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08.06.2007, 13:30:56 / G8-Blog

Militanz statt Pflastersteine

Von Damiano Valgolio
Bild 1

Nach Rostock und Heiligendamm muß sich die radikale Linke entscheiden: Alte Mythen oder neue Bewegungen.

Nein, diesmal bekommt die Propagandamaschinerie nicht die ersehnten Bilder! Obwohl die Polizeiführung alles daran setzt, die Lage wieder eskalieren zu lassen.
Vermummte Zivilpolizisten mischen sich unter die G8-Gegner und fordern zum Steinewerfen auf. Sie werden rausgeworfen. Die Polizei schießt mit Wasserwerfern auf die friedlichen Sitzblockaden, mit schweren Stiefeln wird den Protestlern auf dem Boden ins Gesicht getreten. Doch die Menschen bleiben besonnen. Viele Tausend haben am Mittwoch und am Donnerstag die Zufahrtsstraßen zum G8-Gipfel in Heiligendamm blockiert. Immer wieder überlistet »Block G 8« den schwer bewaffneten Polizeiapparat und dringt vor bis zu dem Stacheldrahtzaun, hinter dem sich die Mächtigen der Welt verschanzt haben. Anstatt die Polizeisperren anzugreifen, schwärmen die Demonstranten aus und überlaufen die Kampfroboter auf den umliegenden Feldern. Das Tränengas verfliegt, es wird verdrängt von der Kraft der Bewegung der Bewegungen.

Dunkles Gebilde mit Modergeruch

Wer hätte das gedacht – nach Rostock. Auch dort war die Kraft zu spüren, die von den Zehntausenden ausging. Gewerkschafter und Christen, Ökos und Sozialisten demonstrierten gemeinsam gegen die neoliberale Globalisierung. Wieder ätzte das Tränengas an den Rändern der Massenkundgebung – doch diesmal verflog es nicht. Es wurde verstärkt von einem seltsamen, modrigen Geruch. Verströmt von einem dunklen Gebilde, das eigentlich schon auf dem Müllhaufen der Geschichte kompostierte. Spiegel-Online, die Bildschirm-Bild im Minutentakt, gab ihm einen Namen: Schwarzer Block.

Gerne mitgespielt

Anders als in der folgenden Woche schafften es die »Autonomen« auf Rostocks Straßen nicht, die verkleideten Polizeiprovokateure rauszuwerfen. Stattdessen lassen sie sich von ihnen verführen, greifen erst ein wie zufällig einsam herumstehendes Einsatzfahrzeug an. Danach liefern sie sich Scharmützel mit der Polizei. Die spielt das Spiel gerne mit, immer wieder zieht sie sich in die Seitenstraßen zurück, um danach wieder vorzupreschen. Dabei hätte schon eine Hundertschaft gereicht, um die »Schwarzen« matt zu setzen. Stattdessen greift die Polizei gezielt die friedlichen Demonstranten an. Mit Wasserwerfern und tieffliegenden Hubschraubern versucht sie die Abschlußkundgebung unmöglich zu machen. Nach drei Stunden Provokation haben die Polizisten in schwarz und in Uniform ihr Ziel erreicht: ein Auto brennt. Genauso gut wie die Straßenkrawalle selbst hat ihre mediale Ausschlachtung System: Die englischsprachige Rede von Walden Bello wird von einem Reporter falsch übersetzt. Ausgerechnet dem Pazifisten und Träger des alternativen Friedensnobelpreises wird ein Aufruf zum »Krieg auf der Straße« angedichtet. Es werden Falschmeldungen von hunderten verletzen Polizisten verbreitet, von Molotow-Cocktails, Messerattacken und Leuchtspurmunition.

Kein Zeichen von Stärke

Genauso wurde 2001 bei den G8-Protesten in Genua der Polizeiangriff auf die schlafenden Aktivisten in der Diaz-Schule inszeniert. Die Polizisten, die damals eine Messerattacke auf sich selbst vortäuschten und Benzinflasche in die Schule schmuggelten sind inzwischen rechtskräftig verurteilt. Wann wird den verbeamteten Provokateuren von Rostock der Prozeß gemacht?      
Die Massenmedien dichten die Krawalle, die in Wirklichkeit kaum über das hinausgehen, was in Dresden oder Leipzig regelmäßig vor den Fußballstadien passiert, zum Bürgerkrieg um. Nicht viel besser sind die Stellungnahmen einiger linksradikaler Gruppen: die »Antifaschistische Linke Berlin« sieht in den autonomen Steinwürfen, die oft genug Mitdemonstranten trafen, »zielgerichtete Aktionen«. Die inszenierte Krawalle wird als Zeichen der eigenen Stärke interpretiert, dabei zeigt sie vor allem die organisatorische Schwäche.

Militanzbegriff hinterfragen

Aber auch die Reaktionen der ATTAC-Funktionäre zeugen nicht von Souveränität: Gepaart mit öffentlichen Entschuldigungen erklärt Peter Wahl, daß die »Autonomen« ab jetzt nicht mehr mitmachen dürfen. Doch mit Entsolidarisierung läßt sich die Gewalt nicht eindämmen. Übrigens auch nicht mit dem so richtigen wie banalen Hinweis, daß die Polizei angefangen hat. Gegen die Krawallos hilft nur eines: Militanz.
Und zwar Militanz, wie sie in England und Italien verstanden wird. Dort ist der »Militante« kein Steinewerfer, sondern ein Organisierter, bzw. ein Organisierer. Mit einem gut organisierten Ordnerdienst, der Steinewerfern und Provokateuren auf die Finger klopft, lässt sich mehr erreichen als mit rückwirkenden Distanzierungen. Die erfolgreichen und friedlichen Aktionen vor Heiligendamm haben gezeigt, wie echte Militanz aussieht.

Auch vor den Gipfelprotesten in Genua 2001 hat die italienische Linke zuerst im eigenen Lager durchgegriffen. Die damaligen »Dissobedienti« schützten sich nur mit Plastikschildern und Helmen gegen die Polizei. Wer dieses Konzept des »Ungehorsams« mit Steinwürfen störte, wurde alles andere als zimperlich behandelt.

Wenn die radikale Linke auch in Deutschland zu einem relevanten Faktor der neuen Bewegungen zu werden will, muß sie sich von ihren alten Riten und Aktionsformen verabschieden. Und bitte auch von ihrer dunklen Lieblingsfarbe. Der schwarze Block konnte vielleicht in den fetten 80ern die Hamburger Hafenstraße verteidigen. Für die heutigen Auseinandersetzungen mit ihren immer schärferen sozialen Konflikten ist er so ungeeignet wie eine Sturmhaube beim Küssen. 

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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