Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Feminismus, Beilage der jW vom 08.03.2025
Feminismus

Widerstand trägt einen Namen

Kampf um Kurdistan: Vor zehn Jahren wurde die Guerillakämpferin Ivana Hoffmann von Dschihadisten getötet
Von Sofia Willer
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Mariana kehrt – natürlich bewaffnet – von einer Dusche im nahegelegenen Fluss zurück ins Camp

Durch die braune Tür dringt Lachen auf den Hof. Der Verein von Young Struggle liegt etwas versteckt in einem Hinterhof in der Ruhrgroßstadt Duisburg, 200 Meter vom Bahnhof Meiderich entfernt. Heute wird das 10. Ivana-Hoffmann-Festival vorbereitet. Zehn Jahre ist es her, dass am Morgen des Internationalen Frauenkampftags, dem 8. März 2015, die Nachricht über Ivanas Tod ihre Genossinnen und Genossen in Meiderich erreichte.

Ivana Hoffmann war eine junge schwarze lesbische Frau, die sich als Jugendliche bei Young Struggle organisierte und 2014 die Entscheidung traf, als Kommunistin Teil des bewaffneten revolutionären Kampfes in Nordostsyrien, kurdisch Rojava, zu werden. Am 7. März 2015 wurde Ivana bei der Verteidigung des Dorfes Tell Tamer von den dschihadistischen Banden des sogenannten Islamischen Staats (IS) getötet.

Ihr Leichnam wurde über die Türkei nach Deutschland überstellt, doch zeitweilig beschlagnahmt, ihre Freunde und Genossen durch die BRD kriminalisiert: Während die Staatsanwaltschaft Duisburg Ermittlungen zum Tod der 19jährigen aufgenommen hatte, nahm die Bundesanwaltschaft die türkische Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) ins Visier.

Eine Woche nach Bekanntwerden ihres Todes nahmen rund 2.000 Menschen bei ihrer Beerdigung Abschied. Seither gibt es kaum eine Aktion oder Demonstration der revolutionären Bewegung in Deutschland, auf der die Parole »Widerstand hat einen Namen« nicht mit »Ivana Hoffmann« beantwortet wird.

Stationen ihres kurzen Lebens: 1995 in der rheinländischen Kleinstadt Emmerich geboren, zog Ivana als Neunjährige 2006 mit ihrer Mutter nach Duisburg-Meiderich, wo sie sich später politisierte und organisierte. Sie wächst als Arbeiterkind einer deutschen Mutter und eines togolesischen Vaters auf, geht zur Schule, spielt Fußball und ist im Viertel bekannt. 2011 geht sie am Bahnhof Meiderich bei einem Streit dazwischen und lernt eine junge Frau kennen, die sie mit in den Verein Young Struggle nimmt. Das Bild, wie Ivana vor einem großen Che-Guevara-Foto steht, ist bis heute an die Wand des Duisburger Vereins gemalt. Hier war die erste Station in Ivanas Leben als revolutionäre Frau.

2012 beteiligte sie sich drei Tage lang an einem Hungerstreik von Geflüchteten in Würzburg, nachdem ein iranischer Asylsuchender in einer Sammelunterkunft Sui­zid begangen hatte. Dieser Hungerstreik war der Auftakt der größten Geflüchtetenbewegung in Deutschland seit den 90er Jahren, der Beginn von dem Marsch, der zu der Besetzung des Oranienplatzes in Berlin führte. Sie war Pressesprecherin der Bildungsstreikbewegung in Duisburg und organisierte Blockaden gegen Faschisten.

Kommunistisch kämpfen

»Man konnte mit Ivana keine fünf Minuten durch Meiderich laufen oder U-Bahn fahren, ohne dass jemand sie stoppte, um mit ihr zu reden«, erinnert sich ein Genosse kurz vor ihrem zehnten Todestag. Sie sei leidenschaftlich gewesen in dem, was sie machte, unglaublich witzig und vor allem »war sie konsequent. In ihrem Willen, aber auch in ihrer Kritik. Was sie gedacht hat, hat sie auch gesagt. Was sie gefühlt hat, hat sie auch getan.« Ivana habe die Welt nicht so hingenommen, wie sie war. In den Jahren, in denen sie in Duisburg politisch arbeitete und organisierte, sei sie zu einer Kommunistin geworden, die überzeugt davon war, dass Veränderung erkämpft werden müsse.

2012 veränderte sich auch die Situation für die internationale revolutionäre Bewegung. Neue Aufstände brachen im Mittleren Osten aus. Inmitten der Wirren des syrischen Kriegs riefen kurdische Befreiungskräfte eine Selbstverwaltung in Nordostsyrien aus, die sich das Ziel setzte, auf der Grundlage von Demokratie, Ökologie und Frauenbefreiung ein friedliches Zusammenleben aller Völker der Region zu ermöglichen. Gleichzeitig erstarkte auch der IS, und es dauerte nicht lange, bis dschihadistische Kräfte die Revolution angriffen.

Diese Nachrichten erreichten auch Duisburg. Ivana hatte sich zu einer leidenschaftlichen Internationalistin entwickelt. Es dauerte also nicht lange, nachdem der Aufruf aus Rojava gekommen war, die Revolution zu verteidigen, dass auch Ivana sich dazu entschied, zu gehen und zu kämpfen.

Ivana ging 2014 nach Kurdistan, erlebte die Kraft des Frauenkampfes. Sowohl im militärischen als auch im politischen, wirtschaftlichen und sozialen Leben wurden Frauen zu Anführerinnen der demokratischen Revolution. Rund 50.000 Frauen kämpften schätzungsweise in den Jahren 2014 und 2015 in den Reihen der kurdischen Volksbefreiungseinheiten. Die Frauenverteidigungseinheiten YPJ, spielten eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den IS.

Eine Gesellschaft, die Frauen auf den unterschiedlichsten Ebenen ihres Lebens einschränkt und ihnen verwehrt, frei zu sein, ist eine Gesellschaft, die Frauen zu Objekten macht. Ivana wehrte sich dagegen, traf ihre Entscheidung, am bewaffneten Kampf teilzunehmen, und wurde so zu einem handelnden Subjekt. Sie wusste, dass für Frauen das revolutionäre Dasein nicht einfach bedeutet, einen »männlichen Stil« zu kopieren. In ihrem Abschiedsbrief schrieb sie: »Ich werde eine Guerilla voller Nächstenliebe und Hoffnung sein.«

Jin, Jiyan, Azadî

Am 7. März 2015 wurde Hoffmann, Kampfname Avaşin Tekoşin Güneş, bei der Verteidigung des Dorfes Tell Tamer zusammen mit zwei weiteren Genossen von zwei Kugeln getroffen und getötet. Ihre Weggefährten erinnern sich genau: »Die Nachricht über ihren Tod erreichte uns am 8. März, am Internationalen Frauenkampftag. Jetzt sind zehn Jahre vergangen und mit jedem Jahr haben wir unser Versprechen an Ivana erneuert.« In Duisburg wird häufig über sie gesprochen: »Das revolutionäre Gedenken, das Erinnern an Ivana, ist immer auch ein Aufruf an uns zum Handeln.«

Heute befindet sich Rojava, wie der gesamte Mittlere Osten, in einer kritischen Phase. Die Erfolge oder Niederlagen der widerständigen Völker in der Region werden die Ausgangslage für den internationalen Kampf gegen Faschismus und Imperialismus im 21. Jahrhundert maßgeblich mitbestimmen. Aber eine Sache ist genauso klar wie vor elf Jahren, als Ivana zu Avaşin wurde: Das Feuer der Revolution, egal wo es auf der Welt gerade aufflammt, muss verteidigt werden.

In Gesprächen mit Ivanas Genossinnen und Genossen fällt häufig der Satz, »das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Frauenrevolution und Ivana ist ein Teil davon«. Die kurdische Frauenbewegung nimmt durch ihre Praxis eine Vorreiterposition in der weltweiten Frauenbewegung ein und schaffte es durch drei einfache, aber klare Worte »Jin, Jiyan, Azadî« (deutsch: Frau, Leben, Freiheit) einen Aufruf in die Welt zu entsenden. Er drang bis nach Duisburg zu Ivana und schallte später von den Plätzen Teherans.

In Kurdistan lernte Ivana Yeliz Erbay, eine führende kommunistische Kommandantin, kennen. In einem Brief zu ihrem Geburtstag, sechs Monate nachdem Ivana gefallen war, würdigte Erbay die beeindruckende junge Frau, die mit der Zukunft auf dem Rücken nach Rojava gekommen war. Erbay war nicht nur militärische Kommandantin, sondern vereinte ihre Praxis mit Beiträgen zu marxistisch-leninistischen Analysen der Frauenrevolution. Darin betont sie, dass es niemals darum gehen sollte, einen vom Patriarchat gezeichneten Stil zu imitieren, sondern einen eigenen »Frauenstil« in allen Bereichen des Lebens, auch dem militärischen Kampf, zu entwickeln, der die Genossinnenschaft und das Selbstbewusstsein als Anführerinnen gezielt fördert. Denn Frauenrevolution bedeutet, Kapitalismus und Patriarchat als miteinander verschränkt zu betrachten, so dass sie nur gemeinsam zerschlagen werden können. Dass die Frauenfrage keine Fußnote im antikapitalistischen Befreiungskampf blieb, ist eine Errungenschaft der revolutionären Kämpfe in Rojava und von jenen Frauen, die daran beteiligt sind. Der Widerstand trägt viele Namen, und seit dem 7. März 2015 ist Ivana Hoffmann einer von ihnen.

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