Verändert die Beziehungen!
Von Eleonora Roldán MendívilAm Samstag war der 200. Geburtstag, am Sonntag ging in Berlin der internationale Kongress »Marx200« zu Ende, den die Rosa-Luxemburg-Stiftung fünf Tage lang im »ND-Gebäude« veranstaltet hatte. Man wollte die Frage klären, »was es heute bedeutet, Marxist*in zu sein – in den verschiedenen Feldern der materialistischen Theorie, der Gesellschaftsanalyse und des politischen Aktivismus«, wie es im Programmheft hieß.
Marxistische Koryphäen wie Gayatri Chakravorty Spivak, Frigga Haug, Karl-Heinz Roth, Michael Hardt, Michael Heinrich und Alex Demirović sprachen auf Panels und in Workshops. Nachwuchswissenschaftler und junge Aktivisten diskutierten auf deutsch und englisch linke Antworten auf die ökologische Krise, marxistisch-feministische Ansätze über die Reproduktion, Migration und Rassismus und das zeitgenössische Verhältnis kapitalistischer Zentren zu den Peripherien.
Am Donnerstag gab es ein Panel zu Marxismus-Feminismus zu Ehren der 80jährigen Frigga Haug. Dabei wurde ihre herausragende Leistung, Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse und umkehrt zu betrachten, gewürdigt. Sie habe den Marxismus erweitert, indem sie patriarchale Beziehungen für das Funktionieren der Produktionssphäre untersuchte. Tithi Bhattacharya, Herausgeberin des kürzlich bei Pluto Press in London erschienenen Sammelbandes »Social Reproduction Theory« (Soziale Reproduktionstheorie) nahm diesen Faden auf und diskutierte die Frage der Zentralität der Kategorie »Klasse« für Analysen lokaler und transnationaler sozialer Kämpfe, angefangen bei Kampagnen für Lebensmittelsicherheit über Proteste gegen Umweltzerstörung, Polizeigewalt, Militarisierung und Kolonialismus bis hin zu feministischen Kämpfen für reproduktive Rechte, körperliche Unversehrtheit und gegen Feminizide.
Bhattacharya erweitert den Begriff der Arbeiterin bzw. des Arbeiters und schließt in Anlehnung an marxistische Theoretikerinnen wie Maria Mies oder Lise Vogel, unbezahlte (reproduktive) Arbeit, also Hausarbeit, Kindererziehung oder emotionale »Beziehungsarbeit« in ihren Arbeitsbegriff mit ein. In der Bilanz der erfolgreichen diesjährigen Frauenstreiks in Argentinien, Spanien, Italien und den USA zum 8. März, empfahl sie eine Ausdehnung auf die Erwerbsarbeit. Bereits 2010 hatte sie im US-amerikanischen Socialist Worker festgestellt: »Es stimmt nicht, dass die Arbeiterklasse nicht in der Sphäre der Reproduktion kämpfen kann. Es ist jedoch wahr, dass sie die Kämpfe gegen das System nur in der Sphäre der Produktion gewinnen kann«. Offen bleibt allerdings die Frage einer konkreten sozialistischen Programmatik.
Beim Workshop zu »Klasse, Migration und Rassismus im Kontext von Imperialismus und ursprünglicher Akkumulation« diskutierten Kanishka Goonewardena (Kanada), Hannah Cross (England), Olena Lyubchenko (Kanada) und Rhaysa Ruas (Brasilien) über die Anwendbarkeit der Intersektionalitätstheorie für einen revolutionären Marxismus. Die Gleichsetzung von Klasse, Rasse und Geschlecht, wie von der Intersektionalitätstheorie vorgeschlagen, wiesen sie einheitlich zurück und sprachen sich für das Primat der Produktion aus, wenngleich sie feststellten, dass Begriffe wie »Haupt«- und »Nebenwiderspruch« dem Verständnis von Ideologie und Unterdrückung nicht genügten. Zugleich wurde auf die lange Tradition marxistischer Wissensproduktion karibischer, lateinamerikanischer, afrikanischer sowie asiatischer Theoretiker, vor allem, aber nicht nur, im Rahmen antikolonialer Befreiungsbewegungen, verwiesen.
Auf dem Abschlusspanel benutzte Kavita Krishnan, Sekretärin der »All India Progressive Women’s Association« und Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Indiens (ML), das Bild einer Architektin, die aus der Gegenwart heraus eine Vision für die Zukunft erschaffe, um die Aufgaben eines heutigen Marxismus zu beschreiben. Krishnan rief zur radikalen Veränderung der sexuellen und emotionalen Beziehungen auf. Marxistinnen und Marxisten hätten diese Sphären bislang zu sehr vernachlässigt. Ihr schwebt eine Verknüpfung materieller Fragen mit denen der Identität und Würde vor. Darüber hinaus betonte sie, dass sich die Theoretiker und Theoretikerinnen an den konkreten Kämpfen der Klasse beteiligen sollten, denn dort würden die realen Veränderungen stattfinden – nicht an den Universitäten und auch nicht bei Konferenzen.
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