Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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21.09.2021, 14:11:53 / Rosa-Luxemburg-Konferenz 2018

Fluchtursache Kapitalismus

Soziale Frage und Flüchtlingselend. Internationale Solidarität muss in diesen Zeiten auch im eigenen Land geübt werden und bedeutet, gemeinsam zu kämpfen
Von Günter Pohl
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Einander fremd. Von der Polizei eskortierte Migranten am 20. Oktober 2015 in der Gemeinde Wegscheid bei Passau

Die neokolonialen Kriege des Westens hinterließen seit 1990 Millionen Tote und machten Dutzende Millionen Menschen zu Flüchtlingen. Die Migranten aber kommen in Gesellschaften, in denen verschärfte Konkurrenz unter Lohnabhängigen und Entsolidarisierung zu den wichtigsten Waffen im Klassenkampf von oben geworden sind. Der Aufstieg rassistischer und neofaschistischer Organisationen, die demagogisch die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung aufgreifen, begleitet diese Entwicklung wie schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Auf der anderen Seite wird innerhalb der Linken um internationalistische und solidarische Positionen gerungen. Die längst wieder akute soziale Frage steht dabei oft nicht im Mittelpunkt von Debatten. Rückt der Kampf gegen die westlichen Kriege, die eine Hauptursache der Fluchtbewegungen sind, in den Hintergrund? Über diese und andere Fragen werden am kommenden Sonnabend die Teilnehmer des Podiumsgesprächs auf der XXIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt diskutieren. Wir stellen auf diesen Seiten in der heutigen und morgigen Ausgabe die Positionen der vier Diskutanten vor. (jW)

Internationale Solidarität muss sich heute infolge einer von Kriegen, Verelendung und Umweltbedingungen erzwungenen Migration nicht mehr nur am Erfolg einer Informierung und Mobilisierung hier lebender Menschen für Ereignisse anderswo messen lassen, sondern auch daran, was sie für Menschen tut, die herkommen mussten, um ihrer unerträglichen Situation zu entfliehen.

Die Unterbringung von Geflohenen und Vertriebenen hat Auswirkungen auf diejenigen Menschen, die schon früher hergekommen sind oder schon immer hier leben, egal welcher Nationalität oder welchen Ursprungs sie sind, mit denen dann fortan der ohnehin schon knappe Wohnraum, prekäre Arbeitsplätze, Bildungschancen oder eine miserable Gesundheitsversorgung zu teilen sind. Das ist durchaus gewollt, wird zumindest billigend in Kauf genommen und führt auch zur Vertiefung von Ressentiments. In kaum einer Stadt werden Flüchtlingsunterkünfte in die Viertel Wohlhabender gesetzt. Und wenn doch, so sind die einheimischen Nachbarn immer noch nicht jenem Druck auf dem Wohnungsmarkt oder dem Arbeitsmarkt ausgesetzt, den die Arbeiterklasse in diesem Land erstens grundsätzlich und zweitens in vielen Städten verschärft wahrnimmt. Hierher geflohene Menschen werden als Lohndrücker missbraucht. Angela Merkel hatte mit ihrem »Wir schaffen das« kaum die Mittelschichten und schon gar nicht die Besitzenden gemeint. »Wir schaffen das« bedeutete von Anfang an, dass die Arbeiterklasse den Gürtel enger zu schnallen habe.

Internationale Solidarität muss daher heute auch hierzulande geübt werden. »Unsere Willkommenskultur heißt, gemeinsam zu kämpfen«, formulierte die Deutsche Kommunistische Partei 2015 ihren Ansatz. Sie reagierte damit auf die Konkurrenzsituation zwischen denen, die kommen und denen, die schon hier waren. Ein koordinierter Kampf für die gemeinsamen Interessen der Menschen mit und ohne Arbeit, der Menschen mit und ohne deutschen Pass, wird am ehesten allen eine Verbesserung ihrer Situation bringen. Dazu gehören Investitionen in sozialen Wohnungsbau, in das Gesundheitswesen, in Schulen; dafür müssen Hunderttausende Stellen im Kranken- und Pflegebereich, im Baugewerbe und im Bildungswesen geschaffen werden. Der Mindestlohn muss erhöht, der Rüstungsetat zusammengestrichen werden.

Die Verantwortlichen benennen

Kriege, Verelendung, vom Menschen verschuldete Umweltkatastrophen – die Analyse der Fluchtursachen ist immer eine, die die Verantwortung des die Menschen und die Natur beherrschenden Wirtschaftssystems nicht ausklammern darf. Wer nicht verinnerlicht, dass der Kapitalismus den Krieg in sich trägt wie die Wolke den Regen, wie es der französische Sozialist Jean Jaurès formuliert hatte, der wird zwar noch einen Zusammenhang zwischen Krieg und Flucht herstellen können, aber bei der Bekämpfung der Fluchtursachen scheitern, wenn er den Kapitalismus nicht bekämpfen will. Wer zwar einerseits davon überzeugt ist, dass zum Beispiel die Fischerflotten von EU-Staaten vor afrikanischen Küsten für die Zerstörung der örtlichen Fischerei verantwortlich sind oder dass EU-Billigexporte in abhängige Staaten die dortige Ökonomie schleifen, aber andererseits die imperialistische Europäische Union weder als solche analysiert noch entsprechend bekämpft, der dringt auch in diesem Fall nicht zum Kern des Problems vor. Und wem klar ist, dass nicht wenige der Umweltereignisse auf den Klimawandel zurückzuführen sind, dann aber das Privateigentum an den Produktionsmitteln und die nationalen und internationalen Monopole nicht angreifen will, lässt diejenigen, die den Auswirkungen des Klimawandels nur wenig ökonomisches Potential entgegensetzen können, im Stich.

Der Kapitalismus und damit einhergehend der Imperialismus hat diese Prozesse schon immer befördert, aber im 21. Jahrhundert scheinen sich die negativen Auswirkungen zu potenzieren, noch verstärkt durch eine Zunahme der weltweiten Bevölkerung. Eine solidarische Linke muss also zuallererst den Kampf gegen den Kapitalismus führen – oder sie ist keine Linke. Und sie muss benennen, was denn auf den Kapitalismus folgen soll. Für Kommunistinnen und Kommunisten ist das der Sozialismus. Uneindeutige Begriffe wie »solidarische Gesellschaft«, »nachkapitalistische Ordnung« oder »Wirtschaftsdemokratie« zeugen von einer gewissen Furcht, sich zu bekennen, was bei manchen der linken Aktivisten damit zu tun haben mag, dass sie die Art und Weise kritisieren, wie der Sozialismus im 20. Jahrhundert aufzubauen versucht wurde. Aber es hat vor allem mit der Idee zu tun, man müsse nur irgendwelche »Auswüchse« oder »Fehlentwicklungen des spekulativen Finanzkapitalismus« beseitigen, und schon sei alles wieder so friedlich-freundlich wie im westdeutschen »rheinischen Kapitalismus« der Adenauer-Zeit, der ja inzwischen manchen als Modell dient, die von sich sagen, sie seien Linke. Allein gegen vermeintliche Erscheinungsformen des Kapitalismus zu kämpfen, heißt entweder in ihm einen grundsätzlich guten Kern zu sehen oder Illusionen zu verbreiten.

Nicht antikapitalistisch zu handeln schmälert natürlich nicht notwendigerweise das Potential für eine solidarische Praxis, aber klassenneutrales Agieren behindert zum einen die Bemühungen um Nächstenliebe und verlängert zum anderen der Klassengesellschaft das Leben. Das unterscheidet im übrigen den Begriff der »internationalen Solidarität« vom Internationalismus, dem als Basis die Klassensolidarität zugrunde liegt, weshalb – der Form nach unmodern, dem Inhalt nach zutiefst aktuell – früher vom »proletarischen Internationalismus« gesprochen wurde.

Internationalistische Hilfe

»Die internationale Solidarität ist kein Akt der Barmherzigkeit: Sie ist ein Akt der Einheit von Verbündeten, die in unterschiedlichen Gebieten für die Erfüllung desselben Ziels kämpfen. Das allererste dieser Ziele ist es, die Entwicklung der Menschheit auf das höchstmögliche Niveau zu befördern«, sagte der ehemalige Präsident Moçambiques, Samora Machel.

Moçambique und andere Staaten des südlichen Afrikas haben den Internationalismus Kubas erfahren, der mithalf, sie in die Unabhängigkeit zu führen. Die veränderte Weltlage führte beim selbst immer noch finanziell und wirtschaftlich blockierten Kuba zu veränderten Formen internationalistischer Hilfe wie der medizinischen Programme, aber sie blieb internationalistisch. Solcher Hilfe liegt das Motto zugrunde: »Solidarität bedeutet nicht zu geben, was man übrig hat – sie bedeutet zu teilen, was man hat.«

Diese staatlichen Möglichkeiten haben einzelne Linke nicht, oft auch nicht solche, die in Parteien zusammengeschlossen sind. Und wer würde tatsächlich alles teilen können, was er oder sie hat? Hiesige Solidaritätsarbeit kann meist nicht über Sammlungen von Geld oder Informationsveranstaltungen hinausgehen, was den Zustand und die Möglichkeiten der Linken in einem der höchstentwickelten imperialistischen Länder entsprechend beschreibt.

Aber über karitative und informierende Maßnahmen hinaus können und müssen Linke die Dinge wenigstens benennen, wie sie sind, und aus dieser Analyse heraus an den richtigen Stellen Widerstand entwickeln. Dazu gehört auch, die Gründe anzuführen, die Menschen in die Flucht treiben. Fluchtverursacher Nummer eins sind die Kriege der NATO-Staaten, und dazu gehören die Rüstungsgeschäfte, bei denen Deutschland immer ganz vorn dabei ist. Deshalb sollten auch antiimperialistische Positionen in die Friedensbewegung hineingebracht werden.

Und es geht darum zu wissen, welche Partner, und sei es auf Zeit, auf dem schwierigen Weg hilfreich sind. Das Beispiel Syrien hat gezeigt, wohin die Unterstützung des »Islamischen Staates« durch imperialistische Mächte geführt hat. Am Ende hat das einzige Land, das von der syrischen Regierung für ein Eingreifen autorisiert wurde, für eine Rückkehr von mehreren Hunderttausend Flüchtlingen gesorgt, nachdem Aleppo vom IS befreit war. Das militärische Eingreifen der Russischen Föderation war eine Verteidigung des Rechts auf Selbstbestimmung, territoriale Integrität und Nichteinmischung. Diese Prinzipien sind die wichtigste Bastion gegen kapitalistische Kriege um Rohstoffe, regionale Neuordnung und Umzingelung künftiger militärischer Gegner, wie es die Russische Föderation und die Volksrepublik China sind. Deshalb ist die Verteidigung der Vereinten Nationen und ihrer Grundsätze ein wirksames Mittel gegen Flucht und Vertreibung. Und damit ein Akt der internationalen Solidarität.

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