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26.02.2016, 02:03:01 / Havanna 2016

Selber tun in Kuba

Von Von Katja Klüßendorf und Dietmar Koschmieder
Von fruta bomba bis Knoblauch: Große Auswahl an Obst und Gemüse
Von fruta bomba bis Knoblauch: Große Auswahl an Obst und Gemüse

Kuba hat für die junge Welt eine besondere Bedeutung: Die Notwendigkeit eines Mediums der Gegeninformation, das bürgerlicher Wahrnehmung und Interpretation von Realitäten, aber auch der bewussten Lüge etwas entgegensetzt, lässt sich am Beispiel Kubas besonders gut nachweisen. Seit Jahren begleiten wir deshalb die revolutionären Prozesse in diesem Land, meistens allerdings vom europäischen Kontinent aus. Gut, dass wir mit Volker Hermsdorf einen Reporter haben, der oft vor Ort ist. Und regelmäßig besuchen wir mit einer Journalistendelegation Kuba. In den letzten Jahren geschah dies vor allem im Rahmen unserer Auftritte mit dem Berliner Büro Buchmesse Havanna. Die Notwendigkeit eines eigenen Auftritts auf der Messe stellt sich heute zwar nicht mehr - die Notwendigkeit, die aktuellen Prozesse in Kuba selber in Augenschein zu nehmen, wächst hingegen. Unsere Delegation 2016 soll deshalb Eindrücke sammeln, Gespräche führen, Kontakte knüpfen.

Unser letzter gemeinsamer Besuch in Kuba liegt fünf Jahre zurück. Damals wurden gerade sehr intensiv die Entwürfe für die Lineamientos (Leitlinien) diskutiert, mit denen der kubanische Sozialismus an die neuen aktuellen Bedingungen angepasst werden soll. Die damals vorgelegten Vorschläge wurden aufgrund tausender Diskussionen und zigtausender Änderungsanträge zu den 313 Leitlinien weiterentwickelt, die dann auf dem VI. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas (April 2011) beschlossen wurden. Nun steht der nächste Parteitag an, der im April 2016 Rechenschaft zum in der Praxis Erreichten ablegen und Erfahrungen aufarbeiten soll. Die Notwendigkeit der Veränderungen waren damals unumstritten. In den revolutionären Elan, diese anzupacken, mischten sich allerdings auch viel Skepsis und Unsicherheit: Wird das zu schaffen sein? Geht man den richtigen Weg? Wie schwerwiegend sind die Begleiterscheinungen dieses Prozesses?

Schon bei unseren früheren Besuchen hier auf Kuba konnten wir feststellen, dass dieses Land vor neuen historischen Herausforderungen noch nie die Augen verschlossen hat, sondern immer mit offenem Visier kämpfte – und das selbst in scheinbar hoffnungslosen Ausgangssituationen. Die Blockade, der Wegfall der wichtigsten Handelspartner und die sich daraus ergebenden Konsequenzen nach 1989, die Spezialperiode, die Weltwirtschaftskrise, aber auch die neuen Möglichkeiten und Partner in Lateinamerika, immer zogen die kubanischen Revolutionäre Schlussfolgerungen in Theorie und Praxis, und immer mit dem Ziel, die Revolution und ihre wesentlichen Errungenschaften zu verteidigen.

Vor fünf Jahren waren erste Auswirkungen der neuen Entwicklung spürbar, die uns europäischen Linken nicht gefallen konnten: Erste Plakate und Werbebanner für Maggi und Nestle trübten das schöne Bild von der vom Konsumterror befreiten Karibikinsel. Und viele Befürchtungen wurden diskutiert: Hunderttausende sollen aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden und sich in Kooperativen oder als Selbstständige neue Arbeitsfelder suchen? Wie werden Heerscharen von Kleingewerbetreibenden das Bewusstsein und die Charaktere der Menschen verändern? Nicht nur Linke schauten skeptisch auf diese Prozesse, auch europäische Reisebüros vermarkten bis heute solche Spekulationen für ihre Zwecke: „Besuchen Sie das ursprüngliche revolutionäre Kuba, solange es ein solches noch gibt.“ „Noch mal rasch nach Havanna, bevor der Kapitalismus hier endgültig zuschlägt.“ Die Annäherung zwischen Kuba und den USA verstärken diesen Trend.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Es gibt in der Praxis viele Veränderungen - und wir sind von den meisten angenehm überrascht! Ja, es gibt mehr internationale Markenartikel in Havanna zu kaufen, ihre Präsenz im Stadtbild hat aber eher abgenommen. Auf unsere erstaunte Frage, wie dies möglich sei, antwortet Kenia Serrano, Präsidentin des Instituts für Völkerfreundschaft (ICAP), kurz und selbstbewusst: „Etwas anderes wäre nicht unser Stil!“ Und tatsächlich gibt es wesentlich mehr selbständige Kleinunternehmer, eine deutlich verbesserte Infrastruktur, eine entspannte Versorgungslage. Die Stimmung ist gut.

Beispiel Nahverkehr in Havanna: Noch sind die Busse sehr voll, mit denen man für weniger als einem nationalen Peso sein Ziel erreichen kann. Darüber hinaus aber gibt es Sammeltaxi-Linien: Man winkt sich den alten Chevrolet heran, nennt sein Ziel und wenn es auf der Route des Taxis liegt, steigt man ein. Der Fahrer erhält 10 nationale Pesos von jedem Fahrgast (egal ob Kubaner oder Tourist) und zahlt eine pauschale Abgabe sowie eine Umsatzbeteiligung an den Staat. Darüber hinaus fahren gelbe Kleinbusse einer Taxikooperative, die man ebenfalls auf der Linie heranwinkt und mit denen man für fünf nationale Peso sein Ziel erreichen kann. Natürlich gibt es nach wie vor offizielle und inoffizielle Taxis, die individuell für den Fahrgast ein Ziel ansteuern. Hier sind die Preise aber niedriger als früher – weil es eben Alternativen gibt (Touristen, die nicht aufpassen, zahlen natürlich wie immer viel zu viel).

Beispiel Gastronomie und Lebensmittel: Eine Vielzahl staatlicher und privater gastronomischer Einrichtungen bietet eine große Auswahl unterschiedlicher Angebote – für die Kubaner wie für die Touristen. Und es sind auch etliche dabei, die außergewöhnliche Qualität zu erschwinglichen Preisen auf den Tisch bringen. Die Zahl der Märkte, auf denen frisches Obst und Gemüse erworben werden kann, hat deutlich zugenommen – wie auch deren Angebot. Besonders heftig umstritten war vor fünf Jahren der Plan, die Vergabe von Libretas (Bezugsscheine für Lebensmittel zum symbolischen Preis) auf jene zu beschränken, die dieser dringend bedürfen. Dieses System wurde bis heute nicht angerührt, viele halten das aber für veränderungswürdig. Wieso sollen beispielsweise jene, die durch die neuen Möglichkeiten zu den Gutverdienenden gehören und sich problemlos auf den Märkten bedienen können, gleichermaßen mit der Libreta staatlich gefördert werden wie jene, die darauf angewiesen sind?

Differenzierter und besser bezahlt als noch in den letzten Jahren werden heute die im staatlichen Sektor Beschäftigten. Es verschärft sich aber das Problem, dass die neuen Selbständigen oder im Tourismus Arbeitende oft über ein deutlich besseres Einkommen verfügen. Damit sie die neuen Möglichkeiten der Versorgung und Infrastruktur nutzen können, arbeiten viele nach ihrem Achtstundentag im staatlichen Bereich noch zusätzlich im privaten Sektor – was nicht zur Verbesserung der Arbeitsqualität führt. Dieses Problem haben Politik und Gewerkschaft erkannt und setzen sich zum Ziel, dass die Arbeit im Beruf für alle zur entscheidenden Einkommensquelle werden muss.

Insgesamt scheint uns die Stimmung gelöster, entspannter als vor fünf Jahren. Es verändert sich etwas im Land und die Kubaner merken das. Sie trauen ihrer Regierung zu, die weitere Entwicklung im Land zu meistern, trotz allgegenwärtigem Klagen über zu viel Bürokratie. Vor allem aber scheint sich in der Bevölkerung das Bewusstsein zu verstärken, dass für die Aktualisierung des Sozialismus nicht nur die Regierung zuständig sein kann: Selber tun gilt als Handlungsmaxime auch in Kuba.

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