Stärke durch Zusammenhalt
Von Gitta Düperthal»Die Einschränkung der Meinungsfreiheit bekämpft man am besten, indem man von ihr Gebrauch macht«, hatte Regula Venske, Präsidentin der deutschen Schriftstellervereinigung PEN, gesagt, um Mesale Tolu anzukündigen. Kämpferisch trat die 34jährige freie Journalistin und Übersetzerin vor etwa 680 Zuschauern im ausverkauften Saal der Soirée mit Amnesty International (AI) am Montag abend im Schauspiel Frankfurt am Main auf. Tolu war in der Türkei selbst unter Terroranklage gestellt worden, hatte dort bis Dezember 2017 acht Monate in Untersuchungshaft gesessen – zusammen mit ihrem heute dreijährigen Sohn. Weitere acht Monate war die in Ulm aufgewachsene Frau in der Türkei mit einer Ausreisesperre belegt worden.
Anlässlich des 70. Jahrestages der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte erinnerte sie an die zahlreichen Aktivisten und Oppositionellen, die nach wie vor in der Türkei hinter Gittern sitzen. Am 10. Dezember 1948 um drei Uhr morgens hatte Eleanor Roosevelt als US-Vertreterin bei den Vereinten Nationen die UN-Charta nach nächtlichem Feinschliff verlesen. Mehr als 190 Staaten hatten sie zeitweise unterzeichnet.
Mesale Tolu passte exakt zum Programm, das AI an diesem Abend mit ihrer Kampagne »Schreib für Freiheit« verband. Ähnlich wie bei der Aktion der Gewerkschaft Verdi unter dem Motto »Journalisten sind keine Verbrecher« ging es darum, politischen Gefangenen Solidaritätsschreiben zu schicken. Dazu forderte auch Tolu auf. Sie selbst habe Stärke entwickeln können, weil sie Postkarten von Frauen »aus der ganzen Welt« erhalten habe. Auch der Zusammenhalt mit aus ähnlichen Gründen eingesperrten Frauen sei hilfreich gewesen.
Zwar habe das türkische Regime versucht, die Gefangenen von der Außenwelt so weit wie möglich abzuschirmen – in ihrem Fall sei dies aber nicht gelungen. »Ich habe Hoffnung, weil ich weiß, dass die Menschheit Kraft für den Widerstand gegen diese Diktatoren und Autokraten hat«, sagte Tolu. Es gelte, energisch gegen sie vorzugehen und die in Europa erstarkenden extremen Rechten wieder in ihre Ecken zu verbannen. »Wir müssen unsere Vielfalt gegen deren Einfalt verteidigen«, sagte Tolu. Obgleich ihr eigener Fall längst nicht abgeschlossen ist, zeigt sie sich optimistisch. Wie ihrem Ehemann Suat Corlu wird ihr die Mitgliedschaft in der MLKP (Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei) vorgeworfen. Die Türkei stuft letztere wie viele andere Organisationen als Terrororganisation ein. Das Gericht hat den Prozess gegen das Ehepaar auf den 10. Januar vertagt. »Wir dürfen nicht an der Vergangenheit haften bleiben«, antwortete Tolu auf die Frage von Venske, ob sie noch darunter leide, »als Frau, Journalistin und Mutter ihrer Rechte beraubt worden zu sein«.
Sie wolle sich wieder frei fühlen, um für die Kolleginnen und Kollegen weiter zu kämpfen, die mit Freiheitsentzug drangsaliert werden. Sie dankte der Bundesregierung für deren Einsatz für ihre Freilassung, mahnte aber, zur »Politik für die Menschen« zurückzukehren, statt sich für Wirtschaft und Militär einzusetzen.
PEN-Präsidentin Venske bezeichnete die Türkei als »weltweit größtes Gefängnis für Schriftsteller«. Über Mexiko hätten ihr kürzlich Oppositionelle berichtet, dass dort Autoren nicht ins Gefängnis kämen, sondern »gleich ins Grab«.
Der AI-Generalsekretär in Deutschland, Markus N. Beeko, plädierte anlässlich des Jahrestages dafür, die UN-Menschenrechtscharta zu ergänzen, wenn die Gesellschaft sich durch Digitalisierung, künstliche Intelligenz oder die Klimakatastrophe verändere. Sonst passiere »das Machbare – nicht das Wünschbare«.
Mesale Tolu spricht auch auf der XXIV. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt am 12. Januar 2019 in Berlin.
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