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20.09.2021, 12:36:40 / Rosa-Luxemburg-Konferenz 2018

Es geht um Interventionen

Spannungen sichtbar machen: Linke Kultur auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz
Von Christof Meueler
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Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht traten auch auf – dargestellt von Susanne Jansen und Arne van Dorsten

Rosa Luxemburg war auch auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz – dargestellt von Susanne Jansen. Die Schauspielerin rief von der Bühne: »Solange das Kapital herrscht, werden Krieg und Rüstung nicht aufhören!« Das war der mustergültige Sound der gesamten Konferenz, in deren Programm immer mal wieder Kulturbeiträge eingestreut waren. Regisseurin Anja Panse stellte ihr Theaterstück »Rosa – Trotz alledem« vor. Daraus gab es eine kurze Szene, in der Susanne Jansen als Luxemburg und Arne van Dorsten als Karl Liebknecht über die Bühne tanzten und den Spartakusbund gründeten. So eine Organisation könnte man heute auch gut gebrauchen – denkt man in dem Moment und vergisst fast, dass es schon so viele linke Gruppen gibt, die sich auf der Konferenz, der größten regelmäßigen Veranstaltung der radikalen Linken in Deutschland, nicht gegenseitig bekämpfen, sondern friedlich ihre Flugblätter austauschen.

»Mein Herz wird siegen«, zitierte der Schauspieler Rolf Becker den Dichter Pablo Neruda, als er zusammen mit den Liedermachern Tobias Thiele und Nicolás Miquea des im Oktober verstorbenen Daniel Viglietti gedachte. Für Becker zählt Viglietti neben Victor Jara und Violeta Parra zu den wichtigsten Liedermachern Lateinamerikas. Er war mit ihm seit den 70er Jahren befreundet, gemeinsam sind sie noch im Februar 2017 in Berlin aufgetreten, auf der Gala zum 70. Geburtstag der jungen Welt. Dort hatten Thiele und Miquea mit Viglietti zum Schluss »A Desalambrar« von Victor Jara gesungen. Nun sang Miquea das Lied noch einmal. Es fragt die Mächtigen: »Habt ihr je daran gedacht, dass dieses Land uns gehört und nicht denjenigen, die mehr haben?«

Viglietti sang seine Lieder, auch im Namen derer, die in Lateinamerika von den Militärs verfolgt, gefoltert und ermordet wurden. »Eine Stimme, die singt, hinter meiner«, hob Tobias Thiele auf der Bühne in Berlin an, und Becker ergänzte: »Diese Stimme kommt aus begrabenen Mündern, eine Stimme, die sagt, dass sie jetzt leben, in deinen Worten, in deinem Blick. Sie sind ein Weg, der beginnt.« Und dann hörte man dieses Lied von Daniel Viglietti selbst, eine Filmaufnahme von seinem Auftritt im Februar 2017 in Berlin wurde eingeblendet. Das war anrührend, sozialistisch und psychedelisch. Das Publikum im Saal des Konferenz klatschte, das Publikum im Film klatscht und Daniel Viglietti klatscht mit.

Anrührend war auch ein Ölbild von Marie Luise Schulze, das draußen auf dem Gang hing. Es war Teil der Kunstausstellung der Gruppe Tendenzen, die seit 2014 fester Bestandteil der Rosa-Luxemburg-Konferenz ist. Das Bild von Schulze zeigt einfach einen weißen und einen schwarzen Menschen, die sich vor blauem Hintergrund im Arm halten. Diese ebenso einfache wie tiefgehende Botschaft war eine schöne Versinnbildlichung der Konferenz, die sich besonders mit den politischen Kämpfen in Afrika befasste. Es gemahnte auch an den alten Ohrwurm von Jerry Dammers: »If you have a rascist friend, now is the time for your friendship to end«. Klingt simpel, aber in einem Land mit der AfD mittlerweile drittstärkster Partei ist das eine gute Aufforderung, seine ganz alltäglichen Gespräche auf der Straße, in der Kneipe oder sonstwo neu zu strukturieren. Es geht um konkrete, unter Umständen auch paradoxe Intervention.

Im Prinzip ist die gesamte Rosa-Luxemburg-Konferenz eine einzige Intervention ins herrschende Meinungssystem. Und da ging es natürlich um »Interventionen ins herrschende Produktionssystem«. Unter diesem Titel hat Ibrahim Mahama, zur Zeit einer der weltweit am meisten gefragten Künstler, in der aktuellen Melodie & Rhythmus einen Text veröffentlicht. Auf der Konferenz wurde er nun von der Chefredakteurin des Magazins Susann Witt-Stahl gefragt, wie er dieses Motto in seiner Kunst umsetzt. Mahama sagte, er möchte spezifisches historisches Material untersuchen und neu interpretieren. Er wurde 1987 in Ghana geboren, das 1957 von den Briten unabhängig geworden war. Dort treffen britische Kolonialbauten auf Funktionsbauten osteuropäischer Prägung, da das Land gute Beziehungen zu den Staaten des Realsozialismus hatte. Besonders beeindrucken große Betonsilos für landwirtschaftliche Produkte, die heute leer sind. Ebenso die Fabrikhallen, in denen ghanaische Arbeiter früher Eisenbahnzüge bauten, mit denen die Briten das Land besser ausbeuten konnten. In diesen leeren Hallen ließ Mahama nun Jutesäcke, in denen die Produkte des Landes transportiert werden, zusammennähen – zu riesigen Planen, mit denen er ähnlich wie Christo diese Gebäude verhüllt. Anders als bei dessen weitgehend kontextfreier L’Art pour l’Art-Ästhetik geht es bei Mahama um konkrete gesellschaftliche Zustände. Auf einem seiner Fotos ist nur der Unterarm eines Arbeiters zu sehen, auf dem dieser den Namen und die Adresse der Firma geschrieben hat, für die er arbeitet, weil die Wanderarbeiter in Ghana ohne Unterlagen reisen, wie Mahama erzählte. Er sagte, er wolle »die Spannungen« zwischen dem internationalen Kapital und den Menschen vor Ort sichtbar machen. Das gilt auch für die Beziehungen zwischen dem kaputt »sanierten« Griechenland und der von Deutschland dominierten EU, weshalb er für die 14. Documenta im vergangenen Jahr in Athen über den Syntagma-Platz vor dem griechischen Parlament eine riesige Decke aus Jutesäcken zog. Er wolle daran erinnern, »in welchem Maße neokoloniale Kräfte die Weltpolitik bestimmen«, hatte er in der Melodie und Rhythmus geschrieben.

An die Barbarei bundesdeutscher Behörden erinnerte ein bewegender Auftritt von Mamadou Saliou Diallo, der Bruder des 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannten Oury Jalloh. Für ihn gab es eine Schweigeminute im Saal, zwei Videos über seinen Tod wurden gezeigt. Am Ende des einen hieß es: »Touch one, touch all«.

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