Unmögliches versuchen
Von Jörn BoeweKubas KP sieht Mentalitätswandel in den eigenen Reihen als notwendig für das Überleben der Revolution an. Ein Besuch im Zentralkomitee der PCC
Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Kubas hat seinen Sitz in einem militärischen Sperrgebiet am Rande der Plaza de la Revolución im Zentrum der Hauptstadt Havanna. Da wir eine Einladung des Sekretärs der Internationalen Abteilung, Noel Carrillo Alfonso, haben, ist es uns möglich, das Gebäude zu betreten, aber fotografieren dürfen wir nicht.
Dürften wir, würde man auf den Bildern eine Art Bunker der imposanteren Art sehen, der sehr realsozialistisch anmutet, obwohl er es gar nicht ist. Das Gebäude wurde bereits unter der Batista-Diktatur errichtet. Überhaupt scheinen hier viele Dinge auf den ersten Blick anders, als sie sind. Will man zu ihrem Grund durchdringen, kostet es ein bißchen Zeit, Empathie und Suerte, wie man hier sagt, was soviel wie Glück bedeutet, aber nicht jenes Glück, das einem zufällt (das heißt Fortuna), sondern jenes, für das man sich anstrengen muß und ein bißchen Geschicklichkeit braucht.
Wir passieren einen Kontrollposten, der überprüfen muß, ob wir tatsächlich angemeldet sind, und betreten einen Konferenzraum. Carrillo, der jW-Lesern auch von der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz bekannt ist, ist ein eloquenter, gebildeter und bescheidener Mensch. Von Arroganz der Macht, die bei einem einigermaßen hoch angebundenen Funktionär einer Staatspartei nicht überraschen würde, keine Spur.
»Batista hat dieses Gebäude bauen lassen«, sagt Carrillo, fast, als müßte er sich für die Präpotenz der Architektur entschuldigen. »Er hat es aber nicht mehr nutzen können.« Damals, vor mehr als einem halben Jahrhundert, nahm die Geschichte hier eine jähe Wendung. Aber auch heute stehen den Kubanern Veränderungen ins Haus, erklärt der ZK-Sekretär. Ende Januar tagte die Parteikonferenz der Kommunisten, die wichtigste Versammlung zwischen den Parteitagen.
In gewisser Weise hat die Konferenz die vor einem Jahr auf dem sechsten Kongreß der Partei begonnene Debatte über den künftigen Kurs der Republik fortgesetzt. »Der Parteitag hat sich damals vor allem mit Wirtschaftsfragen beschäftigt«, berichtet Carrillo, »auf der Konferenz standen politische Fragen im Fokus.« Offensichtlich bemüht sich die Partei, ihre Rolle bei der Umsetzung der anvisierten Wirtschaftsreformen neu zu definieren. Es ist nicht schwer zu merken, daß ihr das nicht leichtfällt. Bisher hätten sich Parteifunktionäre in alle möglichen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung eingemischt, was die Autorität der staatlichen Behörden geschwächt habe. Damit soll Schluß sein, sagt Carrillo: »Die Partei darf nicht administrieren, sondern muß kontrollieren.« Worin der Unterschied in der Praxis konkret bestehen wird, ist nicht ganz klar, aber Carrillo ist es ernst: »Bislang war es so, daß die Kader der Partei immer auf Entscheidungen von oben gewartet haben. Jetzt sind – notgedrungen! – Initiativen der Basis gefragt. Ein enormer Mentalitätswandel sei nötig. Wenn die Partei den nicht erreiche, bekomme man große Probleme.
Chefs kritisieren
Dummerweise ist dieser Wunsch nach einem Mentalitätswandel zunächst auch nur eine Anweisung von oben. »Die Leute sollen ihre Chefs kritisieren«, sagt Carrillo, »und die Partei soll absichern, daß es keine Repressionen gibt, denn der Chef hat immer Macht«. Dies trifft zu, aber es trifft auf Chefs jeder Branche und Hierarchiestufe zu – und auf Parteisekretäre nicht minder. Es mutet ein bißchen an wie die Quadratur des Kreises: Gezwungenermaßen greifen die Revolutionsführer um Präsident Raúl Castro bei ihrem Wunsch, den Dingen einen neuen Drive zu geben, auf den einzigen Apparat zurück, der ihnen zur Verfügung steht. Und dieser ist, daraus macht Carrillo keinen großen Hehl, leider ein Teil des Problems. »Wir müssen eine Partei werden, die weniger bürokratisch ist und stärker an der Basis.«
Immerhin: Der Anspruch, das Unmögliche zu versuchen, war bekanntlich schon eine Maxime eines der historischen Führer dieser Revolution, des Argentiniers Ernesto Che Guevara. Deutlich ist aber auch: Mit strukturellen Veränderungen tut man sich schwer. »Im Rahmen der Revolution muß Raum für Kritik sein«, sagt Carrillo, schiebt aber sofort nach: »Wir wollen keine Meinungsanarchie«. Am Einparteiensystem werde nicht gerüttelt, stellt er klar. Dies wird sowohl mit den außenpolitischen Gegebenheiten, der konfrontativen Haltung des US-Imperialismus, als auch mit historischen Eigenheiten begründet. »Wenn wir ein Mehrparteiensystem zulassen würden, wäre in unserer geopolitischen Situation eine Außenfinanzierung bestimmter Parteien und ein Auseinanderbrechen der Revolution unausweichlich«, sagt Carrillo.
Die historische Begründung ist weniger plausibel. Auch der Unabhängigkeitskampf sei durch eine einzige Partei geführt worden, das System von Einheitsparteien habe darüberhinaus eine starke Tradition in Lateinamerika und im antiimperialistischen Kampf auch über Kuba hinaus.
Die Argumentation ist natürlich etwas zurechtgebogen: Zwar hatte sich die Bewegung gegen die spanische Kolonialherrschaft im 19. Jahrhundert tatsächlich in der »Revolutionären Kubanischen Partei« vereinigt. Die kubanische Revolution 1959 jedoch wurde geführt von drei unabhängigen Parteien der antiimperialistischen Linken: Der Bewegung 26. Juli der Castro-Brüder, dem Revolutionären Studentendirektorium und der kommunistischen Partei, die sich damals Sozialistische Volkspartei nannte. Letztere spielte, entgegen aller marxistisch-leninistischen Orthodoxie, nicht die Hauptrolle. Die heutige Kommunistische Partei entstand erst Jahre nach dem Sieg der Revolution durch den Zusammenschluß der drei Organisationen.
Einheitspartei
Heute hat die Einheitspartei Carrillo zufolge rund 800000 Mitglieder. Auf ihrem letzten Kongreß vor einem Jahr waren rund 2000 Delegierte vertreten. Das Zentralkomitee hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch rund 200 Mitglieder, heute, nach einer Verkleinerung sind es noch 115. Die zentralen Entscheidungen fallen im Politbüro, das aus 15 Leuten besteht. In den 53 Jahren seit dem Sieg der Revolution hat die Partei nicht mehr als sechs Kongresse abgehalten, zwischen dem vergangenen und dem fünften Parteitag lagen ganze zwölf Jahre.
»Die Partei hatte beschlossen, keinen Kongreß durchzuführen, solange man keinen Vorschlag für die langfristige Entwicklung hat«, lautet Carrillos Begründung. Ein solches Konzept liege nun vor. Die Zahl der kleinen Selbständigen, jener, die »auf eigene Rechnung« arbeiten oder, etwas prosaischer ausgedrückt, der informelle Sektor, gewinnt an Bedeutung. Dies ist eine Notlösung, denn die Zahl der Angestellten im öffentlichen Dienst und den staatlichen Industrien wird weiter sinken. »Wir haben heute schätzungsweise rund 300000 Selbständige«, sagt Carrillo. »Ende des Jahres werden es mehr als eine halbe Million sein.«
Nicht inbegriffen sind in dieser Rechnung ganz offensichtlich jene, die irgendeinem kleinen »Bisnes« nachgehen, um ihre Rente oder ihr Gehalt durch einen kleinen Zuverdienst in konvertiblen Pesos (CUC) aufzubessern, und das ist praktisch jeder, der nicht auf reguläre Weise, was immer das sein mag, an CUC herankommt. Kuba hat ein System der Doppelwährung. Ostdeutsche, die die Mitte 30 überschritten haben, denken in diesem Zusammenhang vielleicht an die Zirkulation von D-Mark und den berüchtigten konvertiblen »Forumschecks« in der DDR der 80er Jahre. Es gab Witze dieser Art: Wenn du einen Handwerker rufst, fragt er dich »Forum geht's?«
Tatsächlich ist die Situation nicht vergleichbar. In der DDR der 80er Jahre waren bestimmte Luxusgüter und Dienstleistungen ohne »harte« Währung schwer und teilweise nicht zu bekommen. Kubaner kommen ohne CUC nicht durch den Alltag. Dies ist eine Erfahrung, die uns hier immer wieder glaubhaft berichtet wird. Die Situation ist äußerst frustrierend und demoralisierend, wie Carrillo bestätigt. »Alle, die heute jünger als vierzig Jahre sind, haben ihr gesamtes bewußtes Leben im Zeichen der Krise verbracht.« Mit dem System der doppelten Währung sei »Korruption ein großes Problem« geworden: »Wenn wir die Schlacht gegen die Korruption nicht gewinnen, verlieren wir die Revolution.« Linie der Partei sei, »daß in diesem Zusammenhang niemand unberührbar ist. Wir müssen erreichen, daß die gesamte Bevölkerung und insbesondere die Jugend die Erneuerung (Actualización) der Revolution als ihre Herzensangelegenheit betrachtet.«
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