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20.09.2021, 12:37:15 / Rosa-Luxemburg-Konferenz 2018

»Gemeinsame Kämpfe initiieren«

Oben – unten, Nord – Süd. Wer wen? Soziale Frage und Flüchtlingselend. Verabschiedet sich die Linke von der internationalen Solidarität? Auszüge aus der Podiumsdiskussion auf der XXIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz
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Solidarität mit Geflüchteten ja – aber welche? Selma Schacht und Günther Pohl plädierten neben Humanismus für Klassensolidarität. Ohne in gemeinsamen Kämpfen die Systemfrage zu stellen, ließen sich die Probleme der verschärften Konkurrenz nicht lösen

Am Sonnabend diskutierte der Chefredakteur der jungen Welt, Stefan Huth, mit Selma Schacht, Mitglied der österreichischen Partei der Arbeit und Arbeiterkammerrätin in Wien, Günter Pohl, Sekretär für Internationales im Parteivorstand der DKP, sowie den Bundestagsabgeordneten Lorenz Gösta Beutin (Die Linke) und Canan Bayram (Grüne) über die Frage, ob sich die Linke von der internationalen Solidarität verabschiedet. Wir dokumentieren das Podiumsgespräch an dieser Stelle in Auszügen. (jW)

Stefan Huth: Die Asyl- und Flüchtlingspolitik war nicht nur im zurückliegenden Wahlkampf ein dominierendes Thema, sondern hat uns seit dem Herbst 2015 kontinuierlich begleitet. Damit einher ging ein signifikanter Rechtsruck, der bei den Bundestagswahlen im erschreckend hohen Ergebnis für die AfD seinen Ausdruck fand. Das ist eine echte Herausforderung für die fortschrittlichen Kräfte in diesem Land. Auch vor dem Hintergrund, dass in einem fort neue Fluchtursachen in Gestalt der Kriegs- und Einmischungspolitik des Westens in Afrika und anderswo geschaffen werden. Die Bundesregierung setzt ihre Repressionspolitik nach Außen fort, das Asylrecht wurde in den letzten Jahren systematisch geschleift. Die Linke ist zersplittert und nicht auf breiter Basis mobilisierungs- und widerstandsfähig, sie hat keine wirkliche Strategie, kein Konzept, wie dem Rechtstrend bündnispolitisch begegnet werden kann.

Die Wahlen in Österreich zeigten ebenfalls einen drastischen Rechtsruck an. Die Österreichische Volkspartei ist mit der FPÖ eine Koalition eingegangen, Vizekanzler Hans-Christian Strache von der FPÖ erwog unlängst öffentlich die Kasernierung von Flüchtlingen, verbunden mit einer nächtlichen Ausgangssperre. Und vor zwei Tagen sagte sein Parteikollege, Innenmister Herbert Kickl, er wolle die Flüchtlinge »konzentriert« unterbringen. Wie haben die Wahlen und die Koalitionsbildung auf die Linke in Österreich gewirkt, welche Gegenstrategien werden entwickelt?

Selma Schacht: Heute haben in Wien 70.000 Menschen gegen Schwarz-Blau, gegen Rassismus und Sozialabbau demonstriert. Für österreichische Verhältnisse ist das eine riesige Zahl. Unterschiedliche Bündnisse haben sich zusammengefunden, um diese Demonstration zu organisieren. Aber das darf trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Linke auch in Österreich sehr heterogen präsentiert, oder anders gesagt, stark zersplittert ist. Es gibt auch bei uns viele Diskussionen darüber, welche Ausrichtung der Protest gegen Schwarz-Blau haben muss und welche Antwort wir auf die Flüchtlingsfrage geben sollen.

ÖVP und FPÖ haben eine parlamentarische Mehrheit. Nimmt man aber die Mandate der Neos, also der Neoliberalen, hinzu, so haben diese drei Parteien eine Zweidrittelmehrheit. Und das hat für die Arbeiterbewegung eine noch größere Bedeutung, weil somit viele Institutionen und viele Regelungen unter Beschuss geraten könnten, zum Beispiel die Arbeiterkammer, die sofort nach der Koalitionseinigung angegriffen wurde. Wir müssen in unseren Kampf gegen Schwarz-Blau fortwährend die soziale Frage einbringen. Es geht selbstverständlich gegen den Rassismus der Regierung, aber es geht ebensosehr gegen den Sozialabbau. Dagegen muss ein gewerkschaftlicher Kampf geführt werden. In dieser Frage scheiden sich die Geister, weil viele Initiativen bloß auf den Kampf gegen den Rassismus bei FPÖ und ÖVP setzen. Als Marxisten ist es unsere Aufgabe zu erklären, dass Rassismus nur bekämpft werden kann, wenn wir es schaffen, unsere gemeinsamen Interessen zu formulieren. Jene, die rassistische Ressentiments hegen, die medial bedient werden, müssen ihre wahren Interessen erkennen; sie müssen erkennen, dass ihre Interessen die gleichen sind wie die der Flüchtlinge und der migrantischen Kollegen. Schwarz-Blau verschärft die Bestimmungen in der Asylpolitik bis hin zur Unmenschlichkeit. Den Flüchtlingen soll sämtliches Geld abgenommen werden, sie sollen kaserniert werden, ihre Gesundheitsdaten sollen keinem besonderen Schutz unterliegen und so weiter. Der Kampf der neuen Regierung gilt nicht den Fluchtursachen, sondern den Flüchtlingen. Im Regierungsprogramm steht, dass Kolleginnen und Kollegen, die keinen österreichischen Pass haben, aber teilweise seit Jahrzehnten im Land leben, im Falle von Langzeitarbeitslosigkeit »der Rückführung zugeführt« werden sollen. Das kann einerseits für manche lebensbedrohlich sein, reißt die betroffenen Menschen jedenfalls aus ihrem normalen Leben. Und auf der anderen Seite kann das sozial- und gewerkschaftspolitisch dazu führen, dass ein Dumpingsektor errichtet wird, bei dem das Kapital auf eine Gruppe von Menschen zugreifen könnte, die sich noch billiger verkaufen müssen. Über diese Aspekte müssen wir in den Gewerkschaften und in den Bündnissen diskutieren.

Huth: In der Linkspartei gibt es Diskussionen zur Flüchtlingsfrage. Das geht kreuz und quer, ein klar konturiertes Bild lässt sich nur schwer verschaffen. Sahra Wagenknecht hat am Wahlabend, am 24. September, auf die Frage, wie sie den Aufstieg der AfD bewerte, gesagt, man habe es der AfD überlassen, bestimmte Dinge so auszusprechen und anzusprechen, wie sie von den Menschen wahrgenommen werden, etwa, welche Probleme sich für die arbeitende Bevölkerung angesichts der ankommenden Flüchtlinge ergeben. Sie deutete damit an, dass Die Linke der AfD Terrain überlassen habe. Auf der anderen Seite wird in der Partei über ein Einwanderungspapier diskutiert, hinter das sich die Parteivorsitzende Katja Kipping gestellt hat und in das gleichsam Nützlichkeitserwägungen implementiert worden sind. Beides, Wagenknechts Positionen und dieses Papier stehen nicht auf dem Boden des Programms, sagen zumindest Kritiker.

Gösta Beutin: Auch die Linke ist in starkem Maße vom gesellschaftlichen Rechtsruck betroffen, zu dem auch die regierenden Parteien mit ihren Asylrechtsverschärfungen beigetragen haben. Und jemand wie Boris Palmer von den Grünen trägt seinen Teil dazu bei, wenn er Flüchtlinge im Bus fotografiert, die angeblich schwarzfahren. Oder ein Sigmar Gabriel, der die These vertritt, die SPD müsse sich wieder verstärkt Themen wie Heimat oder Leitkultur zuwenden, während zum Beispiel Gleichstellung und Klimagerechtigkeit Themen der Postmoderne seien.

Die Linke ringt um Antworten und beschreitet so manchen Irrweg. Beispielsweise zu glauben, man erreiche Wählerinnen und Wähler, indem man mit rechten oder populistischen Parolen spielt. Die Auseinandersetzung lässt sich nur gewinnen, wenn man die Ursachen des Erfolgs der Rechtsradikalen, die jetzt auch im Bundestag sitzen, ernst nimmt. Und die heißen soziale Spaltung, Glaubwürdigkeitsverlust von Politikerinnen und Politikern, Krise der parlamentarischen Demokratie. Die Linke ist gut beraten, klare, solidarische und letztlich systemüberwindene Positionen zu vertreten. Wir müssen in der Bundesrepublik grundsätzlich etwas ändern. Die Linke trägt große Verantwortung, sie hat aber auch die Chance, zum Zentrum eines solidarischen Lagers zu werden, in dem gewerkschaftliche, klimapolitische, antirassistische und antikapitalistische Positionen zusammengeführt werden. Den Rechten dagegen ihre Parolen wegzunehmen, hat in der Geschichte noch nie funktioniert, davon sollten wir die Finger lassen.

Ich komme zur Einwanderungspolitik. Es gibt innerhalb von SPD, CDU und FDP die Forderung nach einem Einwanderungsgesetz, mit dem Argument: »Zuwanderung ist notwendig, etwa um günstige Pflegekräfte zu rekrutieren. Das erfolgt also nach Nützlichkeitserwägungen. Das klingt ein bisschen nach einer einstigen Formulierung von Roland Koch: »Wir brauchen weniger Ausländer, die uns ausnützen, die wollen wir nämlich abschieben, und wir brauchen mehr Ausländer die uns nützen, für die wollen wir ein Einwanderungsgesetz.« Diese Trennung dürfen wir als Linke nicht mitmachen. Wir sind grundsätzlich solidarisch, und wir spalten weder die migrantische Bewegung, noch die Arbeiterbewegung, noch irgendeine andere fortschrittliche Bewegung. Es gibt diesen Entwurf eines Einwanderungsgesetzes. Aber in dem Papier finden sich keine Nützlichkeitserwägungen, und das ist auch gut so. Die müssen wir als Linke klar zurückweisen. Wir haben eine Verantwortung für solidarische Position innerhalb dieses kapitalistischen Staates Bundesrepublik Deutschland, der Fluchtursachen schafft. Dieser Staat exportiert Waffen und führt Kriege. Dieser Staat unterstützt Saudi-Arabien bei dessen verheerenden Krieg in Jemen. Es reicht nicht zu sagen, wir müssen Verantwortung übernehmen, treten in eine Regierung ein und schauen mal, wie sich die Einwanderung regeln lässt. Wir müssen dagegen ohne Wenn und Aber an der Seite der Beherrschten in diesem Land stehen.

Huth: Wie wird die Flüchtlingsfrage in der Kommunistischen Partei diskutiert? Mir scheint, da gibt es ebenfalls verschiedene Antworten. Mitunter war zu hören, die Öffnung der Grenze 2015 sei nicht richtig gewesen, wegen der Lage der Arbeiter im eigenen Land.

Günter Pohl: Merkels »Wir schaffen das« hat sich an diejenigen gerichtet, die es schaffen können. Das sind die Reichen und vielleicht auch noch der Mittelstand. Aber die Arbeiterklasse? Die befindet sich permanent in einer Situation der Konkurrenz – um Arbeitsplätze und Wohnungen angesichts steigender Mieten. Diese Konkurrenz wird verschärft, wenn weitere Menschen hierher kommen. Vor dieser Lage standen wir 2015. Wir haben damals gesagt: »Unsere Willkommenskultur heißt, gemeinsam zu kämpfen«. Die Menschen, die hierher kommen, sind Teil der Arbeiterklasse. Völlig irrelevant, ob Menschen, die schon immer hier gelebt haben, oder solche, die vielleicht vor einigen Jahrzehnten zu uns gekommen sind, oder diejenigen, die gerade jetzt zu uns kommen – sie alle sind gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen.

Wie sind wir in eine solche Situation geraten? Es sind vor allem die Kriege. Krieg wird es immer wieder geben, wenn wir dieses System nicht überwinden. Kapitalismus und Krieg sind nicht voneinander zu trennen. Das ist sozusagen das Geschäftsmodell des Kapitalismus. Als Kommunistinnen und Kommunisten dürfen wir, auch wenn wir eine kleine Partei sind, diesen Kampf nicht aufgeben. Es ist unsere verdammte Pflicht, dieses System zu überwinden. Das müssen wir alle tun, das ist auch ein Appell an andere Parteien. Aber was kommt danach? Wir sagen: »Wir wollen Sozialismus.« Unabhängig davon, ob der Sozialismus des 20. Jahrhunderts gescheitert ist. Er hatte Fehler, denn andernfalls wäre er nicht überwunden worden.

In der Flüchtlingsfrage haben wir eine ziemlich eindeutige Haltung, innerparteiliche Debatten gab es da nicht: Wir sind solidarisch mit den Fliehenden, die zu uns kommen, wir wollen aber auch nicht, dass diese Konkurrenzsituation auf dem Rücken der Arbeiterklasse ausgetragen wird. Die Milliardenüberschüsse im Haushalt zeigen, es ist genügend Geld vorhanden. Wir brauchen Investitionen in Wohnungsbau. Wir brauchen Investitionen im Gesundheitsbereich und im Bildungsbereich. Grundsätzlich steht jedoch die Frage, wie gelingt es uns, dieses System abzuschaffen?

Huth: Die Verhandlungsspitze der Grünen schien bei den Sondierungsgesprächen mehr oder weniger zu jeder Schandtat bereit. Da war die Rede vom »atmenden Rahmen« anstelle von »Obergrenze«, gemeint war aber etwas Ähnliches. Die Grünen haben zudem viele Kriege und Bundeswehr-Einsätze befürwortet und aktiv unterstützt. Wie kann man weiterhin in dieser Partei tätig sein? Und wie kann eine solche Partei ein Bündnispartner sein?

Canan Bayram: Ich bin seit 2009 Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen. In der Zeit der »Rot-roten« Regierung in Berlin bin ich als Mitglied des Abgeordnetenhauses aus der SPD ausgetreten. Ich kann mich noch gut dran erinnern, dass der damalige Fraktionsvorsitzende der SPD, der heutige Regierende Bürgermeister Michael Müller zu mir sagte: »Dass du bei uns nicht glücklich bist, das weiß ich. Aber kannst du nicht zumindest zur Linken gehen, damit die Koalition nicht gefährdet ist?« Und ich habe gesagt: »Nein, was die Linke hier unter Rot-Rot verantwortet hat, will ich nicht verantworten.« Als einzige Grüne mit Direktmandat im Bundestag verstehe ich mich als Abgeordnete im besten Sinne. Ich habe einen eigenen Kopf, ich habe ein eigenes Herz und wäge immer wieder meine Entscheidungen ab, die ich vor den Wählern verantworten muss. Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich einer »Jamaika-Koalition« nicht zustimmen werde und mit meiner Stimme nicht Frau Merkel zu einer weiteren Amtszeit verhelfen werde. Merkel hat einen großen Anteil an der Polarisierung unserer Gesellschaft.

Warum ist unsere Gesellschaft so gespalten, warum funktioniert es, dass Menschen gegen andere Menschen aufgebracht werden? Wenn, wie wir von Österreich gehört haben, das Bleiberecht an das Einkommen gekoppelt wird, wenn Menschen mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus gezwungen werden, jedes Arbeitsverhältnis anzunehmen, kann ich nur sagen: Ein solches Einwanderungsgesetz wird es auch mit uns Grünen nicht geben.

In Deutschland heißt es, das Asylrecht werde nicht angetastet. Aber hierzulande wird nur einer sehr kleinen Zahl von Menschen das Bleiberecht gewährt. Der Großteil lebt in ständiger Unsicherheit und von den Familien getrennt. Das ist skandalös und zeigt, wie weit die Entsolidarisierung der Gesellschaft schon fortgeschritten ist. Immer weniger Menschen gehen dagegen auf die Straße.

Zu den Fragen von Krieg und Frieden kann ich sagen, dass ich in der Tradition von Hans-Christian Ströbele stehe. Es wird bei den Grünen mit mir eine Stimme geben, die für den Frieden kämpft. Das ist ein wesentlicher Teil meiner politischen Arbeit, an der möchte ich gemessen werden.

Zu Boris Palmer: Immer wieder werde ich gebeten, es noch einmal zu sagen: »Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten, Palmer.« Ich setze mich mit den Leuten meiner Partei auseinander, wenn sie Grenzen überschreiten. Aber ich finde auch, man sollte einen Bürgermeister aus der Provinz nicht wichtiger machen, als er ist. Schlimm genug, dass die Medien ihn so wichtig nehmen und dass er in jede Kamera seine menschenverachtenden Thesen hinein sprechen darf. Die meisten Grünen sind aber auch nicht der Ansicht von Boris Palmer.

Huth: Ich möchte noch mal den Blick auf Österreich lenken. Dort gibt es keine Linkspartei wie in Deutschland, sondern viele kleine Gruppen. Selma, du selbst bist in einer kleinen, aber sehr umtriebigen kommunistischen Partei aktiv, der Partei der Arbeit. Wie reagiert ihr auf die Zersplitterung der Linken, wie geht ihr damit in der täglichen Praxis um?

Schacht: Neben der Partei der Arbeit bin ich vor allem in der Gewerkschaftsinitiative Komintern aktiv, der kommunistischen Gewerkschaftsinitative – international, und für diese übe ich auch ein ehrenamtliches Mandat in der Arbeiterkammer aus. Wir tragen dieses »International« nicht nur im Namen, damit sich ein nettes Kürzel ergibt. Die Arbeiterklasse ist, wie Günter gesagt hat, multiethnisch. Und das wollen wir auch leben, indem wir einerseits in unserer Organisation unterschiedlichste Kolleginnen und Kollegen mit unterschiedlichsten Hintergründen, Herkünften etc. zusammenbringen und indem wir andererseits dieses Bild auch in die Gewerkschaften, in die Arbeiterkammern und in andere Bündnisse hineintragen. Denn dort herrscht oft das Motto: »Wir helfen denen, weil sie Hilfe brauchen«. Das ist zwar empathisch, macht aber die Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund und die Geflüchteten lediglich zu »Empfängern« von Solidarität. Wir aber sagen: »Das sind eigenständige politische Subjekte. Wir kämpfen mit ihnen auf Augenhöhe.« Der gemeinsame Kampf ist in Österreich eher fremd, weil die Gewerkschaften sozialpartnerschaftlich ausgerichtet sind. Das aber müssen wir durchbrechen, denn sonst wird es sehr schwierig, gemeinsame Kämpfe zu initiieren.

Huth: In der Linkspartei wird debattiert, ob es eine Linke Sammlungsbewegung braucht, ähnlich wie in Frankreich mit Jean-Luc Mélenchon oder in Großbritannien mit Jeremy Corbyn. Oskar Lafontaine hat das Ende des Jahres in einem Interview angestoßen, Sahra Wagenknecht in einem Spiegel-Interview aufgegriffen: Entstehen soll so etwas, was auch Teile der SPD und der Grünen integriert, die Partei Die Linke aber in ihrer Verfasstheit in Frage stellte. Kann eine solche Bewegung die Linke voranbringen?

Beutin: Einer solchen Idee liegen zwei falsche Analysen zugrunde. Das ist einmal der Vergleich mit der Situation in Frankreich oder in Großbritannien. In Frankreich haben wir eine von Mélenchon angeführte Partei, La France insoumise (»Unbeugsames Frankreich«; d. Red.), das ist aber keine Bewegung. Mélenchon setzt sehr auf die nationalistische Karte. Bei Veranstaltungen von La France insoumise sieht man lauter französische Fahnen. Die rote Fahne, das Symbol des Sozialismus, ist von der Trikolore abgelöst worden. Das lässt sich nicht vergleichen mit der Bundesrepublik. Ich kann mir nicht vorstellen, dass auf Bundesparteitagen der Linken die Deutschlandfahne geschwenkt wird, und ich möchte es auch nicht erleben. In Großbritannien gibt es eine andere Entwicklung. Dort geht es um die Erneuerung der Labour-Partei, also darum, mit dem Neoliberalismus zu brechen. Auch hier handelt es sich um eine Partei.

Das zweite Missverständnis betrifft das Vertauschen von Bewegungen und Parteien. Es gibt gesellschaftliche Bewegungen. Sie entstehen aus Arbeitskämpfen, aus Kämpfen gegen Sozialabbau usw. Auch die Friedensbewegung ist ein Ergebnis solcher Kämpfe. Eine Partei ist keine Bewegung. Und Lafontaine und Wagenknecht machen den Fehler, dass sie genau das behaupten, dass eine Sammlungsbewegung identisch wäre mit einer linken Volkspartei. Aber eine Bewegung entsteht nicht von oben, nicht durch Menschen, die über die Medien kommunizieren. Die Partei Die Linke ist aus einer Bewegung hervorgegangen, aus dem Kampf gegen die Agenda 2010. Sie war das Ergebnis einer Bewegung, aber sie ist nicht identisch gewesen mit dieser Bewegung. Wir brauchen Die Linke als Organisationseinheit, als Partei links von der SPD. Zum einen, um im Parlament deutlich zu machen: Nein zu jeglichen Auslandseinsätzen. Nein zur Agenda 2010, nein zu Hartz IV, nein zu Sozialabbau, nein zu Neoliberalismus, nein zu Austeritätspolitik. Ja zu Klimagerechtigkeit und globaler Solidarität. Es ist fahrlässig, so etwas wie eine neue linke Volkspartei vorzuschlagen.

Die Linke hat keiner Asylrechtsverschärfung zugestimmt. Sie ist im Deutschen Bundestag immer gegen die Agenda 2010 aufgetreten. Und sie wird das auch weiterhin tun. Aber was Die Linke brauchen wird, ist solidarischer Druck. Sie braucht die Kritik von links, von Bewegungen, die eine klare Linie einfordern: beim Widerstand gegen Auslandseinsätze, beim Klimawandel. Wir benötigen den Druck von links, der formuliert: Mit diesem Kapitalismus ist kein Staat zu machen. Wir wollen eine Gesellschaft, die solidarisch ist und den Menschen dient und nicht der Wirtschaft. Unsere gemeinsame Aufgabe ist, der Linken immer wieder in den Arsch zu treten.

Huth: Als ich Anfang des Jahres Oskar Lafontaines Äußerungen in der Presse gelesen habe, hat mich das an eine alte Debatte in der DKP erinnert, die – wie mir scheint – inzwischen geklärt ist. Lange Zeit war in Teilen der Partei die Rede davon, dass die DKP Teil einer »Mosaik-Linken« sei, also Teil einer großen Sammlungsbewegung. Wie wird das heute mit Blick auf die Bündnispolitik diskutiert? Wie grenzt sich die DKP von einem solchen Gedanken an eine Sammlungsbewegung ab?

Pohl: Den Namen Lafontaine werde ich zu Hause mal googeln. Was Lafontaine aufbauen will, ist ja offenbar etwas, das dann parlamentarisch agieren könnte. Wie er sich das vorstellt, ist mir schleierhaft. In unserer Partei gibt es natürlich sehr intensive Debatten über die Frage, wie wir als Kommunistinnen und Kommunisten in die Gesellschaft eingreifen können – angesichts unserer Schwäche, aber auch angesichts des sehr großen Anspruchs, den wir haben, die Gesellschaft von Grund auf zu ändern. In den Bewegungen dürfen wir nicht unkritisch agieren, denn wir stellen grundsätzlich immer die Systemfrage. In die Friedensbewegung bringen wir antiimperialistische Positionen ein. Man muss sich immer wieder fragen: Was ist der Vorteil, den das Kapital aus bestimmten Aktionen zieht? Wo wird der Profit gemacht? Wie können wir dagegen angehen? Und zwar ohne moralischen Impetus. Moral bringt uns nicht weiter, da das Kapital sich sehr rational verhält. Der Irrationalismus ist in den unteren Schichten viel stärker verbreitet als in der Oberschicht. Dagegen müssen wir angehen. Wir brauchen eine klare, rationale Position, mit der wir den Problemen begegnen, sonst werden wir den Gegner nicht besiegen können.

Huth: Die Grünen sind aus einer Bewegung entstanden. Gibt es dort noch eine linke Basis? Ist das noch eine Größe, mit der die Parteioberen rechnen müssen, oder sind da schon alle Messen gesungen? Man hört doch sehr wenig Widerspruch, wenn es etwa um Kriege geht.

Bayram: Ich zitiere Anton Hofreiter, den Fraktionsvorsitzenden, der gesagt hat, die Grünen sind weiterhin eine linke Partei und haben den Anspruch, linke Politik zu machen. Ob das den hier formulierten Anforderungen genügt, kann ich nicht beantworten. Die letzten Jahre haben uns auch beim Thema Flucht und Migration gezeigt, dass die Bereitschaft der Parteien, wieder in nationales Denken zu verfallen, eine andere ist als die der Menschen, die einfach handeln und das tun, was gebraucht wird, die also solidarisch sind. Das habe ich bei den Protesten der Geflüchteten in Berlin erlebt, vom Hungerstreik am Brandenburger Tor über die Proteste am Oranienplatz. Wir müssen verstehen, dass diejenigen, die hierher kommen, Menschen sind, die in ihren Herkunftsländern politisch aktiv waren. Hier werden sie zu Bittstellern und als Sozialleistungsempfänger kleingemacht. Dabei haben sie die Power und die Ideen, wie es in ihren Ländern gerechter zugehen könnte. In solchen Bewegungen steckt sehr viel Kraft. Also, einer Partei oder den Parteien wird es alleine nicht gelingen. Und von dieser Idee des Herrn Lafontaine, um das abschließend noch mal zu sagen, halte ich wenig bis gar nichts.

Beutin: Dein persönliches Engagement in Ehren. Aber dennoch muss man sich anschauen, welche Positionen bei den Grünen mehrheitlich getragen werden. Sie haben die größte Rentenkürzung in der bundesdeutschen Geschichte mitgetragen, die Rente mit 67. Und auch die Absenkung des Rentenniveaus war kein Problem. Die Grünen haben sich weder von ihrer Kriegspolitik verabschiedet noch von ihrer neoliberalen Sozialkürzungspolitik. Das will ich bei allem Respekt doch einmal gesagt haben. Das heißt, auch die Grünen brauchen Druck, klare linke Positionen zu vertreten – noch viel mehr als Die Linke.

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