Selbstbewußt zum Sozialstaat: Ecuador. Ein Kurzportrait
Von Christian SelzAm Anfang stand der Legende nach eine frei im Wind wehende Feder. Der übers Meer gekommene Häuptlingssohn Quitumbe folgte ihr von der Küste hinauf ins Andenhochland. An der Stelle, an der die Feder zu Boden sank, gründete er schließlich eine Stadt – das heutige Quito. Seit 3500 Jahren, so sagen Archäologen, siedeln Menschen in dem Gebiet. Als erste Stadt überhaupt wurde dem historischen Zentrum 1978 der Status als UNESCO-Weltkulturerbe verliehen. Ab dem kommenden Samstag, 7. Dezember, ist die heutige Hauptstadt Ecuadors, mit 2850 Metern über dem Meeresspiegel die höchstgelegene der Welt, erstmals Austragungsort der Weltfestspiele der Jugend und Studierenden.
Quito ist das administrative Zentrum Ecuadors, die mit 2,2 Millionen Einwohnern rund anderthalb Mal so große Hafenstadt Guayaquil dagegen die wichtigste Wirtschaftsmetropole. Über die Häfen läuft der Handel des Landes. Kakao, Kaffee und Bananen werden von hier verschifft, ein gesonderter Hafen im Süden der Stadt wickelt den Erdölexport ab. Fast 60 Prozent des Außenhandelsvolumens macht das „schwarze Gold" in Ecuador aus. Erst kürzlich entschloß sich die Regierung, ein riesiges Erdölvorkommen im Yasuni-Nationalpark zu erschließen. Zuvor hatten westliche Industrieländer ein Abkommen zum Naturschutz scheitern lassen. Ecuador hatte darin angeboten, die in dem Gebiet lagernden Bodenschätze nicht anzutasten, wenn die Weltgemeinschaft dem Land im Gegenzug die Hälfte der ihm dadurch entgehenden Einnahmen ersetzen würde. Trotz gegenteiliger Bekundungen floß nur ein Bruchteil des versprochenen Geldes, insbesondere die deutsche Bundesregierung behinderte das Projekt (jW berichtete).
Es ist eine schwere Gradwanderung für Ecuador, das als artenreichstes Land der Welt gilt. Präsident Rafael Correa erklärte, die Welt habe sein Land im Stich gelassen. Seine Regierung habe vor der Entscheidung gestanden, entweder Yasuni unangetastet zu lassen oder die Mittel für die Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung zu erwirtschaften. „Die schlimmste Verletzung der Menschenrechte ist das Elend", bilanzierte Correa, „und es wäre der größte Fehler, die Menschenrechte angeblichen Rechten der Natur unterzuordnen".
Unter dem 2006 gewählten und seitdem zweimal im Amt bestätigten Sozialisten, hat Ecuador einen innenpolitisch sozialeren und außenpolitisch selbstbewußteren Kurs eingeschlagen. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler Correa ließ die Bevölkerung 2008 über eine neue Verfassung abstimmen – und erntete mit 81 Prozent der Stimmen überwältigenden Zuspruch für sein Projekt. Seitdem sind Bildung und Gesundheitsversorgung kostenlos. Die Bürgerbeteiligung wurde gestärkt, der Einfluß der omnipräsenten katholischen Kirche im Bildungswesen beschnitten, das Recht auf Abtreibung ausgeweitet und die amtliche Eintragung von Lebenspartnerschaften für Homosexuelle ermöglicht. Andere Staaten dürfen in Ecuador zudem kein Militär mehr stationieren, 2009 mußten die USA daher ihre Basis im Land räumen.
Die neue Stärke des Andenstaates demonstrierte der Präsident im Sommer dieses Jahres. Als die USA seinem Land wegen eines Asyl-Angebotes für den Whistleblower Edward Snowden drohte, Zollerleichterungen zu streichen, kündigte Correa das Abkommen kurzerhand selbst und bat Washington Finanzhilfen zur Menschenrechtsausbildung an. Ecuador reagiere weder auf Druck noch auf Drohungen und stelle seine politischen Prinzipien nicht gegen wirtschaftliche Vorteile zur Disposition, verkündete Regierungssprecher Fernando Alvaro.
- Mehr Hintergrund zu Ecuador: In der jüngsten Wochenendausgabe der jW erschien eine Bildreportage zur Umweltzerstörung durch den US-Konzern Texaco in der nördlichen Provinz Sucumbios.
- Fotoimpressionen aus Ecuador: Hier klicken
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