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Betr.: Artikel Israel in der Krise

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Israel in der Krise

Brief aus Jerusalem: Opposition will Netanjahu-Regierung stürzen. Ultrarechte treibt Annexion der Westbank voran

Seit Monaten kann man aus Jerusalem nur über Tod, Zerstörung, Völkermord und ethnische Säuberung berichten: Der Genozid in Gaza dauert inzwischen fast neun Monate an. Ein Ende ist nicht abzusehen. Die Zahl der Toten beträgt aktuell fast 38.000. Ganze Familien wurden ausgelöscht. Tausende Kinder werden vermisst, weitere Tausende sind allein in der Hölle, zu der die israelische Armee das Gebiet gemacht hat. Vor allem Babys und Kinder sterben inzwischen an Unterernährung.

Die israelische Armee griff vergangene Woche erneut das Schati-Flüchtlingslager in Gaza an. Dort hatte Ismail Hanija noch als palästinensischer Premierminister gewohnt, ehe er wegen seiner neuen Position als Leiter des Politbüros der Hamas im Jahr 2017 nach Katar ging. Im April wurden drei seiner Söhne und vier Enkel gezielt getötet. Am Dienstag verlor eine seiner Schwestern samt ihrer Familie, zehn Menschen, ebenfalls durch Bomben ihr Leben. Die Bilder, die tagtäglich aus dem Gazastreifen um die Welt gehen, mit immer neuen Massakern durch israelischen Beschuss, sind schwer zu fassen.

In der Westbank »toben« sich derweil Armee und Siedler aus. Zuletzt entsetzte eine Untat von Soldaten in Dschenin die Welt: Diese banden einen verletzten jungen Palästinenser auf der Motorhaube ihres Jeeps fest und fuhren mit dem »menschlichen Schutzschild« durch die Straßen.

Tag für Tag werden Menschen aus ihren Dörfern vertrieben: südlich von Hebron in der Region Masafer Jatta, im Jordantal, in Dörfern südlich von Nablus und selbst in der Nähe von Ramallah. Die »ethnische Säuberung« ist in vollem Gange.

Israels ultrarechter Finanzminister Bezalel Smotrich hat diese Politik schon 2017 in einem Programmpapier skizziert. Inzwischen benutzt er seine Position als Finanzminister und seine damit verbundene Rolle im Verteidigungsministerium, die Annexion der Westbank zur Realität zu machen. »Wir haben inzwischen ein separates ziviles System (für die besetzten Gebiete, jW) geschaffen«, gab Smotrich am 9. Juni in einem nichtöffentlichen Treffen zu, über das später die New York Times berichtete. Um keine internationale Untersuchung zu provozieren, bleibe das Verteidigungsministerium in diesen »Prozess« involviert. Damit wollte Smotrich wohl den Schein wahren, dass die Armee in der Verantwortung bleibe. »Im internationalen und legalen Kontext ist das einfacher zu schlucken. Damit niemand sagen kann, wir seien dabei, die Westbank zu annektieren«, wird er zitiert. Der Minister betonte zudem, Premier Benjamin Netanjahu stehe hinter dieser Politik.

In Israel steigert sich derweil der Zorn auf die Regierung. Die Familien der Geiseln, die nach wie vor in Gaza festgehalten werden, drängen auf den Abschluss eines Abkommens über einen Waffenstillstand und die Freilassung ihrer entführten Angehörigen. Auch der Ruf nach einem Gefangenenaustausch wird populärer. Vor dem Hintergrund von Verlusten auf seiten der israelischen Soldaten ist aus Armeekreisen zu hören, dass das von Netanjahu und seiner Regierung nach wie vor ausgegebene Kriegsziel einer Zerstörung der Hamas nicht umsetzbar sei.

Die oppositionelle Bewegung gegen den Premier aus der Likud-Partei fordert immer lauter Neuwahlen. Laut Umfragen würde Netanjahus Koalition diese Wahlen verlieren. Allerdings kann der Premier momentan nicht gezwungen werden, Neuwahlen auszurichten. Die Anti-Netanjahu-Bewegung ist nicht stark genug für die dringend notwendige Massenmobilisierung. Auch war sie bisher nicht in der Lage, Netanjahu-Kritiker im Likud für sich zu gewinnen.

Netanjahu selbst setzt deshalb auf die internationale Aufwertung seiner Regierung durch seine für den 14. Juli geplante Rede vor dem US-Kongress. Dagegen haben sich bekannte israelische Persönlichkeiten, allen voran der Autor David Grossmann, in einem Aufruf gewandt, den die New York Times am Mittwoch veröffentlichte. Der Tenor: Netanjahu spricht nicht für uns.

Indes haben viele europäische Staaten ihre Staatsbürger aufgefordert, den Libanon sofort zu verlassen. Aus US-Geheimdienstkreisen heißt es, wenn es nicht bald zu einem Waffenstillstand in Gaza kommt, könnte in den nächsten Wochen eine Großkonfrontation zwischen Israel und der Hisbollah bevorstehen. Der Libanon könnte Israels neue Front werden – damit die Regierung Netanjahu an der Macht bleiben kann.

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