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Betr.: Artikel »Megastadt in der Wüste«

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Knut Mellenthin nennt im Artikel korrekt die Definition für das Bruttoinlandsprodukt, mit dem die bürgerliche Statistik versucht, die Wirtschaftsleistung eines Landes zu messen. Man sollte wissen, dass diese Kennziffer die volkswirtschaftliche Leistung um etwa ein Drittel überhöht und deshalb immer mit Vorsicht zu genießen ist. Diese Überhöhung hat natürlich auch verzerrende Wirkungen auf Wachstumsraten, die daraus berechnet werden. Die Differenz entsteht dadurch, dass als Wirtschaftsleistung nicht nur das wirklich geschaffene Produkt gezählt wird, sondern auch bloße Umverteilungen. Ein und dasselbe materielle Produkt mehrfach umverteilt, bildet aber keinesfalls mehr Masse an Waren und Leistungen, die die Gesellschaft verzehren kann. Vereinfacht gesagt kann man das Bruttoinlandsprodukt unter anderem auch dadurch steigern, dass man seinen materiellen Gehalt zusätzliche Kreise zum Beispiel in der Finanzwirtschaft drehen lässt. Und genau das passiert in der kapitalistischen Gesellschaft heute täglich millionenfach. Ein Tanker mit Erdöl bleibt aber ein Tanker mit Erdöl, auch wenn man ihn noch so oft untereinander verkauft. So etwas macht in der Statistik reicher, im Leben aber nicht. Die Gesellschaft lebt vom neugeschaffenen materiellen Produkt, das Marx mit v+m beschrieb. Lebt sie von etwas anderem, verzehrt sie (wie beispielsweise die Deutsche Bahn) ihre Substanz. Oder, indem sie sich vormacht, die Grenzen materieller Beschränkungen mittels der allseits beliebten Kredite und Sondervermögen willkürlich dehnen zu können, von ihrer Zukunft. Beides ist letztendlich tödlich. Man braucht viel aufgeblähte Statistik, um diese so einfache Wahrheit solide vor dem Volk verstecken zu können.

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»Megastadt in der Wüste«

Die Sonderwirtschaftszone »Neom« ist das Kernstück des saudi-arabischen Zukunftsplans

Neom: gebildet aus »Neo«, dem griechischen Wort für neu, und »m«, vom arabischen Wort »Mustaqbal«, das Zukunft bedeutet, aber auch für Mohammed stehen kann, den Namen des saudischen Kronprinzen. Das Projekt ist der propagandistische Mittelpunkt des ambitionierten Zukunftsprogramms »Vision 2030«.

Oft wird von einer »futuristischen Megastadt« geredet. Tatsächlich aber soll es sich saudischen Werbewebsites zufolge um eine »Sonderwirtschaftszone« handeln, mit einer Fläche von 26.500 Quadratkilometern »fast so groß wie Belgien«, mit Industriekomplexen, Umschlagplätzen für den Welthandel, landwirtschaftlichen Anbaugebieten, aber auch einem breiten Angebot für Luxustourismus – kilometerlange Strände am Golf von Akaba wie am Roten Meer, Ski-Gebiete in den bis zu 2.600 Meter hohen Bergen.

Auch eine Stadt mit exzentrischer Form, 170 Kilometer lang und nur 200 Meter breit, soll dort errichtet werden. In der Planung trägt sie den Namen Al-Khat (deutsch: die Linie). Auf einer Fläche von nur 34 Quadratkilometern sollen dort 9 Millionen Menschen in gigantischen Hochhäusern leben. »Keine Straßen, Autos oder Emissionen, sie wird mit 100 Prozent erneuerbarer Energie betrieben, und 95 Prozent des Landes werden als Naturland bewahrt«, heißt es auf einer der zahlreichen Werbeseiten.

Der Phantasie ist viel geboten. Aber auch auf objektiv günstige Voraussetzungen von Neom wird hingewiesen: Von 40 Prozent der Welt aus sei das Gebiet in maximal sechs Flugstunden erreichbar. Das Klima dort, im Nordwesten Saudi-Arabiens, sei nicht nur »vielfältig«, sondern auch – gemessen am Rest der Golfstaaten – vergleichsweise mild.

Die voraussichtlichen Kosten von Neom werden unterschiedlich angegeben: 500 Milliarden Dollar dürften die Untergrenze markieren, überwiegend liest man in internationalen Medien von 1,5 Billionen. Dass das – und viele andere Projekte aus der »Vision 2030« – aus einem Staatshaushalt finanziert werden kann, der trotz gewaltiger Öleinnahmen beständig defizitär ist, darf man ausschließen. Das Zukunftsprogramm des Königreichs scheint zu großen Teilen auf der Hoffnung zu gründen, dass es möglich sei, ausländische Investoren anzuziehen. Gelungen scheint das bislang nicht.

Vielleicht richten sich die Hoffnungen des Kronprinzen, der sich auch in diesem Punkt als flexibler Pragmatiker gibt, sogar auf Israel. Diese These hat jedenfalls Dr. Yaron Friedman, Arabist an der Universität Haifa, in einem ausführlichen und interessanten Artikel der Tageszeitung Jerusalem Post vom 19. März vertreten. Neben der Tatsache, dass Saudi-Arabien dieses Vorhaben unmöglich allein finanzieren kann, begründet der Autor diese Annahme mit der auffallenden Nähe der geplanten »Sonderwirtschaftszone« Neom zur Hafenstadt Eilat, die nicht nur Israels Zugang zum Roten Meer, sondern auch ein Urlaubsort und Tourismuszentrum ist. Die Entfernung beträgt in Luftlinie etwas mehr als 100 Kilometer, auf der Straße 200 Kilometer.

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