Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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20.09.2021, 12:44:36 / Rosa-Luxemburg-Konferenz 2018

Solidarität sichtbar machen

Vor dem Hintergrund des rechten Vormarsches werden Geflüchtete häufig nur als Problem gesehen. Linke Positionen müssen wieder deutlicher wahrnehmbar werden
Von Canan Bayram
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Seit Jahren fordert die Linke in Deutschland ein Bleiberecht für Flüchtlinge und den Stopp von Abschiebungen – Proteste vor der nigerianischen Botschaft in Berlin (15.10.2012)

Die neokolonialen Kriege des Westens hinterließen seit 1990 Millionen Tote und machten Dutzende Millionen Menschen zu Flüchtlingen. Die Migranten aber kommen in Gesellschaften, in denen verschärfte Konkurrenz unter Lohnabhängigen und Entsolidarisierung zu den wichtigsten Waffen im Klassenkampf von oben geworden sind. Der Aufstieg rassistischer und neofaschistischer Organisationen, die demagogisch die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung aufgreifen, begleitet diese Entwicklung wie schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Auf der anderen Seite wird innerhalb der Linken um internationalistische und solidarische Positionen gerungen. Die längst wieder akute soziale Frage steht dabei oft nicht im Mittelpunkt von Debatten. Rückt der Kampf gegen die westlichen Kriege, die eine Hauptursache der Fluchtbewegungen sind, in den Hintergrund? Über diese und andere Fragen werden am kommenden Sonnabend die Teilnehmer des Podiumsgesprächs auf der XXIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt diskutieren. Deren Positionen werden hier vorgestellt. In der gestrigen Ausgabe erschienen Beiträge von Günter Pohl und Lorenz Gösta Beutin, heute folgen die von Canan Bayram und Selma Schacht. (jW)

Es sind nicht Staaten wie Deutschland oder andere europäische Länder, die solidarisch mit Geflüchteten sind, vielmehr sind es die Zivilgesellschaften insbesondere in vielen Ländern in Afrika, Asien und dem Nahen Osten. Staaten wie Pakistan, Jordanien oder auch der Libanon haben die Geflüchteten aus den Nachbarländern aufgenommen. Die Zahl der Binnenvertriebenen ist besonders auf dem afrikanischen Kontinent enorm hoch. Berichte von der Flucht von Nigerianerinnen und Nigerianern vor Boko Haram oder der von Kongolesinnen und Kongolesen vor den mordenden Rebellentruppen haben uns auch hierzulande erreicht. Weniger bekannt sind die Fluchtgeschichten von Menschen, die bereits durch viele afrikanische oder asiatische Länder migrieren mussten, um nach Europa zu gelangen.

Beobachtet man die Debatten der jüngsten Vergangenheit, so kommt das Gefühl auf, dass wir uns mehr und mehr von einem hilfsbereiten, empathischen und solidarischen Miteinander verabschieden. In der Bundesrepublik hat sich der mediale und politische Sprachgebrauch in den letzten Jahren verschärft. Man spricht von »Flüchtlingswelle« und »Flüchtlingskrise«, wodurch den Menschen die Individualität abgesprochen und damit auch ihr Leid relativiert werden soll. Es soll der Eindruck erweckt werden, dass von den Geflüchteten, das heißt von den sogenannten Fremden, eine Gefahr ausgehen würde, die gesetzlich abgewehrt werden müsste. Dieses Muster ist nicht neu. Schon im Ausländergesetz wurde als »Sonderpolizeirecht« das Recht von Menschen auf Bewegungsfreiheit und Familiennachzug eingeschränkt. In den 1960er Jahren konnte eine Person abgeschoben werden, wenn ihr Beischlaf mit einer Deutschen vorgeworfen wurde. Solche Gesetze und Debatten erzeugen eine Kategorie von Menschen zweiter Klasse, deren Rechte missachtet werden und für die die grundgesetzlich verbriefte Unantastbarkeit der Menschenwürde nicht gelten soll.

Nationalistische und rechtsextreme Parteien erhalten in ganz Europa Zulauf. Ressentiments gegenüber Minderheiten nehmen zu. Auch auf europäischer Ebene reagiert man auf Geflüchtete immer häufiger abwehrend. Während manche EU-Mitglieder beispielsweise keine muslimischen Flüchtlinge aufnehmen wollen, verschärft die EU ihre Grenzkontrollen und geht mit der Türkei und anderen Ländern unmoralische und europarechtswidrige Flüchtlingsabkommen ein.

Entsolidarisierung und Spaltung

Zunehmend werden die Themen Terror und Kriminalität mit Geflüchteten in Verbindung gesetzt. Der Staat reagiert darauf mit einer fortgesetzter Einschränkung der Bürgerrechte. Der Ausbau der Vorratsdatenspeicherung und der Videoüberwachung treffen uns alle. Jeder muss sich und sein Gegenüber als potentielle Gefahr wahrnehmen, die der Staat kontrollieren können muss. Das führt zur Verletzung unserer Freiheitsrechte und Argwohn untereinander. Sobald man aber seinen Mitmenschen misstraut, befördert das eine Entsolidarisierung und Spaltung in »Wir« und »die anderen«. Hier setzen dann auch schnell die ­Neiddebatten ein. Die oftmals erfundenen Geschichten über Geflüchtete, die in Deutschland angeblich alles bekämen, was sie wollten, sind ein klares Zeichen dieser Spaltung innerhalb der Gesellschaft.

Neid kommt meist dann auf, wenn es Menschen gibt, die sich abgehängt oder zumindest benachteiligt fühlen. Weil sie zum Beispiel aus ihrer Wohnung ausziehen müssen, da sie sich die Miete nicht mehr leisten können. Ebenso können sie oftmals gar nicht oder nur eingeschränkt am sozialen und kulturellen Leben teilnehmen. Die Betroffenen befinden sich in einer Lage, aus der sie nur schwer wieder herauskommen – wenn überhaupt. Die Menschen erleben täglich, dass die soziale Gerechtigkeit abnimmt. Dieser Umstand darf jedoch nicht missbraucht werden, um Geflüchtete ­gegen sozial benachteiligte Menschen auszuspielen. Beide Gruppen benötigen Unterstützung, und es muss auch alles dafür getan werden, dass den Betroffenen von der Politik geholfen wird.

Es bleibt Fakt, dass die Debatten und Maßnahmen vielfach einseitig sind und lediglich auf Abschottung und Verhinderung von Migration abzielen. Dabei wird der Lösungsansatz »Bekämpfung von Fluchtursachen« meist nur als Floskel benutzt oder dient dazu, die Verantwortung von sich zu weisen. So richtig es ist, Fluchtursachen zu bekämpfen, so fragwürdig sind die angewandten Mittel. Deutschland und Europa dürfen nicht versuchen, unabhängig von der Situation der Geflüchteten nur auf die Abschottung durch Abkommen mit Staaten wie der Türkei und Libyen zu setzen. Die finanzielle Unterstützung von Ländern beispielsweise in Afrika und die Verbesserung von Lebensbedingungen vor Ort können nur gelingen, wenn das nicht ausschließlich gewinnorientiert und aus egoistischen Motiven heraus geschieht, sondern vielmehr solidarisch umgesetzt wird. Denn die Abkommen mit den einzelnen Ländern und die Gelder werden nichts Gutes bewirken, solange Europa gleichzeitig die Lebensgrundlage für viele Menschen in den betroffenen Regionen zerstört. Durch Waffenlieferungen schafft Deutschland selbst Fluchtursachen. Auch die unfairen Handelsbeziehungen zwischen der EU und afrikanischen Ländern fördern die Armut und entziehen vielen Menschen die Lebensgrundlage. Dabei muss berücksichtigt werden, dass zum Beispiel in Afrika Länder existieren, in denen es reiche Eliten gibt und der überwiegende Teil der Bevölkerung in Armut leben muss. Weltweit führen die Auswirkungen des Klimawandels dazu, dass Menschen in ihrer Heimat die Lebensgrundlagen verlieren. Auch die Einhaltung der Klimaziele ist ein wichtiger Beitrag, um Fluchtursachen zu bekämpfen.

Waffenexporte stoppen

Ehrlich gemeinte Lösungsansätze müssen unter anderem eine faire Handelspolitik und den sofortigen Stopp von Waffenexporten beinhalten. Europa muss gemeinsam agieren und der zunehmenden Konzentration auf nationalstaatliche Perspektiven und Interessen entgegenwirken. Viele Menschen in Deutschland handeln aber auch solidarisch, das konnte man in den letzten Jahren beobachten. Die nach wie vor große Bereitschaft der freiwilligen und unbezahlten Helferinnen und Helfer ist beeindruckend. Sie sind es, die den Geflüchteten tatkräftig zur Seite stehen – von ehrenamtlichen Sprachkursen und der Hilfe bei Amtsgängen bis hin zur Unterbringung in privaten Wohngemeinschaften und Wohnungen. Sie unterstützen die betroffenen Personen und leben somit tagtäglich ein solidarisches Miteinander. Sie sind die andere Seite der Medaille – auch wenn Rassismus und Populismus allgegenwärtig erscheinen. Die Solidarität der Menschen ist nicht verschwunden. In Zeiten von sozialen Herausforderungen muss sie aber besser sichtbar gemacht werden, sonst droht eine Fokussierung auf die vermeintlichen »Probleme«.

Die Themensetzung und die Deutungshoheit dürfen dabei nicht den rechten Parteien überlassen werden. Linke Positionen müssen als Gegengewicht zu Rechtspopulismus und Rechtsruck wieder lauter und deutlicher werden. Solidarität und Internationalismus müssen stärker als Korrektiv innerhalb der derzeitigen Debatten fungieren. Denn die universellen Menschenrechte gelten für jede und jeden. ­Migration gab und gibt es solange, wie es Menschen gibt. Wir müssen einen gerechten Umgang damit finden. Ziel muss es sein, allen ein gutes Leben zu ermöglichen. In Deutschland können wir das durch gesellschaftliche Partizipation und Teilhabe unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung, Alter und sozialer Situation gewährleisten. Es stellt sich die Frage, wie Erfolge im Kampf gegen Diskriminierung und Ungleichheit in Europa und der übrigen Welt erreicht werden können. Die Kritik an der Globalisierung der Märkte hat den Kampf für die internationale Solidarität in den Hintergrund gerückt. Immer häufiger werden die Fragen der internationalen Gerechtigkeit verkürzt diskutiert. Aber gerade das Thema Flucht führt uns vor Augen, dass es vom Zufall abhängt, ob man in einem sicheren oder unsicheren Gebiet geboren wird und lebt. Diese Ungleichheit kann nur durch internationale Solidarität und weltweit gerechtere Verteilung der Ressourcen überwunden werden. Dabei ist die Vernetzung von zivilgesellschaftlichen Akteuren ein wichtiger Ansatz, um über Austausch und Unterstützung an Stärke zu gewinnen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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