»Ein wichtiger Meilenstein«
Von Interview: Claudia WangerinHeinz Stehr ist Vorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP)
Welche Eindrücke haben Sie vom Auftakt der G8-Proteste in Rostock mitgenommen?
Die Beteiligung war höher als es meinen Erwartungen entsprach. Die Demonstration hat die unterschiedlichen Spektren der Linken in einer Art widergespiegelt, wie es in letzter Zeit selten bei Demonstrationen der Fall war. Auch die inhaltlichen Aussagen zur Politik der G8 und ihren Folgen waren gut. Was aus meiner Sicht zu kurz kam, waren die Alternativen und Perspektiven der Auseinandersetzung. Natürlich wird jetzt versucht werden, die Aktion mit den Ereignissen am späten Abend zu diskreditieren, die eigentlich außerhalb der Gesamtveranstaltung stattfanden. Dann wird in der Öffentlichkeit kein politisches Bild von dem wiedergegeben, was dort tatsächlich los war: Es war ein weiterer gelungener Auftakt zur Formierung der alternativen Kräfte gegen die neoliberale Politik in der Bundesrepublik. Wesentlich ist, daß in Rostock trotz massiver Antipropaganda durch Politik und Polizei so viele Menschen zusammengekommen sind - vor allem auch junge Leute, und sich nicht von ihrem Protest abbringen ließen. Es wären sonst natürlich noch einige zehntausend mehr gewesen, weil hier in Rostock ein Klima der Hysterie gegen diese Aktivitäten erzeugt wurde, so daß sich viele Leute von ihrem Vorhaben, verabschiedet haben, an den Protestveranstaltungen teilzunehmen.
Was haben Sie von den polizeilichen Maßnahmen mitbekommen?
Als wir zur Abschlußkundgebung am Rostocker Stadthafen kamen, begannen die Maßnahmen bereits am Rande. Die Polizei hat alles versucht, um in den Zug einzudringen und dadurch auch provoziert. Während der Kundgebung störte sie permanent mit Hubschrauberlärm den Ablauf. Mein Eindruck ist, daß die Polizei diese Bilder haben will, um sie auch der Politik entsprechend präsentieren zu können. Man will die Aussage in die Medien bringen, daß es sich nur um Randalierer handelt und nicht um einen wirkungsvollen politischen Protest.
Der Politologe Peter Grottian hat neulich in Berlin gesagt, der G8-Protest dürfe nicht zum »Zaunprotest« verkommen und müsse viel mehr die Verankerung in Betrieben und Hochschulen suchen. Teilen Sie die solidarische Kritik, der Protest sei zu abstrakt geblieben?
Die Leute, die sich aktiv daran beteiligt haben, hatten aus meiner Sicht alle überzeugende Argumente, warum sie das tun. Sie waren auch mit vollem Einsatz dabei - und mit Gedanken über politische Alternativen. Insofern kann ich die Kritik nicht teilen. Ich habe eine ganze Reihe Leute getroffen, die mir aus gewerkschaftlichen, friedenspolitischen und anderen Kämpfen bekannt waren. Die wissen auch, daß dieses Highlight nicht der Endpunkt ist, sondern ein Teil des notwendigen Protestes gegen die neoliberale Weltordnung und die Politik in unserem Land. Es könnte der Beginn eines Organisationsprozesses sein, der sich zum Beispiel in der weiteren Formierung von Sozialforen vor Ort umsetzen wird. Für die Formierung der Gegenkräfte ist der G8-Protest aus meiner Sicht ein wichtiger Meilenstein.
Wegen der Symbolik, Zehntausende an einem Ort zu versammeln, oder mehr wegen der Diskussions- und Kennenlernprozesse im Vorfeld und in der Nachbereitung?
Einmal wegen der Aussagefähigkeit einer Großdemonstration; zum zweiten wegen der Fähigkeit, aus unterschiedlichen Spektren kommend miteinander zu diskutieren und zum dritten natürlich wegen der Fragestellungen. Es geht um Alternativen und um Perspektiven, die natürlich umstritten sind - aber es ist interessant, darüber zu diskutieren und dieser Prozeß hat ja erst begonnen.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!