Versprechen auf Versprechen
Auch die Wertkritiker äußern sich zum Marx-Jubiläum. Das neue Heft der Wiener Streifzüge ist schlicht »Marx« betitelt und möchte laut Editorial eine Alternative sein zu den anderen Gratulanten zum 200. des Philosophen, die ihn bloß wie »Fast Food«, als »Marx für Eilige« oder schlicht als »Marke« behandeln würden.
Bei den Streifzügen denkt man gut marxistisch in längeren Zyklen und druckt einen Artikel von Franz Schandl aus dem Jahr 2000 über »Wertrevolutionen oder: Die Krise bei Marx« nach, der damals bezeichnenderweise in der letzten Ausgabe von Weg und Ziel (was für ein Titel!), dem theoretischen Organ der KPÖ (gibt es die überhaupt noch außerhalb der Steiermark?) erschien. Merke: »Das Geschäft ist immer kerngesund und die Kampagne im gedeihlichen Fortgang, bis auf einmal der Zusammenbruch erfolgt«( MEW 25, S. 502). Aber wann denn?
Gute Frage. Für Schandl war schon zur Jahrtausendwende klar, dass wir »bereits in einer Desintegrationsphase« leben. Einerseits vegetiere die Mehrheit der Menschen unter katastrophalen Zuständen, während andererseits »das Kapital und seine Apologeten unablässig das Märchen der weltweiten Modernisierung hin zu Freedom and Democracy predigen«.
2018 formuliert Tomasz Konicz »Die Systemfrage als Überlebensfrage«. Das ist zwar nicht neu, aber dringlicher als früher, da bei näherer Betrachtung sich die imperialistischen Blöcke neu formieren, die USA »pauperisieren« und die systemische Überproduktionskrise »Deindustrialisierung, Verschuldung, Finanzblasen, Erosion der Mittelschicht« zeitigt. Das heißt, die Kriegsgefahr wächst jeden Tag, allerdings völlig »unabhängig vom gesellschaftlichen Stand des Massenbewusstseins«. Das ist das alte Problem seit mindestens 1968. Man könnte es auch so sagen: »Der Kapitalismus organisiert sich heute zunehmend von Versprechen auf Versprechen, die wiederum von neuen Versprechen abgelöst werden«, wie Franz Schandl in einer Buchrezension anmerkt. Da geht es um Michael Betancourts »Kritik des Digitalen Kapitalismus«. Verdammt, den gibt es ja auch noch! An anderer Stelle schreiben Schandl und Petra Ziegler: »Die Frage Was tun? ist so gut, wie die vorschnellen Antworten schlecht sind«.
Eine These am Rande von den beiden: »Das gute Leben kann nie und nimmer Abfallprodukt eines zerstörerischen Wirtschaftens sein. Der Raubbau an Mensch, Tier und Natur ist zu beenden.« Sie meinen: »Dabeisein ist gefährlicher als Dagegensein.« In den nächsten Streifzügen geht es übrigens um »Haben«. (jW)
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