Bildreportage: Aufbruch und Exil. Chile in der DDR und BRD
Von Carlos GomesIch erinnere mich daran, in meiner Kindheit im Elternhaus die Lieder von Víctor Jara sowie von den exilchilenischen Musikgruppen Quilapayún und Inti-Illimani gehört zu haben. Auch wenn mir ihr tieferer Sinn erst einmal entging, bezauberten mich die Melodien, der leidenschaftliche Gesang und die Virtuosität der Gitarren- und Flötenspieler, die die Musikanlage wiedergab.
Davon abgesehen, dass ich weiterhin revolutionäre chilenische Musik hörte, hatte ich mein Leben lang keinen besonderen Bezug zu Kultur und Geschichte des schmalen Andenstaats. Bis ich vor wenigen Jahren im Rahmen eines Forschungsprojekts auf einige der chilebezogenen Gedenkstätten des Allende-Viertels in Berlin-Köpenick stieß: die Büste Salvador Allendes, die Gedichttafel zu Ehren Pablo Nerudas und die Statue vom musizierenden Víctor Jara.
Vor dem Standbild Jaras stehend, hielt ich inne und hörte in meinem Kopf die Akkorde meiner Kindheits- und Jugendlieder. Die Zusammenhänge waren für mich allerdings noch nicht ganz klar. Ich fragte mich, warum im Pausenhof einer Köpenicker Schule der chilenische Musiker stand, den ich seit meiner Kindheit auf den Schallplattenhüllen meiner Eltern gesehen hatte. Ich beschloss, der Sache nachzugehen.
Das Thema war fesselnd und ich befasste mich tiefer mit der Aufbruchstimmung im Chile der 1960er Jahre, dem Wahlsieg Allendes 1970, der brutalen Machtergreifung durch das Militär 1973 und dem darauffolgenden Exil Tausender Chileninnen und Chilenen. Allmählich schlossen sich einige Kreise: Ich begann die Anspielungen und Botschaften der Kampflieder genauer zu verstehen und begriff die enorme Bedeutung der Chile-Solidarität auf beiden Seiten der deutsch-deutschen Grenze und somit den Ursprung der Statuen, Büsten, Skulpturen, Gedenktafeln und Wandbilder zu Ehren der Opfer des Staatsstreichs.
Zum 50. Jahrestag des Putsches erscheint nun dieses Buch. Es lädt Interessierte zu einer Zeitreise durch die deutsch-chilenische Geschichte ab den späten 1960er Jahren ein: von der Beziehung der sozialistischen Regierung Allendes zu BRD und DDR über die Unterdrückung der progressiven Kräfte in Chile und das Exil in beiden deutschen Staaten bis zum aktiven Widerstand gegen die Militärjunta während der 17 Jahre währenden Diktatur Augusto Pinochets. Der Leitfaden dieser Reise sind die in der DDR und BRD entstandenen Denkmäler und Wandbilder, in denen sich das Leid, der Kampfgeist und die Hoffnung der chilenischen Bevölkerung widerspiegeln.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 8. Juni in der Tageszeitung junge Welt.
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