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»An dieser Auflösung jetzt ist alles falsch«

Neuwahlen des französischen Parlaments: Türöffner für die Rechten und Grundrechteabbau. Ein Gespräch mit Johan Laflotte

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat vor rund 20 Tagen das Parlament aufgelöst und Neuwahlen verkündet. Wie beurteilen Sie das?

Diese Entscheidung war ein großer Fehler. Die Europawahlen, bei denen die Rechten so stark abgeschnitten haben, waren gerade erst vorbei. Einfach so zu entscheiden, das Parlament aufzulösen … Macron war vermutlich einfach beleidigt. Doch er musste wissen, dass er den Rechten damit die Tür aufstößt, das war ein extrem gefährlicher Beschluss. Ich war erst mal völlig verblüfft ob dieser unerklärlichen Entscheidung.

Könnte diese Wahl denn auch eine Chance darstellen?

Trotz allem, ja. Wir haben es geschafft, eine Allianz zu bilden, die funktioniert. Wir werden voraussichtlich mehr Nouveau-Front-Populaire-Abgeordnete haben, als es zuvor NUPES-Abgeordnete gab. Die extremen Rechten werden allerdings so stark sein wie nie zuvor.

Wir haben zwar schon länger für die Auflösung des Parlaments plädiert, aber nicht unter solchen Bedingungen. Nicht sofort nach einer Wahl, die vom Rassemblement National, RN, gewonnen wurde, nicht in drei Wochen, nicht kurz vor den Sommerferien. An dieser Auflösung jetzt ist alles falsch, auch wenn wir sie schon länger eingefordert hatten.

Inwieweit trägt Macron Ihres Erachtens nach eine Verantwortung für den Aufwind der Rechten?

Macron trägt eine sehr große Verantwortung für die Wahlergebnisse. Das hat man bei den Europawahlen gesehen, bei seiner Wiederwahl von 2022 und auch bei seiner Wahl 2017: Er spielt sich als alleinige »Brandmauer« gegen die Front National auf. Hätte er tatsächlich gute Sozialpolitik gemacht, um den Rechten das Wasser abzugraben – warum nicht. Aber das war ja nicht der Fall. Macron will als einziger Gegner der Rechten dastehen, macht aber zugleich Politik, die zum Teil von ihnen inspiriert ist. Er hat den Reichen Steuergeschenke gemacht. Er hat die Arbeiterklasse und die Mittelschicht aufgegeben. Das hat zum Aufwind des RN beigetragen.

Zugleich haben die Linken sicherlich auch Fehler gemacht. Vielleicht haben wir es nicht geschafft, unser Programm gut genug zu erklären und waren mit unseren internen Zwists beschäftigt. Aber Macron trägt in meinen Augen eine sehr große Verantwortung für den Aufwind des RN.

Angenommen, am 7. Juli schneidet der Rassemblement National so stark ab, dass er womöglich eine Mehrheit im Parlament hat. Worauf müssen wir uns im Falle eines Wahlsieges der Faschisten in den Tagen danach einstellen?

Der RN wird über Wirtschaft sprechen, um gut anzukommen. Die Wirklichkeit ist jedoch, dass sie gegen Migration sind, gegen migrantische Personen, für den massiven Ausbau der sogenannten Sicherheitspolitik. Es geht ihnen um Überwachung und Kontrolle, um den Rückbau von Bürgerrechten. Da gibt es einen Haufen Forderungen, die wirklich gefährlich sind. Ich hoffe, dass sie im Falle einer Machtübernahme nicht ihre ganze Politik umsetzen können.

Und die Straße?

Nun, ich hoffe, dass es starke Mobilisierungen gibt. Es wird bereits viel diskutiert, auch wenn die Demonstrationen noch nicht so riesig sind. Doch die Franzosen sind dazu in der Lage. Vielleicht finden solche Massenproteste auch nicht direkt nach der Wahl statt, es kann gut sein, dass einfach sehr viele Bürger für den RN gestimmt haben werden. Doch wenn wirklich erfolgt, was wir befürchten, dann könnte der Widerstand auch in zwei oder drei Monaten Form annehmen, besonders wenn es große Angriffe auf die Bürgerrechte und die sozialen Errungenschaften gibt. Ich bezweifle nicht, dass Frankreich dann auf die Straße geht, um eine außerparlamentarische Opposition auszudrücken. Es ist allerdings auch so, dass der RN Demonstrationsfreiheit nicht besonders schätzt.

Ähnlich wie das Macron-Lager, das alle Werkzeuge zur Unterdrückung der Versammlungsfreiheit bereitgestellt hat.

Ja, besonders in den letzten Jahren, in denen viele Voraussetzungen geschaffen wurden, um diese Grundrechte einzuschränken. Macron nutzt diese Beschränkungen bereits in sehr unguter Art und Weise. Das würde unter Marine Le Pen und Jordan Bardella nicht weniger. Es gibt Möglichkeiten, diese Gesetze anders auszulegen. Hinzu kommt, dass wichtige Teile der Ordnungskräfte dann auf der Seite des RN stehen dürften. Das könnte die Dinge in dieser Hinsicht noch weiter erschweren.

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