Opposition erkennt an: Venezuelas Wahlsystem ist sicher
Von André ScheerIn der Endphase des Wahlkampfs sieht sich Venezuelas Opposition einem Problem gegenüber, das sie sich selbst eingebrockt hat. Sie muß fürchten, daß manche ihrer potentiellen Wähler am 7. Oktober zu Hause bleiben, weil sie dem venezolanischen Wahlsystem nicht vertrauen. Jahrelang hatten die Regierungsgegner den Nationalen Wahlrat (CNE) attackiert und bei Abstimmungen vor Manipulationen gewarnt. So schwadronierte ein Roberto Carlo Olivares nach den Parlamentswahlen vom September 2010 über einen »Megawahlbetrug«, den sogar die Opposition akzeptiert habe, und unterstellte der Behörde sogar, die Wahlbeteiligung, die 93.59 Prozent (!) betragen habe (was nicht nur venezolanischer, sondern vermutlich auch Weltrekord gewesen wäre), auf 66,45 Prozent heruntergerechnet zu haben.
Auch in den vergangenen Tagen häuften sich im Internetdienst Twitter Kurzmeldungen, in denen der Regierung und dem CNE vorgeworfen wurde, den »sicheren Wahlsieg« des Oppositionskandidaten Henrique Capriles Radonski nicht anerkennen zu wollen. Quellen für die Siegessicherheit: Keine - dafür aber »Chavismo«-Vorwürfe gegen Meinungsforschungsinstitute wie Hinterlaces, die Zahlen veröffentlichen, die den Regierungsgegnern nicht passen. Chávez werde versuchen »die Schlösser auszutauschen«, deshalb müsse man »die Tür zur Zukunft einschlagen«, plädiert ein Regierungsgegner für Gewalt.
Der offizielle Wahlkampfstab der Opposition bemüht sich deshalb, das Mißtrauen in das Wahlsystem zu zerstreuen. Ängste vor Manipulationen der Wahlmaschinen oder eine mögliche Verletzung des Wahlgeheimnisses seien »Mythen«. Per blinkender Grafik auf der Homepage des Bündnisses »Einheit Venezuela« versichern die Regierungsgegner: »Deine Stimme ist sicher und geheim!«
Ausdrücklich stellt die Opposition fest: »In den technischen Kontrollen, die in jedem Wahlprozeß durchgeführt wurden, konnte niemals belegt werden, daß das Wahlgeheimnis irgendeines Wählers verletzt worden wäre.« Erinnert wird allerdings an die »Lista Tascón«, eine vom damaligen Parlamentsabgeordneten Luis Tascón 2004 veröffentlichte Aufstellung der Unterstützer eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Chávez. Die Liste war zwar nicht geheim, Tascón hatte aber auf seiner Homepage ein Tool eingerichtet, mit dem sie nach Personalausweisnummern sortiert durchsucht werden konnte. Dadurch sollte, so seine Begründung, Anhängern des Präsidenten die Gelegenheit gegeben werden, zu kontrollieren, ob sie ohne es zu wollen als Unterzeichner für eine Absetzung Chávez' aufgeführt worden waren. In einigen Fällen war das tatsächlich geschehen, um das notwendige Quorum für das Durchsetzen des Amtsenthebungsreferendums (das Chávez schließlich am 15. August 2004 mit 59,1 Prozent klar gewann) zu erreichen. Die Opposition sah in dieser Liste hingegen ein Instrument, um regierungskritische Staatsangestellte rauswerfen zu können.
Mit Blick auf die Wahlen vom 7. Oktober betonen die Regierungsgegner nun jedoch, daß diese Liste nie ergänzt wurde, »auch nicht, wenn Staatsangestellte für oppositionelle Kandidaten gestimmt haben«.
In dem Dokument nimmt das »Comando Venezuela«, wie sich der Wahlkampfstab der Opposition nennt, auch die »populärsten Mythen« auseinander, zum Beispiel die Behauptung, daß die Daten der Wähler »über das neue Unterwasserkabel nach Kuba geschickt« würden. Die Regierungsgegner dazu: »Die übermittelten Akten sind von fünf unabhängigen Sicherheitsmänteln umgeben. Es ist praktisch unmöglich, die Sendung zu dechiffrieren, zu verändern und weiterzusenden, ohne daß dies jemand bemerkt. Außerdem beziehen sich die gesendeten Akten auf ausgezählte Wahllokale, deren Akten ausgedruckt wurden und sich in den Händen der Zeugen befinden. Welchen Sinn sollte es haben, die Akten an irgendeinen anderen Ort zu schicken, wenn jede mögliche Veränderung festgestellt werden kann?«
Weiter betonen die Regierungsgegner, daß Zeugen der Opposition bei allen Wahlen und Abstimmungen seit 2005 im zentralen Auszählungszentrum dabeigewesen sind. Die Einschränkung »seit 2005« erinnert indirekt daran, daß die Opposition die Parlamentswahl Ende 2005 boykottiert hatte.
Schließlich erinnert die Opposition auch daran, daß die Stimmabgabe nicht nur elektronisch erfolgt, sondern von den Wählern durch den Ausdruck des Stimmzettels überprüft werden kann: »Der Papierabschnitt erlaubt es den Bürgern, sicherzustellen, daß ihr Willen respektiert wird. Bislang ist keine einzige Akte entdeckt worden, deren Zahlen von denen abgewichen wären, die der CNE veröffentlicht hat.«
Das Dokument im Original: http://www.unidadvenezuela.org/wp-content/uploads/2012/08/Comando-Venezuela-y-plataforma-electoral.-Versi%C3%B3n-Voto-Seguro.1.pdf
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