Zurück zu den Wurzeln
Von Peter Steiniger, Salvador da Bahia, und André ScheerIm brasilianischen Salvador da Bahia geht am Samstag das diesjährige Weltsozialforum zu Ende. Seit Dienstag haben sich Zehntausende Aktivisten und Vertreter von sozialen Bewegungen, linken Parteien und Nichtregierungsorganisationen aus etwa 120 Ländern in zahllosen Diskussionsrunden und anderen Veranstaltungen ausgetauscht. Menschen aus einem breiten Spektrum politischer Tendenzen und Weltanschauungen kamen in der afrobrasilianischen Metropole zusammen und machten sie zu einer Werkstatt für Theorie und Praxis der Befreiung.
Überschattet wurde das Forum durch den Mord an der linken Kommunalpolitikerin Marielle Franco. Die Menschenrechtsaktivistin der Partei Sozialismus und Freiheit (PSoL) war am Donnerstag in Rio de Janeiro von einem Auto aus erschossen worden, als sie sich in ihrem Fahrzeug auf dem Rückweg von einer Veranstaltung für die Rechte schwarzer Frauen befand. Mit ihr starb ihr Fahrer Anderson Pedro Gomes.
Der frühere brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva verurteilte das Verbrechen am Donnerstag abend bei einer Großveranstaltung zur Verteidigung der Demokratie, die im Rahmen des Weltsozialforums in Salvador stattfand. »Wir alle sind ein bisschen Marielle«, rief er aus. Er machte indirekt Staatschef Michel Temer für den Mord an der Politikerin verantwortlich, weil dessen Entscheidung zur Entsendung von Soldaten nach Rio de Janeiro die Gewalt dort weiter verschärft habe. »Rio braucht kein Militär auf den Straßen, sondern dass der Staat zum Funktionieren gebracht wird und die Bevölkerung Gesundheitsversorgung, Bildung, Beschäftigung und Gehalt kriegt«, so der Expräsident, der sich selbst der Verfolgung durch das Regime ausgesetzt sieht. »Macht euch keine Sorgen um mich«, sagte er mit Blick auf seine drohende Inhaftierung. »Ich habe entschieden, meine Ehre gegen diejenigen zu verteidigen, die jeden Tag Lügen über mich verbreiten.« Er werde bei den Wahlen im kommenden Oktober antreten, bekräftigte Lula.
Wenn sie nicht gerade zu solchen Großveranstaltungen zusammenkommen, verlieren sich die Teilnehmer des Weltsozialforums auf dem riesigen Campus der staatlichen Universität von Bahia. Bei Temperaturen von mehr als 30 Grad sind die raren Schattenplätze gefragt.
Es ist ein Festival, das vor allem von jungen Leuten geprägt wird. Auch die vielen Freiwilligen, die hier arbeiten und an gelben T-Shirts erkennbar sind, auf denen in vier Sprachen »Kann ich helfen?« steht, sind überwiegend weiblich und im Studierendenalter. Doch nur einige der Helferinnen studieren tatsächlich hier. Das vielköpfige Team setzt sich aus Menschen zusammen, die einem Aufruf der Organisatoren gefolgt sind. Wortreich und enthusiastisch macht etwa Ana-Carolina klar, wie wichtig das Forum ist, damit diese Welt eine bessere wird.
Neben zahllosen Seminaren gibt es eine Reihe von Ausstellungen und künstlerischen Installationen zu besichtigen, etwa über Sklaverei und Rassismus, über die Unterdrückung und den Widerstand von Frauen, über die Geschichte der Militärdiktatur oder zu Umweltfragen. Am Freitag kamen Tausende zu einem »Welttreffen der Frauen« zusammen. Weitab vom Zentrum hat das »Volk ohne Angst« auf einer kleinen Lichtung neben einer Straße am Rande des Campus ein »Tenda sem medo« (Zelt ohne Angst) aufgeschlagen. In der 2015 gegründeten Bewegung hat sich eine bunte Mischung aus aktionsorientierten Massenbewegungen, Gewerkschaften sowie radikaleren linken Parteien, Gruppen und Jugendverbänden zusammengeschlossen. Eine der Aktivistinnen ist Lilian Fernandes aus São Paulo. Sie gehört zur »Manifesta-Jugend«, die sich im Umfeld der PSoL bewegt. Das sei die einzige Partei, deren Politiker nicht korrupt seien und die Klartext rede, so Lilian. Die Bewegung sei aber viel mehr. Es gehe um Gleichheit und eine gute öffentliche Bildung. Die größten Probleme für Brasiliens Jugend sieht sie in der hohen Arbeitslosigkeit und der herrschenden Kultur der Gewalt.
Vor dem Eingang zum Campus rätselt eine junge Frau, von wo welcher Bus wohin gehen könnte. Sie ist mit einer ganz kleinen Gruppe aus Calgary in Kanada nach Brasilien gekommen, um das Weltsozialforum zu erleben. Die 23jährige Taruneek Kapoor macht gerade ihren Master in politischer Wissenschaft. Dabei beschäftige sie sich mit Frauen in feministischen Bewegungen und mit linkem Aktivismus, berichtet sie im Gespräch mit junge Welt. Daher habe es für sie nahegelegen, sich ein Bild vom Forum zu machen. Sie erwartet eine Auseinandersetzung mit Neoliberalismus und Kapitalismus. Allerdings brauche das Weltsozialforum mehr Selbstkritik, so Taruneek.
José Miguel Hernández gehört der kubanischen Solidaritätsorganisation für die Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas (OSPAAAL) an und ist mit einer Delegation aus Havanna nach Salvador da Bahia gekommen. Es sei wichtig, dass das Forum nach Lateinamerika zurückgekehrt sei, wo es 2011 seinen Ursprung gehabt habe, sagt er der Nachrichtenagentur Prensa Latina. Die Region erlebe gerade eine Gegenoffensive des Imperialismus, insbesondere gegen Venezuela, so der Aktivist. »Wir haben auf dem Forum immer viel Solidarität für unsere Sache erfahren, zum Beispiel gegen die US-Blockade und im Kampf um die Freilassung der Cuban Five und für die Rückgabe des von den USA widerrechtlich besetzten Gebiets in Guantánamo«, erinnert er sich. »Nun drückt unsere Anwesenheit hier unsere Unterstützung für die Mehrheit des brasilianischen Volkes aus, das Lula verteidigt. Außerdem können wir die verschiedenen Solidaritätsaktionen für die Bolivarische Republik Venezuela und ihren Präsidenten Nicolás Maduro unterstützen.«
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