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14.02.2017, 15:12:06 / Ja, die gibt's noch!

Demokratie braucht Meinungsstreit!

Werbung der jungen Welt wird mit der Begründung abgelehnt, dass sie zu politisch ist. Gastkommentar von Andreas Fisahn
Von Andreas Fisahn
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Demokratie braucht Meinungsstreit. Der Satz dürfte auf allgemeine Zustimmung stoßen. Er ist Grundlage für die Auslegung der Meinungsfreiheit durch das Bundesverfassungsgericht. Schwieriger wird es, wenn es darum geht, für den Meinungsstreit ausreichende Foren und Arenen der Öffentlichkeit zur Verfügung zur stellen. Dann stößt die abweichende Meinung unangenehm auf – der Meinungsstreit soll sich doch bitte innerhalb bestimmter Grenzen bewegen, und das sind die Grenzen der herrschenden Meinung, die – das weiß man – in der Regel die Meinung der Herrschenden ist. Die Denkverbote sind so stark, dass sich eine Gruppe junger Ökonomen zusammengetan hat und dafür kämpft, dass unterschiedliche Lehrmeinungen an der Universität präsent sein sollen – wobei schon Keynesianismus als heterodox gilt. Sie nennen sich selbst »postautistische Ökonomen«. Vielfalt ist erst recht in der Presselandschaft erforderlich, wenn eine Demokratie lebendig sein soll. Meinungsfreiheit im stillen Kämmerlein gehört in den Biedermeier – Meinungsfreiheit braucht die Öffentlichkeit, d. h. auch Medien, die heterodoxe Meinungen verbreiten.

Da klingt es merkwürdig, wenn Werbeanzeigen der jungen Welt von öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zurückgewiesen werden, weil sie zu politisch sind. Die Anstalten berufen sich auf den Rundfunkstaatsvertrag. Dort heißt es in Paragraph 7 Absatz 1: »Werbung und Teleshopping dürfen nicht: 1. die Menschenwürde verletzen, 2. Diskriminierungen aufgrund von Geschlecht, Rasse oder ethnischer Herkunft, Staatsangehörigkeit, Religion oder Glauben, Behinderung, Alter oder sexueller Orientierung beinhalten oder fördern.« Das ist ein überzeugender Ansatz. In Paragraph 7 Absatz 9 heißt es dann: »Werbung politischer, weltanschaulicher oder religiöser Art ist unzulässig.«

Weil die junge Welt damit wirbt, dass sie für Frieden und gegen Nazis ist, könne man ihre Werbespots nicht senden, teilten ihr verschiedene öffentliche Sender mit. Das klingt wie eine faule Ausrede, um die Werbung der jW nicht senden zu müssen. Denn man muss fragen, ob es sich bei der Werbung für eine Zeitung um politische Werbung handelt – wohl nicht. Es wird für ein Produkt geworben, das wie jede andere Ware auch Kunden finden muss. Werbung für die junge Welt unterscheidet sich nicht von Werbung für Mercedes, »gelben Strom« oder ein Schlafmittel. Und natürlich muss man dabei etwas zu dem Produkt sagen. Schaut man mal die Werbung etwa der Autofirmen an, so werden keineswegs technische Details des Produktes aufgezählt, sondern es wird versucht, ein Gefühl von Freiheit, Sicherheit oder Ökologie aufzubauen – alles höchst politische Themen. Da kann es nicht sein, dass Spots einer Zeitung, die auf ihre Schwerpunkte und Ausrichtung hinweisen, als »politische Werbung« eingestuft werden, die deshalb unzulässig ist.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG ) hat − vom Bundesgerichtshof für unlauter erklärte – Anzeigen der Firma Benetton in zwei Fällen für zulässig erklärt, obwohl die Firma Werbung für Pullover über politische Inhalte betreiben wollte. Der nackte Hintern mit einem HIV-Stempel oder der ölverschmierte, verendende Vogel auf den Benetton-Anzeigen sind einigen noch im Gedächtnis. War das Werbung für Politik? Die Gerichte sagten ja: Es war auch Werbung für Politik, die Werbung hatte einen sozialkritischen Inhalt. Dieser falle aber, so das BVerfG, unter die Meinungsfreiheit und dürfe deshalb verbreitet werden. Wer für Pullover wirbt, darf also auch Politik verkaufen, wer für eine Zeitung wirbt aber nicht? Das ist verkehrte Welt.

Man muss schließlich fragen, ob das Verbot des Staatsvertrages, Werbung politischer, weltanschaulicher oder religiöser Art zu betreiben, mit Meinungsfreiheit und Demokratie vereinbar ist. Das BVerfG begündete im Fall Benetton: »Wollte man kommerziellen Werbeanzeigen wegen des mit ihnen stets verbundenen Eigennutzes die Thematisierung von Leid verbieten, hätte ein wesentlicher Teil der Realität in (...) der Werbewelt von vornherein keinen Platz. Das kann angesichts des besonders schützenswerten Interesses an der Thematisierung gesellschaftlicher Probleme kein mit der Meinungs- und der Pressefreiheit vereinbares Ergebnis sein.« (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 11. März 2003 – 1 BvR 426/02 – Rn. 29, http://www.bverfg.de/e/rs20030311_1bvr042602.html) Wenn aus der Meinungsfreiheit folgt, dass es ein besonders schützenswertes Interesse an der Thematisierung gesellschaftlicher Probleme gibt, scheint es abwegig, politische Werbung grundsätzlich auszuschließen – geboten wäre allenfalls, annähernde Gleichheit der Werbetreibenden zu wahren.

Aber die jW wollte kommerzielle Werbung betreiben, um für ihr Produkt, die Zeitung, zu werben. Da ist es kein mit der Meinungs- und der Pressefreiheit vereinbares Ergebnis, wenn der Hinweis auf politische Probleme, die von einer Zeitung thematisiert werden, von der Werbung ausgeschlossen werden, weil es politische Probleme sind.

Die Spots zum Nachhören

Siehe auch: Unzulässige Reklame? MDR schießt kleine weiße Werbetaube der »jungen Welt« ab. Von Stefan Niggemeier in ÜBERMEDIEN

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