Klassenbewusstsein statt Staatsvertrauen
Von Christian SelzBeim Kampf gegen Nazis, das sagt Esther Bejarano, Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz, gleich zu Beginn der Podiumsdiskussion, »kann man sich auf den Staat nicht verlassen«. Die Erfahrungen, die sie schildert, sind schockierend. Die aktive Antifaschistin erzählt von »ganzen Schulen, in denen die Meinungen der Nazis gelehrt werden«. Mit Bezug auf den Staat müsse man sich daher die Frage stellen: »Was tun die überhaupt gegen Nazis?« Ihr mache das Angst, sagt die Musikerin, sie sieht »Parallelen zur damaligen Zeit« und ruft zu einem breiten Bündnis auf. »Wenn jemand wirklich ein Antifaschist ist, ist es mir egal, in welcher Partei oder Gruppe jemand ist, man muss zusammenarbeiten können.«
»Anders geht es nicht«, schließt sich Moderator Arnold Schölzel, Chefredakteur der jungen Welt, Bejarano an. Doch seine Kurzeinleitung der Situation in der deutschen Politik gibt wenig Grund zur Hoffnung: Gerade in dieser Woche hat der Bundestag beschlossen, weitere 650 Soldaten in den Kampfeinsatz nach Mali zu schicken, gerade sind die ersten deutschen Tornado-Kampfflugzeuge in den Krieg in Syrien gestartet. Und während der Papst klar sage, dass »diese Wirtschaftsordnung tötet«, stelle sich die Bundesrepublik Deutschland als unschuldiges Opfer einer »Invasion von Flüchtlingen« dar.
Und genau in dieser Zeit, so beschreibt es Ellen Brombacher, Mitglied des Bundessprecherrats der Kommunistischen Plattform in der Partei Die Linke, gibt es in ihrer Partei Kräfte, »die wollen auf Teufel komm raus in die Regierung«. Dann jedoch, das sagt Brombacher deutlich, »dann muss man die Staatsräson der Bundesrepublik akzeptieren« – und das bedeute dann eben auch »die Akzeptanz der aus NATO und EU resultierenden Verpflichtungen«. Ihr Vertrauen gegen ein Abrutschen der Partei Die Linke in die Zustimmung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr setze sie jedoch auf die Parteibasis, von der zumindest der aus dem Osten des Landes stammende Teil einmal »mit der Staatsräson gelebt hat, dass von Deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen darf«. Brombacher warnt aber auch: »Es gibt keinen Blankoscheck dafür, dass die Partei, der ich angehöre, für alle Zeiten gegen Kriegseinsätze stimmt.«
Um eine optimistische Sicht bemühte sich dagegen der Theologe und Pastor im Ruhestand, Dieter Frielinghaus. 80 Prozent der Deutschen seien schließlich gegen Auslandseinsätze und viele Menschen äußerten in Leserbriefen in allen Regionalzeitungen auch ihre Angst vor einem Weltkrieg. Zudem, so sagt Frielinghaus, würden diese Menschen auch benennen, wer Schuld an der Eskalation hat: »nämlich unsere Wirtschaftsordnung«. Es ginge nun darum, diesen Unmut – wie bei der Demonstration gegen TTIP im Oktober in Berlin – auf die Straße zu bringen.
Noch zentralere Bedeutung misst Lena Kreymann, Mitglied des Bundesvorstandes der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) und junge-Welt-Autorin, der Arbeit in den Gewerkschaften bei. Schließlich sei das der Rahmen, in dem sich »Arbeiter zusammenschließen, um für ihre Rechte zu kämpfen – trotz Sozialpartnerschaftsideologie«. Wichtig sei es, Interessengegensätze deutlich zu machen und Klassenbewusstsein zu wecken, und schließlich von einer rein moralischen Kriegsablehnung wegzukommen. Stattdessen müssten die Kapitalinteressen, die hinter den Kriegen stehen, aufgezeigt werden.
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