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»Derzeit haben wir über 80 laufende Prozesse«

Türkei: Tageszeitung Birgün feiert 20jähriges Bestehen. Großer Druck von AKP-Regierung. Ein Gespräch mit Yaşar Aydın

Die türkische Tageszeitung Birgün feiert dieses Jahr ihr 20jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass werden auch in Deutschland Feierlichkeiten veranstaltet. Könnten Sie die Zeitung und ihre Geschichte kurz vorstellen?

Die Zeitung Birgün wurde am 14. April 2004 gegründet. Birgün sieht sich als Nachfolger der Demokrat-Zeitung, die während des Militärputsches in der Türkei 1980 geschlossen wurde. Die Gründungsidee und das Gründungskapital waren das Ergebnis einer kollektiven Anstrengung. Arbeiter, Beamte und Bauern beteiligten sich mit ihrem Geld an der Zeitung. Die Anzahl der Teilhaber liegt bei über 4.000. Es gab nie einen Besitzer. Der Verwaltungsrat besteht aus neun Personen, die hauptsächlich aus den Beschäftigten bestehen. Jede kritische Entscheidung wird gemeinsam getroffen. Die Lesertreffen, die wir jedes Jahr in vielen Städten der Türkei veranstalten, verwandeln sich gleichzeitig in Minikongresse, auf denen wir unsere Veröffentlichungsstrategie diskutieren und das nächste Jahr planen.

Wie klassifiziert sich Birgün politisch? Ist die Zeitung einer Partei oder Bewegung angeschlossen?

Es handelt sich um eine Zeitung, die etwa 16 Monate nach dem Amtsantritt der AKP gegründet wurde. Daher spürte sie von Anfang an die negativen Auswirkungen, und war wirtschaftlichem und rechtlichem Druck ausgesetzt. Sowohl die AKP als auch ihr Partner, die Fethullah-Gülen-Bewegung, hatten Birgün ständig im Visier. In den vergangenen 20 Jahren ist sie nie von ihrer Haltung zugunsten von Arbeit, Freiheit und Frieden abgewichen. Sie stand auf der Seite der organisierten sozialen Opposition, der Gewerkschaften, der Frauenbewegung und der Sozialisten. Sie stellte sich gegen Kapitalisten, Kriegsbefürworter und Reaktionäre. Und sie setzte sich für eine demokratische Lösung und Frieden in der Kurdenfrage ein. Ihr Ziel war es, die gemeinsame Plattform der progressiven Opposition zu sein. Dieser entschlossene Kurs hat unsere Zeitung zu einer der einflussreichsten Publikationen des Landes gemacht.

Angesichts der politischen und wirtschaftlichen Bedingungen in der Türkei erscheint es fast wie ein Wunder, dass eine linke Oppositionszeitung bestehen kann. Wie ist das möglich?

Wenn Birgün nur eine Zeitung wäre, wäre es unmöglich, sie am Leben zu erhalten. Aber da die Zeitung auch ein aktiver Teil des Kampfes für Demokratie und Freiheit im Land ist, steht sie nach jedem Fall wieder auf. Unsere Leser unterstützen uns auch wirtschaftlich. Sie ermöglichten uns, uns von Kapital und Staat unabhängig zu machen.

Die Türkei unter der Regierung Erdoğan wird als großes Gefängnis für Journalisten angesehen. Mehrere Oppositionsmedien wurden in den letzten Jahren verboten. Inwieweit muss Birgün mit Repressalien kämpfen?

Derzeit haben wir über 80 laufende Prozesse. Dutzende unserer Freunde werden angeklagt. Gerichte sind nach dem Redaktionsbüro zu den Orten geworden, die wir am häufigsten besuchen. Nicht nur wir, sondern alle unabhängigen Medienorgane erleben eine ähnliche Situation. Wir haben immer einen Weg gefunden, ihre Pläne zu durchkreuzen, und werden dies auch weiterhin tun. Wir versuchen, in einem Land wie der Türkei der Verantwortung einer unabhängigen Zeitung und unabhängiger Journalisten gerecht zu werden.

Die kurdische Frage ist ein ständiges Thema der Unterdrückung in der Türkei. Wie geht Birgün mit diesem Thema um?

Es gibt viele unterdrückte Bereiche in der Türkei. Aber der Wichtigste ist die kurdische Frage. Über dieses Thema zu schreiben und zu berichten, ist zweifellos sehr schwierig. Wir erleben diese Schwierigkeit durch die gegen uns eröffneten Prozesse. Aber es gibt noch eine andere Schwierigkeit, nämlich als kurdischer Journalist in der kurdischen Region zu arbeiten. Unsere kurdischen Kollegen erleben viel mehr Schwierigkeiten und zahlen viel höhere Preise als wir. Birgün versucht, einerseits unter allen Umständen die Wahrheit zu schreiben und für den Frieden einzutreten, und andererseits solidarisch mit unseren kurdischen Kollegen zu sein. Wir tragen dazu bei, dass ihre Stimmen stärker gehört werden.

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