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13.01.2012, 20:38:26 / Wir verändern die Welt

Debatte. Alternative der Solidarität

Von Heinz Bierbaum

Die von Rosa Luxemburg mit Bezug auf Friedrich Engels getroffene Aussage »Sozialismus oder Barbarei« erfolgte zwar in Zusammenhang mit den Schrecken des Ersten Weltkrieges1, hat aber nach wie vor aktuellen Bezug.

Nicht nur, daß auch heute noch Kriege imperialistischen Charakters geführt werden, im Zuge der kapitalistischen Entwicklung sind auch immer wieder soziale Errungenschaften, zivile und demokratische Rechte bedroht. »Sozialismus oder Barbarei« kann aber auch als ein Synonym für den grundlegenden Widerspruch kapitalistischer Entwicklung verstanden werden. Auf der einen Seite entwickelt die kapitalistische Produktionsweise die Produktivkräfte in bisher nie gekannter Weise, auf der anderen Seite werden Produktionsverhältnisse geschaffen, die der allgemeinen Nutzung der entwickelten Produktivkräfte im Wege stehen und ihre Entwicklung selbst behindern, ja sie sogar zerstörerisch werden lassen.

Während die Entwicklung der Wirtschaft, der Technik, des Wissens überhaupt oder allgemeiner: die Beherrschung der Natur ein enorm hohes Maß erreicht hat und die Produktivität so vorangetrieben wurde, daß ein immer geringeres Quantum an Arbeit zur Befriedigung elementarer menschlicher Bedürfnisse notwendig ist, ist ein großer Teil der Menschheit unterversorgt, dem Hunger ausgeliefert, sind die sozialen Probleme nicht gelöst, herrschen an vielen Orten der Welt Krieg und Elend. Zugleich werden aber auch die Produktions- und damit Existenzgrundlagen selbst unterminiert. Verwiesen sei auf die vielen und gravierenden Schäden der Umwelt, auf die drohende Klimakatastrophe, die Bedrohung durch die Atomtechnologie und durch eine Energiepolitik, die wesentlich auf fossilen Brennstoffen beruht. Die soziale Polarisierung nimmt gerade auch in den entwickelten kapitalistischen Ländern zu. Die Schere bei den Einkommen geht auseinander, die Verteilung der Vermögen wird immer ungerechter. Wir sind weit entfernt von einer gleichmäßigen, stabilen oder gar krisenfreien wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Gerade die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise hat eindrucksvoll die grundsätzliche Krisenanfälligkeit kapitalistischer Entwicklung unter Beweis gestellt. Ihre Folgen sind keineswegs überwunden, sondern manifestieren sich in der »Euro-Krise«, wobei es sich letztlich nicht um eine Euro- oder gar Schuldenkrise, sondern um Krise kapitalistischer Entwicklung handelt.

Auf der anderen Seite ist nicht zu leugnen, daß der Kapitalismus auch zivilisatorische Tendenzen aufweist und damit – wenn auch in widersprüchlicher Form – zur Entwicklung der Zivilgesellschaft beiträgt. Es ist ja nicht zuletzt das Verdienst gerade der politischen Kräfte und Bewegungen, die Kritik am Kapitalismus üben und für sozialistische Alternativen eintreten, ihm Reformen abgetrotzt und so auch zu seinem Überleben beigetragen zu haben. Auch in der jüngsten Krise war eine gewisse Lernfähigkeit festzustellen, indem diese mit keynesianisch inspirierten wirtschaftspolitischen Konzepten, d.h. mit öffentlichen Konjunkturprogrammen, bekämpft wurde – also mit einer Politik, die überhaupt nicht ins vorherrschende neoliberale Schema paßte. Die grundsätzlichen Widersprüche, die letztlich aus der Ausrichtung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung an der Verwertung des Kapitals resultieren, sind damit jedoch nicht aufgehoben. Insbesondere bleiben die strukturelle Überakkumulation und die dafür charakteristische Dominanz des Finanzkapitals bestehen – und damit die hohe Krisenanfälligkeit. Sozialistische Perspektive Die Frage, inwieweit die dem Kapitalismus innewohnenden zivilisatorischen Tendenzen tragen und befördert werden können, konkretisiert sich aktuell in der Frage nach dem Green New Deal. Gemeint ist damit ein umfangreiches Programm der ökologischen Erneuerung im Rahmen bestehender Produktionsverhältnisse. In der ökologischen Erneuerung werden neue Wachstums­potentiale gesehen, die die kapitalistische wirtschaftliche Entwicklung zumindest mit ökologischen Anforderungen in Einklang bringen und zugleich eine neue Wirtschaftsdynamik entfalten sollen. So sehr mit der ökologischen Erneuerung gerade auch wirtschaftliche Entwicklungspotentiale verbunden sind, so werden aber dabei der widersprüchliche Charakter der kapitalistischen Entwicklung und die Schranken einer profitorientierten Wirtschaft verkannt. Eine entscheidende Frage stellt dabei die Eigentumsfrage dar, die eben im Rahmen der Konzeption des Green New Deal – zumindest wie er von den Grünen vertreten wird – nicht gestellt wird. Solange die Verwertungsbedürfnisse des Kapitals dominieren, werden weder die sozialen Fragen gelöst noch die ökologischen Erfordernisse erfüllt werden.

Zwar spricht auch Die Linke von der Notwendigkeit der ökologischen Erneuerung, doch ist dies erstens aufs engste mit der sozialen Frage verbunden und zweitens in einen antikapitalistischen Zusammenhang eingeordnet. Diese Orien­tierung findet sich auch in dem in Erfurt verabschiedeten Grundsatzprogramm. Zwar stellt das Programm von Erfurt durchaus in vielen Bereichen einen Kompromiß dar und ist sicherlich auch nicht frei von Widersprüchen, doch weist es eine nicht nur kapitalismuskritische, sondern im Kern eine antikapitalistische, eine sozialistische Stoßrichtung auf. Erklärtes Ziel ist der Aufbau einer »Gesellschaft des demokratischen Sozialismus (…), in der die wechselseitige Anerkennung der Freiheit und Gleichheit jeder und jedes Einzelnen zur Bedingung der solidarischen Entwicklung aller wird. Wir kämpfen für einen Richtungswechsel der Politik, der den Weg zu einer grundlegenden Umgestaltung der Gesellschaft öffnet, die den Kapitalismus überwindet.«2 Ausdrücklich wird Bezug genommen auf das Kommunistische Manifest und der darin enthaltenen Zielsetzung einer die Klassen und Klassengegensätze überwindenden Gesellschaft. Und es wird kein Zweifel daran gelassen, daß Deutschland eine Klassengesellschaft mit dem dafür charakteristischen antagonistischen Klassengegensatz von Lohnarbeit und Kapital ist. Um die gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend zu verändern ist es daher notwendig, die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse zu überwinden. »Eine entscheidende Frage gesellschaftlicher Veränderung ist und bleibt die Eigentumsfrage (…) Die Linke kämpft für die Veränderung der Eigentumsverhältnisse.«3 Konkret geht es darum, »strukturbestimmende Großbetriebe der Wirtschaft (…) in demokratische gesellschaftliche Eigentumsformen (zu) überführen (…) Die Daseinsvorsorge, die gesellschaftliche Infrastruktur, die Finanzinstitutionen und die Energiewirtschaft gehören in öffentliche Hand und müssen demokratisch kontrolliert werden.«4 Einen besonderen Stellenwert nimmt das Belegschaftseigentum ein – nicht nur, um den Einfluß des Kapitals auf die Unternehmenspolitik zu brechen, sondern auch, um eine breite Beteiligung der Beschäftigten selbst zu ermöglichen und sie am Ertrag ihrer Arbeit teilhaben zu lassen. Es geht insgesamt um eine »demokratische Wirtschaftsordnung, die die Marktsteuerung von Produktion und Verteilung der demokratischen, sozialen und ökologischen Rahmensetzung und Kontrolle unterordnet«.5

Das Programm ist weder ein traditionssozialistischer Rückfall, der die heutige Realität kapitalistischer Entwicklung ignoriert, wie einige meinen, noch Ausdruck eines sozialdemokratisch geprägten Reformismus. Es ist – wie gesagt – in vielen Bereichen ein Kompromiß unterschiedlicher politischer Auffassungen im Hinblick auf die Analyse der gesellschaftlichen Entwicklung und der Ansatzpunkte zu ihrer Veränderung, doch kann an der grundsätzlichen sozialistischen Perspektive kein Zweifel bestehen. Antikapitalistische Reformpolitik Die entscheidende Frage ist dabei die nach der Umsetzung, also der politischen Strategie, wie man zu der angestrebten Gesellschaft des demokratischen Sozialismus gelangen kann. Im Programm selbst ist von einem »Transformationsprozeß« die Rede. So heißt es: »Die Linke kämpft in einem großen transformatorischen Prozeß gesellschaftlicher Umgestaltung für den demokratischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Dieser Prozeß wird von vielen kleinen und großen Reformschritten, von Brüchen und Umwälzungen mit revolutionärer Tiefe gekennzeichnet sein.«6 Derartige Reformprojekte beziehen sich auf die Arbeits- und Lebensbedingungen mit Schwerpunkten in der sozialen Sicherheit und Gerechtigkeit und einer aktiven Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, auf die Demokratisierung der Gesellschaft, auf den sozial-ökologischen Umbau, die soziale Umgestaltung Europas sowie auf Frieden und Abrüstung.

Dabei sind diese Reformschritte von der sozialistischen Zielsetzung nicht abzukoppeln. Es handelt sich mithin um Reformpolitik in antikapitalistischer Perspektive. Dennoch stellt sich die Frage nach der Verbindung von eben diesen Reformschritten und der Zielsetzung des Aufbaus der Gesellschaft des demokratischen Sozialismus als der Alternative zur herrschenden kapitalistischen Gesellschaft. Diese Frage kann durch das Programm selbst nicht ausreichend beantwortet werden. Sie muß vielmehr im Rahmen der strategischen Festlegung linker Politik konkretisiert werden. Programmatik und Strategie sind allerdings nicht voneinander zu trennen, werden doch die strategischen Zielsetzungen durch das Programm vorgegeben. Die Kritik, wie sie beispielsweise von Andreas Wehr geäußert wird, wonach die strategische Orientierung fehle und damit sozialistische Zielsetzungen und Reformschritte unverbunden nebeneinander stünden, trifft in dieser Schärfe nicht zu. Auch kann man nicht sagen, daß das Programm »in der Analyse (…) antikapitalistisch, in der Strategie sozialreformerisch« sei.7 Denn damit wird ignoriert, daß das entscheidende Bindeglied zwischen der unbestreitbaren antikapitalistischen Stoßrichtung und der Zielsetzung des demokratischen Sozialismus auf der einen Seite und konkreter Reformpolitik auf der anderen Seite im Programm durchaus angegeben ist. Es ist die Eigentumsfrage. Die Veränderung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse ist entscheidend für die Veränderung der Gesellschaft. Dabei ist die Eigentumsfrage durchaus komplex. Im Programm selbst ist von einer Pluralität der Eigentumsformen die Rede, die auch dem Privateigentum einen Stellenwert zuweist, ihm aber seine strukturbestimmende Bedeutung nimmt. Völlig zu Recht wird die Eigentumsfrage mit der Demokratiefrage verbunden, also die Frage nach der demokratischen Beteiligung aufgeworfen – eine bislang allerdings weder gelöste noch zureichend diskutierte und entwickelte Frage.

Kein Zweifel, das Verhältnis von Reformpolitik und sozialistischer Zielsetzung ist für die Bestimmung sozialistischer Politik von wesentlicher Bedeutung. Damit wird im Grunde die alte Frage der Arbeiterbewegung nach dem Verhältnis von Reform und Revolution aufgeworfen. Dabei wird man heute jedoch kaum auf den »Hammerschlag der Revolution, d.h. die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat«8 verweisen können, wie dies Rosa Luxemburg in ihrer vernichtenden Kritik an Bernstein formulierte. Allerdings war für Rosa Luxemburg klar, daß »die Ergreifung der Staatsgewalt durch das Proletariat (…) einen bestimmten Reifegrad der ökonomisch-politischen Verhältnisse voraus (setzt)«.9 Die Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Reformpolitik und sozialistischem Ziel kann nicht mehr die gleiche wie zu Beginn und im Verlauf des 20. Jahrhunderts sein, sondern muß unter den heutigen Bedingungen des Finanzmarktkapitalismus und ausdifferenzierter Klassenstrukturen gegeben werden. Richtig bleibt allerdings, daß das Ziel des demokratischen Sozialismus sich nicht einfach als Ergebnis von kleineren oder größeren Reformschritten ergibt. Daraus kann freilich auch nicht der Schluß gezogen werden, auf Reformschritte zu verzichten. Diese sind notwendig. So sehr Die Linke auch konkrete Reformpolitik betreiben muß, so darf sie das Ziel des Sozialismus weder aus den Augen verlieren noch es an das ferne Ende eines Transformationsprozesses stellen. Es muß vielmehr dessen integraler Bestandteil sein. In diesem Zusammenhang sei insbesondere auch auf die Debatte um den Sozialismus im 21. Jahrhundert verwiesen, die insbesondere durch die jüngeren Entwicklungen und Erfahrungen in Lateinamerika befördert wurde.10 Hegemonie erringen Ein guter Anknüpfungspunkt für eine Strategie der Linken unter heutigen Bedingungen ist das Konzept der Hegemonie und des historischen Blocks, wie dies von Antonio Gramsci entwickelt wurde. Danach ist für eine Veränderung der Gesellschaft wesentlich, die intellektuell-kulturelle Hegemonie zu erlangen, also damit das gesellschaftliche Denken und Klima orientierend zu beeinflussen, und einen breiten Block sozialer Kräfte für diese Veränderung zu schaffen.11

So ist für die Strategie der Linken entscheidend, inwieweit der neoliberalen Hegemonie eine Alternative entgegengesetzt werden kann, die ihrerseits in der Lage ist, hegemoniale Kraft zu entfalten. In der tiefen Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009 ebenso wie in der gegenwärtigen »Euro-Krise« zeigt sich nicht nur die Brüchigkeit des neoliberalen Modells, sondern es werden auch grundsätzliche Defizite kapitalistischer Entwicklung deutlich. Bislang konnten die linken Kräfte in Europa davon nur wenig profitieren, wobei allerdings der jüngste Wahlerfolg der Izquierda Unida in Spanien oder aber auch die Umfragen in Griechenland für die Linkskräfte Anlaß zur Hoffnung geben. In Deutschland dagegen hat Die Linke an Zustimmung verloren. Dies hängt zum einen mit der schwachen Verfassung der Partei zusammen, zum anderen aber auch mit dem spezifischen Krisenverlauf in Deutschland. So hofft man aufgrund ökonomischer Stärke, wie sie sich insbesondere in den Exporterfolgen – ihrerseits erkauft durch Sozialabbau und eine miserable Lohnentwicklung – manifestiert, und durch einen auch von den Gewerkschaften mehrheitlich getragenen Anpassungskurs relativ unbeschadet durch die Krise zu kommen. Diese Hoffnung ist jedoch höchst trügerisch, wenn man die Risiken einer exportlastigen Wirtschaft und einen möglichen erneuten tiefen Einbruch der Weltwirtschaft berücksichtigt. Denn schließlich sind die Ursachen, die zur Krise geführt haben – die Umverteilung von unten nach oben, die deregulierten Finanzmärkte und die Handelsungleichgewichte in Europa – keineswegs beseitigt. Im Gegenteil. Durch die ökonomisch kontraproduktive und sozial verheerende Sparpolitik werden die Probleme verschärft. Bei aller Verunsicherung, die breite Bevölkerungsschichten erfaßt hat, klammert sich doch eine Mehrheit an diese Hoffnung, oder befürwortet einen nationalistisch geprägten Kurs – mit der Gefahr, daß die politische Entwicklung stark nach rechts kippt. »Profiteure zur Kasse!« In dieser Situation ist Die Linke gefordert, eine politische Alternative der Solidarität aufzuzeigen. Deshalb hat der Parteivorstand beschlossen, die Euro-Krise zu einem Aktionsschwerpunkt zu machen, um die inhaltlich bereits seit geraumer Zeit entwickelte Alternativposition der Linken politisch wirksam zu machen. Im Zentrum stehen dabei die Eindämmung der Finanzspekulation, die Entkoppelung der Staatsfinanzen durch die Errichtung einer öffentlichen europäischen Bank und eine öffentlich-rechtliche Reorganisation des Bankwesens mit demokratischer Kontrolle ebenso wie sozial- und wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Sicherung der Masseneinkommen und einer gesellschaftlich sinnvollen ökonomischen Entwicklung. Um das Thema politikfähig zu machen, gilt es, an die Erfahrungen und Bedürfnisse der Menschen anzuknüpfen. Dabei ist der Bezug zur Verteilungsfrage und zur sozialen Gerechtigkeit entscheidend, womit diese Kampagne zugleich mit den Kernforderungen der Linken verbunden werden kann. Das Motto der Kampagne »Profiteure zur Kasse!« zielt auf diesen Zusammenhang. In diesem Prozeß geht es vor allem auch darum, eine Veränderung des gesellschaftlichen Klimas zu bewirken. Wenn die Kritik an der gegenwärtigen Finanzmarkt- und Bankenpolitik die Financial Times Deutschland und das Feuilleton der FAZ erreicht hat, dann zeigt dies die Brüchigkeit der neoliberalen Hegemonie und bietet Chancen für eine Veränderung des intellektuell-kulturellen Umfeldes.

Indem Die Linke die in der Krise zutage tretenden Widersprüche kapitalistischer Entwicklung aufgreift, kann sie sich als eine politische Kraft erweisen, die in der Lage ist, die verbreitete Unsicherheit ebenso wie die Kritik und die Proteste in eine politische Alternative zu transformieren.

Gerade was die notwendige Veränderung des Finanzmarkts und des Bankensektors angeht, gibt es einen inneren Zusammenhang von unmittelbarer Reformpolitik und systemüberwindender Perspektive. Denn es wäre eine Illusion zu glauben, man könne mit einzelnen kleinen Reformschritten den Finanzsektor wieder in Ordnung bringen oder gar die Dominanz des Finanzmarktes mit all seinen negativen Auswirkungen auf die Realwirtschaft brechen. Die ohne Zweifel notwendige Regulierung des Finanzmarktes – inzwischen ein breiter gesellschaftlicher Konsens, ohne daß dem aber die herrschende Politik bisher auch wirklich Rechnung getragen hätte – reicht nicht aus, sondern sie muß mit einer grundlegenden Reorganisation des Bankensektors verbunden werden, wie er auch im Programm der Linken vorgezeichnet ist, nämlich eine Bankenorganisation mit Sparkassen, Genossenschaftsbanken und verstaatlichten und demokratisch kontrollierten Großbanken. Hier zeigt sich, wie die Veränderung der Eigentumsverhältnisse nicht nur Postulat ist, sondern politische Wirkung entfalten kann. Es geht um die Demokratie Die Art und Weise, wie die herrschende Politik mit der Euro-Krise umgeht, ist aber nicht nur sozial und ökonomisch katastrophal, sondern stellt auch eine erhebliche Gefahr für die demokratische Entwicklung dar. Es ist daher Aufgabe der Linken, die Demokratiefrage in den Mittelpunkt ihrer Politik zu stellen, und dafür einzutreten, daß die Grundlagen für eine wirkliche Sicherung und Entwicklung der Demokratie gelegt werden. Dies wird nur dann der Fall sein, wenn die Demokratie nicht auf den politischen Raum beschränkt bleibt, sondern auch die Wirtschaft umfaßt. Von daher ist das Konzept der Wirtschaftsdemokratie hochaktuell.12 Es ist zudem geeignet, konkrete Forderungen mit weitergehender Perspektive zu verbinden. Wirtschaftsdemokratie mußte zwar oft als ein Konzept des dritten Weges zwischen Kapitalismus und Sozialismus herhalten und wird als Reformprojekt auch von der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften beansprucht, ohne daß es aber zumindest von der Sozialdemokratie wirklich ernst genommen würde. Auch in den Gewerkschaften ist die Haltung widersprüchlich. Für Die Linke dagegen ist Wirtschaftsdemokratie ein wesentliches Element im Zusammenhang mit dem Aufbau der Gesellschaft des demokratischen Sozialismus. Schon in den Ursprüngen, nämlich in der Konzeption von Fritz Naphtali u.a. Ende der 1920er Jahre war Wirtschaftsdemokratie auf eine politische Steuerung der Wirtschaft und damit auf eine Ausrichtung der ökonomischen Entwicklung an gesellschaftlichen Zielsetzungen orientiert. Gleichzeitig setzt es sehr konkret auf der betrieblichen Ebene an. Damit kann auch ein dialektischer Prozeß von konkreter Reformpolitik und systemüberwindender Perspektive entstehen. Zwar ist die Mitbestimmung ein Anknüpfungspunkt, doch geht Wirtschaftsdemokratie deutlich darüber hinaus, indem die Belegschaften am Kapital beteiligt werden und damit direkt auf die Unternehmenspolitik Einfluß erhalten sollen. Belegschaftseigentum im Rahmen der Wirtschaftsdemokratie bedeutet die Wiederaneignung der Resultate der Arbeit durch diejenigen, die arbeiten. Zugleich weist das Konzept der Wirtschaftsdemokratie über die betriebliche Perspektive hinaus. Zu ihr gehören volkswirtschaftliche Rahmenplanung ebenso wie regionale und sektorale Strukturpolitik. Nur durch Einbettung in ein gesamtwirtschaftliches, gesellschaftlich ausgerichtetes Konzept kann der Druck der kapitalistischen Konkurrenz, der eben auch auf Belegschaftsbetrieben lastet, aufgehoben werden. Zentral ist die demokratische Mitwirkung – und zwar auf allen Ebenen. Es gilt daher die Diskussion um die Wirtschafts- und Sozialräte wiederzubeleben und sie weiterzuentwickeln.

Entscheidend für die politische Umsetzung der politischen Vorstellungen der Linken ist allerdings auch, daß Die Linke wieder mehr Bewegung wird. Die Stärke der Linken ist von der Existenz und dem Ausmaß sozialer Bewegungen abhängig, zu deren Entwicklung sie aber auch selbst beitragen muß.

Anmerkungen
1 siehe Rosa Luxemburg, Die Krise der Sozialdemokratie (Junius-Broschüre), in: Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 4, Berlin/DDR 1974, S. 62 f.

2 Programm der Partei Die Linke, S. 5 (die Seitenzahlen beziehen sich auf die PDF-Datei des Programms)

3 ebenda, S. 28

4 ebenda, S. 30

5 ebenda, S. 6

6 ebenda, S. 28

7 junge Welt vom 11. November 2011

8 Rosa Luxemburg, Sozialreform oder Revolution?, in: Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 1/1, Berlin/DDR 1974, S. 400

9 ebenda, S. 434

10 In diesem Zusammenhang sei auf die Beiträge im folgenden Band verwiesen: Internationale Forschungsgemeinschaft für Politische Ökonomie, EU am Ende? Unsere Zukunft jenseits von Kapitalismus und Kommandowirtschaft, Berlin 2011

11 Sehr lesenswert ist in diesem Zusammenhang der Beitrag von Leo Mayer in der jungen Welt vom 14. November 2011

12 vgl. zur aktuellen Diskussion: H. Meine/M. Schumann/H.-J. Urban (Hrsg.), Mehr Wirtschaftsdemokratie wagen, Hamburg 2011

Heinz Bierbaum ist stellvertretender Vorsitzender der Partei Die Linke, Mitglied des saarländischen Landtags und Professor für Betriebswirtschaft. Auf der Konferenz nimmt er an der Podiumsdiskussion zum Thema »Sozialismus oder Barbarei – welche Rolle spielt Die Linke?« teil.

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