Leserbrief zum Artikel Aktion: Zur Zukunft der jungen Welt
vom 06.10.2018:
Linker Morgensegen
Lieber »schmal und widerständig« als »dick und gemütlich« (Taz). Die Analyse ist richtig: Die seit langem anhaltende Medienkonzentration erzeugt einen journalistischen Mainstream vereinheitlichter Meinung und gefährdet die Presse- und Meinungsvielfalt. Gepaart mit der Kurzatmigkeit der neuen Medien, die tendenziell jeden sozialen und historischen Hintergrund einer Nachricht ausblenden, bleibt für die bürgerliche Presse und deren Onlineangebote die Hofberichterstattung und bestenfalls die ironisierende Betrachtung des politischen Geschehens. Schön zu sehen am Beispiel der Berichterstattung über die »Causa Maaßen«: Politik stellt sich dar als Ränkespiel von Einzelpersonen. Der sicher belustigende Blick auf die hier auftretenden Kontrahenten verstellt den Blick auf den materiellen Gehalt des Handelns der Akteure. Da scheint es konsequent, sich nach dem Motto der Taz »gemütlich« auf den Beobachterstatus einer Wochenendausgabe zurückzuziehen. Ich selbst kenne aus meiner schon längeren Lebensgeschichte diese Haltung nur zu gut, nämlich die Weltläufte bequem vom Sofa aus zu kommentieren. Bei der »No-pag«-Demonstration am 3. Oktober ’18 in München habe ich zweierlei festgestellt: Die Kritik an den Verhältnissen muss auf die Straße, muss sich artikulieren – viel zu lange haben zu viele geschwiegen. Und ich durfte erleben, dass es glücklicherweise immer mehr gibt, die auch so denken. In dieser Auseinandersetzung ist ein täglicher Begleiter wichtig, ja unabdingbar – das habe ich in den letzten Wochen bei der Lektüre der jungen Welt gelernt. Sicher ist es nicht einfach, Lesegewohnheiten zu ändern – aber es öffnet den Horizont und ermöglicht, Zusammenhänge zu erkennen und dann auch für die Schlüsse, die man daraus zieht, einzustehen. Ganz in dem Sinne, wie es Hegel einmal ausgedrückt hat: Das Zeitungslesen des Morgens ist eine Art von realistischem Morgensegen. Macht weiter so.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 09.10.2018.