Arthouse mit viel Sex
Von Johannes SchultenKubanisches Kino ist mir völlig unbekannt. Außer der Antidiskriminierungskomödie „Erdbeeren und Schokolade" habe ich noch nie einen kubanischen Film gesehen. Natürlich kenne ich auch Wim Wenders´ „Buena Vista Social Club", aber der ist ja nicht kubanisch.
Eine Bekannte aus Havanna sagt, sie liebe das nationale Kino. Allerdings seien die Filme immer künstlerisch ambitioniert. Einfache Komödien, Action oder was sonst so unter Entertainment fällt, gebe es kaum.
Ich überzeuge mich selbst: Es ist 20.30 Uhr, ich stehe vor dem Payret. Das Payret ist eines ältesten Kinos der Stadt, es liegt gegenüber dem mördergroßen Capitolio in Havanna City. Der Eintritt kostet zwei CUC, für Ausländer. Kubaner zahlen zwei Peso, praktisch nichts. „Das Kino und den Malecón können sich alle Kubaner leisten", sagt die Freundin.
Es gibt „afinidades", eine spanisch/kubanische Coproduktion, die im vergangenen Jahr beim internationalen Filmfestival von Havanna uraufgeführt wurde.
Mit den Tickets geht es direkt in den Saal. Kein Popcornstand, kein Getränkeverkauf, keine Nachos mit Käse. Man beschränkt sich aufs Wesentliche, von der Kasse zum Film.
Das Payret wurde 1878 gebaut, die Treppenflügel aus Marmor, die zur Loge führen und ein kleiner Springbrunnen in der Lobby erinnern an die üppige Vergangenheit. Heute ist es ziemlich abgewirtschaftet. Ich fühl mich trotzdem wohl, und spreche mal von „morbidem Charme".
Der riesige Saal ist etwa zu einem Drittel belegt, Als ich reinkomme, hat der Film schon begonnen. Ich suche mir eine Reihe, die fast leer ist, damit ich alleine sitzen kann. Das ist blödsinnig und ein wenig ignorant, geschieht aber automatisch.
Meine Bekannte hat recht, was das Kunstkino betrifft: lange Kameraeinstellungen, klassische Hintergrundmusik und anspruchsvolle Dialoge mit haufenweise Anspielungen, die ich nicht verstehe. Ein kubansiches Pärchen und ein Kubaner, der mit einer Spanierin verheiratet ist, machen Urlaub in einem ziemlich luxuriösen Touristenressort im Süden des Landes. Zwischen Cuba Libres, Bootsausflügen und langem Schweigen wird ständig miteinander geschlafen. Anfangs jeder mit seinem Partner, später untereinander, zum Schluß kollektiv. Arthousekino mit viel Sex.
Hintergründig geht es um mehr. Etwa um Kubas Entwicklung, die Wirtschaftsreformen, den Massentourismus und die Folgen von punktueller Marktwirtschaft. Einer der beiden Männer, Néstor, leitet ein Unternehmen, daß kurz vor einem Joint Venture mit einem Global Player steht. Es soll Entlassungen geben. Der andere Mann, ich glaube er heißt Bruno, steht auf der Liste. Néstor bietet ihm an, sich für seinen Job einzusetzen, will dafür aber mit seiner Frau schlafen, was auch klappt. Nestór redet viel von Leistung, Erfolg und Geld, er ist ein Macher. Bruno, ein Physiker, ist nachdenklicher, träumt und redet über Politik.
Den Zuschauern gefällts. Die Beischlafszenen werden mit lauten Rufen und Lachen begleitet, nicht infantil, eher neugierig und mitfiebernd.
Daß das kubanische Kino sich nicht mit den Problemen beschäftigt, stimmt nicht, es geschieht nur ein wenig subtiler, als man es vielleicht gewohnt bin.
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