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Aus: Recht auf Wohnen, Beilage der jW vom 06.11.2024
»Planbude«-Konzept am Ende

Tiefschlag für St. Pauli

Hamburg: Immobilieninvestor sabotiert hochgelobtes Projekt zur Bürgerbeteiligung bei Neubebauung ehemaliger »Esso-Häuser«-Fläche
Von Kristian Stemmler
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Büsche und Gräser zieren die Spekulationsruine am Spielbudenplatz (Hamburg, 15.8.2023)

In der Immobilienbranche ist der Profithunger angesichts oft enormer Gewinnspannen besonders groß. Das engt den Freiraum für Kreativität und Bürgerbeteiligung bei Bauprojekten nicht selten ein. Im Hamburger Stadtteil St. Pauli hat sich das auf drastische Weise bestätigt. Die Initiatoren eines international beachteten und enorm aufwendigen Projektes der Bürgerbeteiligung steigen aus – und das mit vernichtender Kritik an der Stadt und an dem Investor, dem Unternehmen Bayerische Hausbau. »Planbude schmeißt hin«, hieß es Anfang Oktober übereinstimmend in Hamburger Lokalzeitungen. Das sechsköpfige Kollektiv war 2014 nach dem Abriss der legendären »Esso-Häuser« am Spielbudenplatz unweit der Reeperbahn mit der Planung für die Neubebauung beauftragt worden. Teil davon war ein innovatives, künstlerisch inspiriertes Beteiligungsverfahren, das mittlerweile in Architektenkreisen als beispielgebend gilt. Die Ergebnisse flossen 2015 in ein Eckpunktepapier ein. Darauf folgten ein städtebauliches Gutachterverfahren und ein Architekturwettbewerb. Lange passierte nichts. Dann kam das Aus.

Auf ihrer Internetseite veröffentlichten die Mitglieder der »Planbude« eine Erklärung. Darin nehmen sie kein Blatt vor den Mund. Zehn Jahre nach dem Beteiligungsverfahren, nach Eckpunktepapier, Architekturwettbewerb, millionenschweren Subventionszusagen der Stadt und gültigem Bebauungsplan »tritt die Bayerische Hausbau all das in die Tonne«, schreiben sie. Den Weg »vom Pionier-Modell einer kooperativen Stadtentwicklung zum gewöhnlichen Spekulationsobjekt« werde das Kollektiv nicht mitgehen.

Der Grund sei klar: In der Schörghuber-Gruppe, zu der die Bayerische Hausbau gehört, habe Florian Schörghuber, Enkel des Firmengründers Josef Schörghuber, das Ruder übernommen. Die Abteilung für Projektentwicklung habe er auf ein Achtel verkleinert. Längst habe die Bayerische Hausbau das Fachpersonal entlassen, heißt es in der »Planbude«-Erklärung. »Seien wir ehrlich: Der Konzern hat gar nicht mehr die Fähigkeit, die selbst geplanten Esso-Häuser zu bauen.« Das traurige Finale eines ebenso einmaligen wie ambitionierten Projekts.

Ausgangspunkt war der bundesweit beachtete, aber erfolglose Protest gegen den Abriss der »Esso-Häuser«, einem Plattenbaukomplex aus den 1960er Jahren. Seinen Namen verdankte der Block einer benachbarten Esso-Tankstelle, die als Kieztreffpunkt Kultstatus erworben hatte. Als der Abriss nicht mehr abzuwenden war, kristallisierte sich aus dem Kreis der Protestierenden ein interdisziplinäres Team heraus, das die Neuplanung ins Auge fasste: die Planbude. Das waren ein Architekt, eine Architekturstudentin, ein Stadtplaner, zwei Künstler und eine Sozialarbeiterin. Sie erhielten im Sommer 2014 vom Bezirk Mitte den Auftrag für das »vorgezogene Beteiligungsverfahren«.

Die Planbude entwickelte ein Beteiligungskonzept mit innovativen Methoden und Formaten. Direkt am Baugrundstück wurden zwei Container aufgestellt, die mit Glasfronten und einer Terrasse zur Kommunikation einluden. Es wurden Haustürgespräche geführt, Fragebögen in fünf Sprachen verteilt, es gab Lesungen und Workshops in den umliegenden Kneipen, Lokalen und sozialen Einrichtungen. Rund 2.300 Wünsche und Entwürfe wurden so zusammengetragen. Die Ergebnisse wurden auf zwei öffentlichen Stadtteilkonferenzen vorgestellt und diskutiert. In Verhandlungen zwischen dem Baudezernat des Bezirks Mitte, dem Bezirksamtsleiter, der Bayerischen Hausbau und der Planbude entstand 2015 ein Eckpunktepapier sowie die Grundlage für einen städtebaulichen Wettbewerb. Das Konzept: keine Eigentumswohnungen, ein ungewöhnlich hoher Anteil von rund 60 Prozent staatlich geförderten Wohnraums, davon ein guter Teil als Wohnprojekt für eine Baugruppe, 2.500 Quadratmeter »Subkultur und Innovationscluster« für Klubs. Dazu spannende Dachnutzungen, teils für die Öffentlichkeit, etwa ein Stadtbalkon zur Reeperbahn, Flächen für Basketball oder Streetfußball, Skateboardbahn, Kletterwand auf dem Dach, Spielplatz und Erholungsflächen. Der Komplex erhielt den Namen Paloma-Viertel.

Zuwenig Geld habe Florian Schörghuber nicht, um all das umzusetzen, kritisierte die Planbude. Statt zu bauen, werde damit jetzt aber Personal finanziert, das Narrative im Interesse des Unternehmens verbreitet: Nicht die veränderte Konzernpolitik sei schuld an der »Investorenbrache«, sondern die »vielen Bürgerwünsche«. Unisono rede man schlecht, »was man selbst beauftragt, verhandelt und mit entwickelt hat«. Scharf kritisierte das Kollektiv auch Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein und den Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (beide SPD). Diese hätten »die neue Erzählung der Bayern« einfach übernommen.

Diese Kritik teilt Heike Sudmann, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linke-Fraktion in der Bürgerschaft. Gegenüber junge Welt sprach sie von einem »echten Tiefschlag für St. Pauli«. Trotz des lange ausgehandelten städtebaulichen Vertrages zwischen Stadt und Investor lasse die Stadt »sich auf der Nase herumtanzen«. Das Gelände liege seit fast zehn Jahren brach, »die vereinbarten, auf Jahrzehnte günstigen Wohnungen und die St.-Pauli-spezifischen Clubs sowie die Gemeinnützigkeit werden den Gewinninteressen der Bayerischen Hausbau geopfert«. Der Senat habe »sich kleingemacht, statt Druck auf den Investor auszuüben«.

Wie zu erwarten, will die Bayerische Hausbau den Komplex jetzt verkaufen. Sudmann verweist darauf, dass laut städtebaulichem Vertrag die Verpflichtungen daraus an den Käufer weitergegeben werden müssen und die Zustimmung der Stadt erforderlich ist. »Wenn der Senat es nur will, kann er also dafür sorgen, dass die Ergebnisse des einmaligen Beteiligungsverfahrens noch Realität werden und nicht die kapitalistischen Verwertungsinteressen am Ende obsiegen«, sagte die Linke-Politikerin. Darauf zu hoffen, ist angesichts der bisherigen Stadtentwicklungspolitik des Senats eher gewagt.

Kristian Stemmler ist freier Journalist, lebt unweit von Hamburg und schreibt regelmäßig für die Tageszeitung junge Welt

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