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18.02.2012, 19:31:22 / Buchmesse Havanna 2012

Hasta nuevo aviso

Von Jörn Boewe
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La Bahia de la Habana

Ich stand kurz nach vier auf, nahm meinen gepackten Rucksack (Landkarte, Paß, Kameras, Notizbuch) und schlich mich aus dem Hotelzimmer. Ich ging am Revolutionsmuseum mit dem Granma-Memorial und der ewigen Flamme vorbei, marschierte die calle Aguacate nach rechts bis zur Obispo hinunter, dann nach links am Hotel Ambos Mundos vorbei bis zur Avenida del Puerto. Dann wieder nach rechts, vorbei am alten Zollgebäude und der Hafenmeisterei, weiter zum Fähranleger.

Wenn der öffentliche Nahverkehr in Havanna zum Erliegen kommt - die Fähren nach La Regla und Casa blanca am Ostufer der Bahía de la Habana fahren immer noch. Es gibt strenge Sicherheitskontrollen, aber zwischen fünf und halb sechs sind sie noch nicht übertrieben streng. Es gab in der Vergangenheit Versuche, eine Fähre nach Miami zu entführen, was, wenn es geklappt hätte, eine abenteuerliche und langwierige Reise geworden wäre. Seitdem darf man keine Handfeuer- und blanken Waffen, Glasflaschen und Laptops mitführen. Das mit den Laptops habe ich nicht verstanden, denn soweit ich erkennen konnte, haben die alten Dieselbarkassen keinen USB-Anschluß.

Als ich die Fährstation erreichte, fuhr mir mein Boot vor der Nase davon, aber selbst mit dem nächsten kam ich noch pünktlich auf dem Bahnhof in Casa blanca an. Was nicht kam, war der Zug. Der Fahrkartenschalter war geschlossen, jemand hatte, soweit ich das im Dunkeln entziffern konnte, auf ein Schild geschrieben: »no hay tren hasta ...«. Der Rest war nicht zu lesen. Es sah ein bißchen aus wie: »Es fährt kein Zug vor neun.«

Ich wartete eine Weile gemeinsam mit enem Dutzend Einheimischer (die wichtigere Termine hatten als ich und sichtlich nervös wurden). Nach einer halben Stunde fuhr ich zurück in die Stadt So sah ich den Sonnenaufgang über der Bucht, dem natürlichen Hafen von Havanna. Ich schlenderte an den Kais entlang zurück ins Hotel, frühstückte, drehte noch eine Runde durch Centro Habana und Habana Vieja, kaufte die Granma und zwei Zigarren, das Stück für einen kubanischen Peso, den Gegenwert von vier Eurocent.  Die Polizisten am Fähranleger in Havanna Vieja waren sich ziemlich sicher, daß der Zugverkehr wieder rollen würde, also versuchte ich mein Glück aufs Neue mit dem Mittagszug.

Ich wollte den Kräutermann in Arcos de Canasí besuchen. Vor ein paar Tagen hatte ich ihn auf der Fähre kennengelernt: Ein kleiner, von der Sonne verschrumpelter alter Bauer aus der Gegend um Matanzas. Früher hatte er als Vorsitzender einer Bananenkooperative gearbeitet, jetzt war er pensioniert und kam jeden Tag mit dem Frühzug von Canasí nach Havanna, um auf dem Markt Medizinkräuter zu verkaufen. Für die hundert Kilometer brauchte der Zug, wenn er denn fuhr, ganze drei Stunden. » Wenn du nach Canasí kommst, frag nach dem hierbero«, sagte er, dem Kräutermann.

Der Alte strahlte die ganze Zeit. Nun, er hatte eine Menge Sonne abgekriegt in seinem Leben. »Schau dich um«, sagte er. »Das ist einer der schönsten Flecken auf Gottes Erde. Wir Kubaner sind eine Mischung von allem: Spanier, Afrikaner, Chinesen. Und alle ganz entspannt. Auf Kuba gibt es keine Rassendiskrimierung.«

Zwei Tage später traf ich ihn wieder auf der Fähre. Am Tag zuvor hatte ich dem kubanischen Fernsehen ein Interview gegeben, in dem ich mich für die Freilassung der fünf in den USA verurteilten kubanischen Agenten ausgesprochen hatte, die seit 1998 in Miami im Strafvollzug sitzen. Sie hatten in den 90ern terroristische Exilgruppen unterwandert, um Anschläge auf touristische Einrichtungen auf der Insel zu verhindern. Ihre Informationen hatten sie später dem FBI übergeben, das daraufhin eine Bombenwerkstatt hochnahm. Trotzdem wurden die fünf zu unverhältnismäßig hohen Gefängnisstrafen verurteilt. »Ich hab dich in den Nachrichten gesehen«, begüßte mich der Kräutermann am nächsten Tag, strahlend wie immer.

Hier kein Zugverkehr bis zu neuer Ansage
Hier kein Zugverkehr bis zu neuer Ansage

»War`s okay, oder hab`ich Blödsinn erzählt?«, wollte ich wissen.

»Das war eine sehr gute Intervention«, sagte er.

Er hatte mich eingeladen, sein Dorf zu besuchen. 1958 hatte er als Guerrillero mit dem M-26-7 in den Bergen gekämpft. Als ich sah, wie behende der alte Mann mit seinem Rucksack vom Boot kletterte, glaubte ich ihm aufs Wort. Ich versprach, ihn am nächsten Tag zu besuchen.

 

Der Fahrkartenschalter war immer noch geschlossen.  Drinnen klingelte ununterbrochen ein Telefon. Es hatte am Morgen schon geklingelt, und so  ging es vermutlich schon den ganzen Tag. Jetzt, in der Mittagssonne, konnte ich die Schrift auf dem Schild in Gänze entziffern: »no hay tren hasta nuevo aviso«, stand da: »Kein Zug bis  zu neuer Auskunft«. Zehn Meter neben dem Bahnsteig verkaufte eine Frau Kuchen aus einem Kiosk. »Haben Sie eine Idee, ob hier heute noch ein Zug fährt?«, fragte ich.

»Fragen Sie mal am Fahrkartenschalter«, sagte sie.

»Der Schalter ist schon den ganzen Tag geschlossen«, sagte ich. »Da gibt`s niemanden, den man fragen kann.«

Auf Kuba braucht man vor allem Geduld
Auf Kuba braucht man vor allem Geduld

 Auf dem Bahnsteig saß ein Bauarbeiter, einer von der schwärzesten Sorte, wie man sie in Habana Vieja, Centro und Regla trifft. » Was glaubst du«, fragte ich, »wann kommt der neue aviso?«

»Kann in einer Stunde sein«, sagte er. »Oder morgen. Kann in vierzehn Tagen sein oder in einem Jahr.«

»Ich werd`mal ein bißchen warten.«, sagte ich. »Auf Kuba braucht man vor allem Geduld.«

»Auf Kuba ist alles schwierig«, sagte er, »und nichts einfach.«

Er arbeitete seit Januar auf einer Baustelle ein paar hundert Meter weiter in einer Fabrik. Einen Arbeitsvertrag hatte er noch nicht. »Der Chef hat uns 300 Pesos versprochen, aber wie`s aussieht, will er jetzt nur 250 zahlen.«

»In der Woche?«, fragte ich.

»Monatlich.«  250 kubanische Pesos (CUP) sind ungefähr zehn Euro oder knapp 13 konvertible Pesos (CUC). Man muß natürlich bedenken, daß die Kubaner keine Miete und Krankenversicherung zahlen.

Die wichtigste Zeitung der Insel
Die wichtigste Zeitung der Insel

»Passiert sowas öfter, daß man keine schriftlichen Arbeitsverträge bekommt und beim Lohn über den Tisch gezogen wird?«

»Ist hier wie überall auf der Welt«, sagte der Arbeiter. »Wenn du Geld hast, hast du keine Probleme, aber wenn du für dein  Geld arbeiten mußt, fangen die Schwierigkeiten an.«

»Gibt es keine Behörden, die die Einhaltung der Arbeiterrechte überwachen – Verträge, Gesetze, Arbeitsschutz, Lohn?«

»Behörden gibt`s«, antwortete er. »Aber ich hab noch nicht gesehen, daß die etwas überwachen.«

»Eine Frage«, sagte ich. »Auf Kuba hat theoretisch die Arbeiterklasse die Macht.«

»Ja«, sagte er. »In der Theorie ist das so.«

 Er verabschiedete sich (seine Mittagspause war vorbei) und ging gemächlich an seine Arbeit. Ich packte meine Sachen und marschierte fünf Kilometer. Ich kletterte einen Berg hoch und wieder runter. Ich passierte das erste Haus, das Che Guevara auf Kuba bewohnt hatte. Im Garten grasten ein paar Ziegen. Das schlichte Anwesen ist heute ein Museum, und zwei uniformierte Frauen wollten mich für sechs konvertible Pesos  hineinlassen. Ich versprach, später wiederzukommen. An der Autobahn erwischte ich einen Bus zu den Playas del Este, den sechsten, nachdem fünf hoffnungslos überfüllte vorbeigefahren waren. Dummerweise fuhr der Bus heute mit veränderter Linienführung, was ich daran bemerkte, daß er plötzlich auf eine Ausfallstraße einbog, die ins Landesinnere führte. Ich stieg um auf einen russischen Ural-LKW, der mich bis Guanabo brachte, 27 Kilometer östlich von Havanna. Die Halte stelle lag nur zweihundert Meter vom Strand. Unten zog ich die Schuhe aus und ging ein Stück weiter Richtung Osten. Zum ersten Mal seit meiner Ankunft auf Kuba am 6. Februar sprang ich ins Wasser und schwamm eine Runde im karibischen Meer. Ein paar Männer fischten mit der taraya, einem kreisrunden Wurfnetz, an dessen Rand kleine Gewichte befestigt sind. Ein vielleicht vierjähriger Junge spielte mit einer angespülten Portugiesischen Galeere, einer giftigen Nesselqualle. »Bengel«, schrie ich, »faß die nicht an!« Es war das erste und bislang einzige Mal, daß ich mich in kubanische Angelegenheiten eingemischt habe, die Sache mit den fünf Agenten nicht eingerechnet. Ich setzte mich unter eine Kokospalme, zündete eine Zigarre an und vertiefte mich ins Studium der Granma.

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