisierung gar nicht dulden. Alle dazu vorgenommenen Arbeiten sind für ihn mit Belästigungen und Einschränkungen verbunden – ob er nun auszieht oder sie in seinem Haus erträgt. Darauf hatte der Mieterverein hingewiesen. 2021, als das Landgerichtsurteil die Duldung der Arbeiten vorsah, hatte sein Gesundheitszustand noch keine Rolle gespielt, jetzt aber geht es ihm schlechter. Deshalb haben wir auch Vollstreckungsgegenklage beim Amtsgericht Wedding erhoben. Denn trotz rechtskräftigem Urteil ist das für ihn nicht zu ertragen.
Viele Mieterinnen und Mieter fürchten Verdrängung aus ihren Häusern, weil Immobilienfirmen durch Modernisierung die Mieten so teuer machen, dass sie sich diese nicht mehr leisten können. Hat das Urteil darauf Einfluss oder betrifft es nur den Einzelfall?
Es ist eine sehr spezifische Einzelfallentscheidung. Aber die Botschaft an die Firmen lautet: »Ihr müsst auf Betroffene Rücksicht nehmen, könnt nicht einfach nach eurem Gusto alles durchziehen.« Mehr war in diesem Verfahren nicht zu erwarten. Wir streiten ja parallel in dem anderen Verfahren vor dem Amtsgericht am 10. Dezember mit unserer besagten Klage: Ob wir nicht mittlerweile in einer Situation sind, dass Manfred Moslehner all das sowieso nicht mehr erdulden muss. Das Gericht hat aber durchblicken lassen, dass es von der Klage nicht allzuviel hält. In dem Fall könnten wir aber auch wieder bis vors Landgericht ziehen, das im Idealfall feststellen würde: Das Urteil von 2021 darf aufgrund der neuen Gesundheitssituation nicht vollstreckt werden, weil er so krank ist. Das wäre dann etwas Neues. Denn das hieße: Auch nach dem Duldungsurteil können noch Gründe auftreten, dass es nicht mehr umgesetzt werden kann. Dies könnte über den Einzelfall hinaus künftig herangezogen werden.
Die Gentrifizierung in Berlin greift weiter um sich. Wurde politisch genug getan, damit Menschen nicht auf der Straße landen?
Ob es genug ist, ist fraglich. Manfred Moslehners Fall ist eine »Altlast«: Die Modernisierungsankündigung erklärte das Unternehmen noch 2018. Damals durfte die Miete nach einer Modernisierung noch hemmungslos erhöht werden. Zum Januar 2019 trat der Paragraph 559 Absatz 3 a BGB in Kraft, wonach nach einer Modernisierung nicht um mehr als drei Euro pro Quadratmeter innerhalb von sechs Jahren erhöht werden darf. Seither wird weniger modernisiert.
Henrik Solf ist Rechtsanwalt in Berlin
Gitta Düperthal ist freie Journalistin in Frankfurt am Main und ist regelmäßig für die Tageszeitung junge Welt tätig
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