Miquis, Repas, Guapos
Von Jörn BoeweDer Kampf um die Identität ist das große Thema von Kubas linken IntellektuellenAn die hundert Leute haben sich am letzten Samstag abend in einen kleinen Saal in der früheren Kommandantur Che Guevaras in Havanna gequetscht. Enrique Ubieta Gómez, Herausgeber der populären Kulturzeitschrift La Calle del Medio und zweifellos einer der agilsten politischen Intellektuellen des Landes, stellt sein neues Buch vor.
Der
Titel irritiert zunächst: »Kuba: Revolution oder Reform?« Plan oder
Markt, Staat oder Privat, Demokratie oder Diktatur – all das wäre auf
den ersten Blick näherliegend. Aber Ubieta setzt Themen, und als mit
allen Wassern des Postmodernismus gewaschener Kulturwissenschaftler
kriegt er jedesmal die Kurve, egal, aus welcher Einflugschneise er zu
seinen intellektuellen Loopings ansetzt.
Ubietas These: Ohne
eine »Revolution in der Revolution« sei der Sozialismus auf Kuba über
kurz oder lang verloren. »Der gefährlichste Feind ist heute nicht der
politische oder militärische. Die größte Gefahr ist heute die
Reproduktion einer kapitalistischen Mentalität.« Womit er nicht auf Max
Webers protestantisches Arbeitsethos anspielt, sondern auf die teilweise
in Kuba um sich greifende Obsession für nordamerikanische und
westeuropäische Markenprodukte aller Art.
Das Problem ist für Ubieta
dabei offenkundig nicht eine solche Sehnsucht, sondern der Umstand, daß
eben nicht alle gleichermaßen an die süßen Früchte herankommen. Wie
sollte dies in einer postrevolutionären Gesellschaft, die die Gleichheit
auf ihre Fahnen geschrieben und in weiten Teilen auch verwirklicht hat,
kein Politikum sein? Tatsächlich ist der Zugang zu harter Währung im
gegenwärtigen Kuba weniger egalitär als hierarchisch verteilt. Vor
diesem Hintergrund wird der Konsum von Markenprodukten à la Gillette,
Palmolive, L’Oreal, Vichy, etc., das demonstrative
»Es-sich-leisten-können«, zu einer Strategie sozialen Statusgewinns.
Als Beispiel untersucht Ubieta in seinem Buch die kubanische Subkultur
der »Miquis«, das Gegenstück zu den mexikanischen »Fresas« oder
spanischen »Pijos«: »Kinder aus Familien mit größeren Ressourcen, die
besessen von Mode und Markenkleidung sind« und »Techno-, House- oder
Discomusik hören, aber auch jeden anderen Musikstil akzeptieren – sogar
den ›Reguetón‹ –, sofern er in den größeren internationalen
Verkaufshitparaden auftaucht«. Erst das Erscheinen des Reguetón in den
internationalen Charts machte ihn jedoch für die Miquis respektabel,
denn grundsätzlich gilt er als Musik der »Reparteros« oder »Repas«:
Jugendlicher aus bescheidenen Verhältnissen, »Kinder von Eltern (oder
selbst Eltern) ohne qualifizierten Beruf und mit geringeren Einkommen
und schlechteren Lebensbedingungen«.
Ubieta weist in seinem
Buch weiter darauf hin, daß im Verhältnis von »Miquis« und »Repas« heute
eine soziale und kulturelle Spaltung wieder auftaucht, die es bereits
in den 60er Jahren gab, auch wenn die entsprechenen Gruppen damals als
»Pepillos« und »Guapos« oder »Cheos« bezeichnet wurden. Bemerkenswert
ist dabei, daß die Revolution die sozialen Ungleichheiten, die diesen
kulturellen Differenzierungen zugrunde liegen, lange Zeit abschwächte.
Dies hat sich mit der Duchsetzung des Systems der doppelten Währung –
kubanischer Peso/konvertibler Peso – grundlegend geändert.
Ubieta legt kein politisches Programm vor, doch im kulturellen Kontext
der kapitalistischen Globalisierung des 21. Jahrhunderts insisitiert er
auf eine Rückbesinnung auf die solidarischen, internationalistischen und
antiimperialistischen Werte von Martí und Guevara. »Die Verteidigung
der Revolution wird nur möglich sein, wenn wir unsere sozialistische
Identität als unsere ureigene Individualität begreifen und behaupten«,
resümierte er vor seinen dichtgedrängten Zuhörern in der Commandancia
del Che. Aber letztendlich, kubanische Identität hin oder her: Auf
mittlere Sicht wird die Revolution international sein, oder sie wird
nicht sein. »Dabei ist es nicht so wichtig«, schreibt er im Schlußwort
eines Buches, »daß die revolutionären Parteien in Inkohärenz und
Spaltung ersticken. Der Funke eines neuen 68 verbreitet sich auf der
trockenen Wiese des Kapitalismus.«
Enrique Ubieta Gómez: Cuba: Revolución o reforma?. Casa Editora Abril, Havanna 2012, 204 S., 18 CUP
www.editoraabril.cu
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