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Aus: Recht auf Wohnen, Beilage der jW vom 06.11.2024
Vorkaufsrecht

Auf die Resterampe verbannt

Bis 2021 konnte der Staat mit dem kommunalen Vorkaufsrecht Mietwohnungen in Milieuschutzgebieten dem Markt entziehen. Seither ist nur wenigen damit geholfen
Von Christoph Mayer
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Demonstration für den Erhalt des »Tuntenhauses« in der Berliner Kastanienallee 86 (14.4.2024)

Im Mai 2024 ereignete sich auf dem Wohnungsmarkt ein seltener Vorgang: Der Berliner Bezirk Pankow schnappte einem privaten Investor die bereits erworbene Immobilie vor der Nase weg und ließ das Haus von einer gemeinnützigen Stiftung kaufen – der Bezirk nutzte sein Vorkaufsrecht. Damit war das stadtweit bekannte »Tuntenhaus« im Ortsteil Prenzlauer Berg, das seit Jahrzehnten mit queerkulturellem Leben aufwartet, vor der privaten Verwertung gerettet. Das Mietshaus mit seinen 25 Wohneinheiten ist das erste und bislang einzige, bei dem das kommunale Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten im Jahr 2024 zum Zuge kam. Doch während die Bewohner und Unterstützer des Hausprojektes ihren Erfolg feiern konnten, hatten zahlreiche andere Mieter das Nachsehen: Ihre Wohnhäuser brachten weniger kulturelles Kapital auf die Waagschale und gingen meist ohne großes Aufsehen an private Investoren.

Bis 2021 nutzte die öffentliche Hand das kommunale Vorkaufsrecht noch ambitioniert: Zahlreiche Immobilien in Milieuschutzgebieten, die den Eigentümer wechselten, wurden über landeseigene Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften oder Stiftungen angekauft. Die Idee dahinter: Das soziale Gefüge in Gegenden mit angespanntem Wohnungsmarkt zu schützen. Kritiker bemängeln zwar, dass das Vorkaufsrecht weder Schlimmeres verhindert noch Besseres ermöglicht habe. Auch in dessen Hochphase von 2017 bis 2020 war dem Gentrifizierungdruck kaum etwas entgegenzusetzen, während die umfassende Vergesellschaftung von Wohnraum ein linker Traum blieb. Dennoch hatte das Vorkaufsrecht eine zentripetale Wirkung auf die Mietstruktur in Milieuschutzgebieten: Es sicherte Zehntausenden Haushalten sozialverträgliche Wohnbedingungen, vor allem in Städten wie Berlin, München und Hamburg. Besonders wertvoll war es in Gegenden mit hohen Immobilienpreisen, die Immobilienkäufer über Mietsteigerungen zu refinanzieren versuchten. Griff die öffentliche Verwaltung hier präventiv ein und zog das Vorkaufsrecht, bedeutete das für die Mieter stabile und bezahlbare Wohnverhältnisse.

Oft musste die öffentliche Hand ihren Trumpf gar nicht ausspielen: Schon die Drohung und das Angebot einer Abwendungsvereinbarung genügten. Mit ihrer Unterschrift verpflichtete sich der neue Eigentümer, 20 Jahre lang auf erhebliche Mietsteigerungen zu verzichten, das Gebäude instand zu halten und eine Umwandlung in Eigentumswohnungen zu unterlassen. Allein in Berlin wurden zwischen 2017 und 2020 Abwendungsvereinbarungen für 297 Häuser in Milieuschutzgebieten geschlossen, während das Vorkaufsrecht im selben Zeitraum nur bei 77 Wohnimmobilien tatsächlich ausgeübt wurde.

2021 urteilte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) dann, dass die bis dahin gängige Anwendungspraxis nicht haltbar sei. Das Gericht argumentierte, das Vorkaufsrecht lasse sich nur begründen, wenn es sich um eine Schrottimmobilie handelt oder das Haus weitgehend leer steht, also nicht mehr nach seiner Bestimmung genutzt wird. Damit ist der präventive Schutz von Mietern kein ausreichender Grund mehr, um das Vorkaufsrecht anzuwenden. Seither hat es für den Mieterschutz kaum noch Gewicht. Der verbliebene Handlungsspielraum, den die Politik und Verwaltung etwa beim »Tuntenhaus« sah, wird von Städten und Gemeinden ansonsten praktisch nicht genutzt. Statt dessen erhält der Markt fast immer den Vorrang. Mal heißt es aus den öffentlichen Verwaltungen, die Immobilie sei nicht baufällig genug, um einen Vorkauf zu rechtfertigen, mal fehle es an finanziellen Mitteln.

Zudem stehen sich Städte und Kommunen bei der Ausübung des Vorkaufsrechts häufig selbst im Weg. Die öffentliche Hand in Berlin etwa kauft Häuser nach eigenem Bekunden nur, wenn ein Grundstück wirtschaftlich tragfähig ist. Doch in der Praxis scheint dies kaum möglich zu sein, denn eine Schrottimmobilie hat per Definition einen großen Instandsetzungsbedarf. Zudem sind die Immobilienpreise in Milieuschutzgebieten meist überdurchschnittlich hoch. Gleichzeitig lassen sich diese Ausgaben aufgrund der rechtlichen Beschränkungen im Milieuschutz nicht einfach durch hohe Mietsteigerungen refinanzieren. Die Wirtschaftlichkeit eines Immobilienerwerbs durch die öffentliche Hand steht daher grundsätzlich in Frage.

Das Ergebnis ist: Die Kommunen sind seit dem BVerwG-Urteil dazu verdammt, sich an der Immobilienresterampe zu bedienen, wollen oder können aber nicht das Geld dafür aufbringen, um die Häuser bewohnbar zu halten. Und so geht ein Haus nach dem anderen an private Käufer, die tüchtig modernisieren, die Kosten auf die Bewohner umlegen und so die Mietpreisspirale nach oben drehen.

Als Option bleibt, dem Vorkaufsrecht auf gesetzlichem Wege zu neuer Stärke zu verhelfen. Die Bundesregierung hat diese Chance jedoch gerade verstreichen lassen. Im September beschloss der Bundestag eine Novelle des Baugesetzbuches, das das Vorkaufsrecht regelt. Künftig können Kommunen dieses Recht auch bei sogenannten Share Deals ausüben, wenn alle Eigentumseinheiten eines Hauses in einem einzigen Kaufvertrag gebündelt sind. Doch der zentrale Mehrwert des Vorkaufsrechts – der präventive Erwerb zum Schutz der Mieter vor möglicher Verdrängung – wurde durch die Baugesetzbuchnovelle nicht reaktiviert. So bleibt das Vorkaufsrecht vorerst in seinen Trümmern liegen. Die absehbaren politischen Kräfteverhältnisse deuten darauf hin, dass es dort in Vergessenheit geraten wird, anstatt recycelt zu werden.

Christoph Mayer ist Gewerkschafter und lebt in Berlin. Nebenbei schreibt er als freier Autor für verschiedene ­Zeitungen

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