Brücke ins Jetzt
Von Hagen BonnEin Abend zu Ehren von Pablo Neruda in der Berliner Maigalerie
»In Nerudas Dichtung ist ganz Chile gegenwärtig, mit seinen Flüssen und Bergen, dem ewigen Schnee und den glutheißen Wüsten. Über alle Dinge aber stellt er den Menschen, den Mann und die Frau. Darum ist in seiner Dichtung die Liebe und der soziale Kampf.«
Salvador Allende
Am Donnerstag waren in der Maigalerie der jungen Welt in Berlin der Schauspieler Rolf Becker und das »Duo Yarawizu« zu Gast, bestehend aus der chilenischen Sängerin Aruma Itzamaray und dem Berliner Liedermacher Tobias Thiele. Der Lyrik- und Liederabend stand unter dem Motto »Pablo Neruda und sein Lateinamerika. Über Leiden und Hoffen, Unterdrückung und Widerstand«, ein weiterer Höhepunkt der Veranstaltungsreihe »50 Jahre Putsch in Chile«.
In der Ankündigung der Veranstaltung mit Texten von Pablo Neruda und Liedern von Violeta Parra, Víctor Jara, Daniel Viglietti, Circe Maia und Quilapayún hieß es: »Südamerika in Unruhe, die zum Aufruhr führen kann, zum Umschlag von Protesten in militärische Gewalt – wie bereits vor Jahrzehnten und in den vergangenen Jahrhunderten. Die Kämpfe und Leidenswege haben in Berichten, in Dichtung und Musik Ausdruck und weltweit Anklang gefunden.« Eine besondere Ausdrucksform des politischen Liedes entstand mit der »Nueva Canción« (wörtlich: Neues Lied) in den 1950er und 1960er Jahren. Zuerst in Argentinien, Chile und Uruguay, dann erfasste die Bewegung den ganzen Kontinent. Violeta Parra begann schon in 1950er Jahren chilenische Volksmusik mit sozialkritischen Inhalten zu verweben. Nach dem faschistischen Putsch 1973 in Chile konnte das »Neue Lied« nicht mehr offen gesungen werden, aber die Popularität des Genres wuchs rasant weiter. Die Armut der Menschen und ihr Kampf um bessere Lebensbedingungen fanden in Protestliedern Ausdruck – auch an diesem Abend. Die kraftvolle Stimme von Aruma Itzamaray intonierte perfekt die deftige Dramatik, leise emotionale Nuancen, Freude und Zuversicht der unsterblichen Lieder des chilenischen Kampfes. Ihre Authentizität, ihr Feuer, die klare Intonation der spanischen Verse schlugen das Publikum in ihren Bann.
Kongenial an der Gitarre, bot Tobi Thiele eine einfühlsame wie ausdrucksstarke Begleitung. Auch sängerisch musste er sich nicht verstecken, besonders einprägsam war sein Lied »Memorias« von der LP »Alles kann anders sein« (2018). Im Gespräch erzählte er mir begeistert von seiner kürzlich beendeten Tour durch Kuba, wo er zwei Monate mit Monika Ehrhardt Lakomy den »Traumzauberbaum« auf spanisch präsentierte. Seit kurzem zurück, fand er sich im schneevermatschten Klima von Berlin nur schwer wieder zurecht.
Das Können des Altmeisters Rolf Becker hinreichend zu rühmen fällt schwer: Nerudas Texte donnerten aus ihm heraus, als ob der Literaturnobelpreisträger höchstselbst die Regieanweisungen gegeben hätte. Becker legt sein ganzes Herz in die Darbietung, da zieht etwas innerlich in dem Mann – er wird eins mit dem Text. Das Publikum applaudierte hingerissen, dankbar. Natürlich wurde auch der historische Hintergrund des Dargebotenen gewürdigt. Becker, erinnerte sich, wie er 1973 mit Elfriede Irrall »Sendung auf Sendung beim WDR über die Lage in Chile« produzierte. Brücke ins Jetzt: »Heute wäre eine solche Arbeit im Fernsehen unmöglich.«
Kleine Bühne, großer Abend. Und über die Zukunft schrieb einst Pablo Neruda: »Auch wenn du alle Blumen abschneiden kannst, kannst du nicht vermeiden, dass es Frühling wird.«
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